Verfassungstalk bei Lanz FDP-Urgestein Baum: "Es riecht nach Krieg"
24.05.2024, 03:22 Uhr Artikel anhören
Ex-Innenminister und FDP-Methusalem Gerhart Baum.
Bei "Markus Lanz" sind zwei "Elder Statesmen" zu Gast: Franz Müntefering und Gerhart Baum. Die beiden ehemaligen Minister sprechen über das Grundgesetz und über die Probleme, mit denen die Demokratie in Deutschland zu kämpfen hat.
Es ist ein besonderer Feiertag: Am Donnerstag vor 75 Jahren wurde in Deutschland das Grundgesetz beschlossen. Der 23. Mai 1949 gilt als Gründungstag der Bundesrepublik Deutschland. Zum ersten Mal entstand eine wirkliche Demokratie auf deutschem Boden. Doch die steht jetzt vor ihrer ersten wirklichen Bewährungsprobe. Rechte Parteien versuchen, sie zu untergraben, besonders die AfD. Die hat mittlerweile sogar bei den gleich gesinnten Parteien im Europaparlament das Vertrauen verloren. Sie haben die AfD aus der rechten ID-Fraktion ausgeschlossen.
Am Donnerstagabend spricht ZDF-Talkmeister Markus Lanz mit zwei Politikern, die dieses Land mit geprägt haben. Es sind der ehemalige SPD-Vorsitzende, Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering und der ehemalige Innenminister Gerhart Baum von der FDP. Beide eint eine Idee: Sie wollen die Demokratie in Deutschland retten, und sie wissen, wie das gehen könnte.
"Das Grundgesetz kam nicht alleine", erinnert sich Baum, der 16 Jahre alt war, als es beschlossen wurde. "Vorher kam 1948 die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Und da steht der Schlüsselbegriff drin, der uns leitet: Menschenwürde." Die Völker hätten 1948 ihre Friedenssehnsucht mit dem Schutz der Menschenwürde verbunden. "Und das ist der Artikel eins unserer Verfassung bis heute." Heute sei die Würde der Menschen gefährdet.
Demokratie in Gefahr
"Wir haben eine stabile Demokratie. Aber die ist herausgefordert durch eine Gefahr, die ich so noch nicht erlebt habe: Eine freiheitsfeindliche Partei in allen Parlamenten, eingesickert in die Gesellschaft." Baum spricht von Menschen, die sich von unserem Staat abwenden. Systemverächter nennt er sie. Baum: "Wir sind in einer Situation, wo wir alle Anstrengungen wahrnehmen müssen, die Demokratie zu revitalisieren."
Auch auf internationaler Ebene sei zu beobachten, dass Politiker eine neue Weltordnung anstreben: "Diese Putins und Xis und wie sie alle heißen, die wollen nichts mehr wissen von der Menschenwürde in der Charta der Vereinten Nationen. Das ist ihnen gleichgültig." Baum sieht die Welt in einer gefährlichen Phase der Nachkriegspolitik. Das Zusammenleben der Völker verändere sich, Hass und Gewalt seien wieder ausgebrochen. Baum: "Es riecht nach Krieg."
Das Schlimmste in Deutschland sei das gesunkene Vertrauen vieler Menschen in die Politik und die Parteien, die die Probleme lösen könnten, sagt Baum. Damit scheint er nicht ganz Unrecht zu haben. Moderator Markus Lanz weist auf Umfragen hin, nach denen 22 Prozent der jungen Wähler sich vorstellen könnten, Parteien wie die AfD zu wählen. Die diesem Wert zugrunde liegende Umfrage ist jedoch umstritten, das Meinungsforschungsinstitut Forsa zeichnete jüngst in einer eigenen Auswertung ein differenziertes Bild von der Wählerschaft der AfD.
Plädoyer für Zusammenhalt
Doch hier greift Franz Müntefering ein. "Aber wir haben die Mehrheit", sagt er. "Das müssen wir sagen, und das müssen wir bald machen." Ihn stört das geringe Interesse an der Europawahl. Müntefering: "Wir müssen mit den jungen Leuten nicht darüber streiten, theoretisch und intellektuell. Sondern man muss denen sagen: Da wird gewählt. Da wird gewählt, ob es ein demokratisches Europa gibt - oder nicht. Das ist bei uns auch so. Da muss man angreifen."
Müntefering hält die Demokratie im Gegensatz zu seinem Kollegen Gerhart Baum für nicht gefährdet: "Es gibt Leute, die uns hassen, die uns weg haben wollen, die ganz Demokratie. Und deswegen kommt es darauf an, auch bei den Wahlen im nächsten Jahr, wenn wir alle, die Sozis und die Liberalen, die Grünen, die Union und die Linke, wenn die alle zusammenhalten und sagen: Unterhaken und durch. Dann wollen wir mal sehen, wer dann Recht behält. Und dann haben wir in fünf Jahren auch wieder Ruhe." Einer alleine könne das nicht schaffen, aber eine Mehrheit, die zur Demokratie hält und zumindest wählt. Auch in Europa.
Auch Baum fordert: "Wir dürfen nicht nur in Umfragen sagen, wir sind für die Demokratie, sondern wir müssen auch mal etwas dafür tun. Und ich erlebe Leute, die das wollen. Die Energie, die jetzt in den Demonstrationen (für Demokratie und gegen rechts) zum Ausdruck kommt, die müssen wir nutzen."
Quelle: ntv.de