Deitelhoff zum Alaska-Gipfel "Die nächsten 48 bis 72 Stunden sind entscheidend"
16.08.2025, 13:59 Uhr Artikel anhören
Trump sagte, auch Putin wolle das Sterben in der Ukraine beenden. "Klingt schön, ist Blödsinn", sagt Nicole Deitelhoff dazu.
(Foto: dpa)
Trump und Putin haben in Alaska versucht, sich gegenseitig einzuwickeln, sagt die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff: Der Kremlchef sagte, "was der Narzisst Trump über sich hören will". Und der US-Präsident rollte in jeder Hinsicht den roten Teppich aus. Dennoch hält Deitelhoff das Treffen in Anchorage weder für sinnlos noch für einen Tabubruch. Ein positives Indiz sieht sie in Trumps Sehnsucht nach dem Friedensnobelpreis.
ntv.de: Putin und Trump haben bei ihrem gemeinsamen Auftritt am Ende ihres Gipfels in Alaska so getan, als sei der Gipfel ein großer Erfolg gewesen. Gibt es irgendein Anzeichen, dass es wirklich irgendeinen Fortschritt gab?
Nicole Deitelhoff: Momentan gibt es überhaupt keinen Hinweis darauf, dass durch die Gespräche Fortschritte erzielt werden konnten. Allerdings muss die Aussage "es gibt noch keinen Deal" auch nicht heißen, dass dieses Treffen sinnlos war. Es wäre auch möglich, dass die beiden Verhandlungsteams versucht haben, die roten Linien des Gegenübers abzutasten. Man nennt das BATNA: "best alternative to a negotiated agreement", also die beste Alternative zu einer richtigen Verhandlungslösung. Was ist Putin bereit hinzunehmen? Wo zeigt er Flexibilität und wo nicht? Das könnte dann den Rahmen für eine künftige Vereinbarung abgeben. Ungewöhnlich ist nur, dass das auf einem Gipfel stattgefunden hat.

Prof. Dr. Nicole Deitelhoff ist Chefin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung und lehrt Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungspolitik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
(Foto: Uwe Dettmar)
Warum ist das ungewöhnlich?
Dafür nutzt man normalerweise keinen Gipfel, sondern informelle Vorgespräche hinter verschlossenen Türen. Meine Vermutung ist: Das Trump-Team hoffte, es könne Putin mit dem buchstäblichen Ausrollen des roten Teppichs so umgarnen, dass er sich stärker bewegt als bisher. Ich denke, diese Hoffnung müssen wir als gescheitert betrachten. Putin hat sich darauf offenbar nicht eingelassen. Er hat die Show sicher genossen, aber eingelenkt scheint er nicht zu haben.
Stattdessen hat Putin in Alaska wiederholt, was er seit Jahren verkündet: "Die Situation in der Ukraine hat mit den fundamentalen Bedrohungen unserer Sicherheit zu tun." Dabei stand er unter dem Slogan "Pursuing Peace", also frei übersetzt: Wir streben nach Frieden.
Der ganze Gipfel war durchorchestriert, von der herzlichen Begrüßung auf dem Rollfeld, der gemeinsamen Fahrt in Trumps Wagen bis zum Slogan, unter dem das Treffen stattfand. Trump wollte Putin signalisieren: Du gehörst in den Kreis der Großmächte, das hat Trump auch mehrfach gesagt. Man wollte ihn dazu bringen, dass es ihm leichter fällt, Angebote zu machen. Aber nach allem, was wir bisher wissen, hat das nicht gefruchtet.
Putin hat diesen Gipfel genossen. Wenn er derart von der Führungsmacht des Westens hofiert wird, ist seine Isolation auf dem diplomatischen Parkett faktisch beendet. Das allein war für Putin ein großer Gewinn. Dennoch muss man betonen, dass es viel schlimmer hätte kommen können. Wir hätten in Anchorage auch ein Jalta 2.0 erleben können, in dem Putin und Trump nicht nur die Ukraine, sondern auch Europa in Einflusszonen aufteilen. Das ist offensichtlich ebenfalls nicht passiert.
Putin bestätigte in Alaska ausdrücklich, was Trump immer sagt: Dass es keinen Krieg gegeben hätte, wenn Trump 2022 Präsident gewesen wäre. Trump nannte Putins Statement daraufhin "profund" und sagte allen Ernstes, Putin wolle genauso wie er, dass das Sterben in der Ukraine endet. Hat Trump sich einwickeln lassen?
Es ist ja nichts Neues, dass Trump schon immer eine gewisse Affinität zum russischen Präsidenten hatte - fast schon eine Schwärmerei. Putin ist mit seiner Vergangenheit als KGB-Agent durchaus in der Lage, jemanden wie Trump zu charmieren. Und so wie Trump versucht hat, Putin einzuwickeln, hat Putin es auch mit Trump versucht. Die Aussage, dass es den Krieg mit Trump nicht gegeben hätte, das ist genau das, was der Narzisst Trump über sich hören will: Mit ihm im Weißen Haus wäre alles ganz anders gekommen, alle anderen sind Versager und Loser. Trump reagiert ja, wie wir wissen, selbst auf die durchsichtigsten Schleimereien mit Lob und Dankbarkeit.
Und Sie glauben trotzdem nicht, dass Trump sich von Putin hat einwickeln lassen?
Die Sorge, dass das passieren würde, gab es bei den Europäern, aber ebenso in Trumps Umfeld. Das war ein Grund, warum man in kleinen Teams verhandelt hat und nicht Trump mit Putin allein. Allerdings deutet die Pressekonferenz ohne Fragen darauf hin, dass Trump wusste, dass er keinen Erfolg zu vermelden hatte, sondern eher PR-Floskeln. In diese Rubrik würde ich die Aussage packen, Putin wolle ein Ende des Sterbens in der Ukraine. Klingt schön, ist Blödsinn.
Entscheidend wird sein, was in den nächsten Tagen passiert, in den nächsten 48 bis 72 Stunden - vor allem mit Blick auf die Sanktionsdrohungen, die Trump vor dem Gipfel gegen Russland erhoben hat und mit Blick auf Selenskyjs Besuch in Washington nächsten Montag. Bei den Verhandlungsrunden in Saudi-Arabien war es stets so, dass beide Parteien schon kurz nach den Gesprächen Pressemitteilungen veröffentlicht haben, in denen die Ergebnisse der Treffen ganz anders bewertet wurden als zuvor von den USA verkündet. Wenn dies jetzt nicht so ist, wäre dies zumindest ein kleiner Fortschritt.
Bei der BBC sagte eine Kommentatorin, auf dem roten Teppich sei eine rote Linie überschritten worden. Ist es ein Fehler, sich zu solchen Gesprächen mit einem Herrscher zu treffen, der vom Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher angeklagt wird?
Ich glaube nicht, dass das ein Fehler ist. Wenn man Gewaltkonflikte beenden will, muss man auch mit den Verbrechern dieser Welt sprechen. Wir können Putin nicht ignorieren und darauf pochen, dass er schließlich ein Krimineller ist, so funktioniert die internationale Politik nicht. Putin ist der Oberbefehlshaber von Streitkräften, die in einem anderen Land stehen und jeden Tag Menschen töten. Andere Staaten müssen in der Lage sein, auch mit so jemandem Gespräche zu führen, um die Chancen für eine Beendigung eines Konfliktes auszuloten.
Eine andere Frage ist, ob man ihm dafür einen roten Teppich ausrollen muss. Wie gesagt, ich glaube, dahinter stand eine Strategie, um Putin zu Zugeständnissen zu bewegen. Ob das geglückt ist, werden wir vielleicht in den nächsten Tagen oder Wochen sehen. Es sieht zwar nicht danach aus: Das Treffen war kürzer als gedacht und auf der Pressekonferenz wurden keine Fragen zugelassen. Aber das könnte auch daran liegen, dass man jetzt noch nicht öffentlich über Grundzüge einer möglichen Vereinbarung sprechen wollte, die in Alaska möglicherweise entwickelt wurden, damit sie nicht gleich wieder einkassiert werden. Zumindest sollte man diese Möglichkeit nicht per se ausschließen.
Die Europäer hatten Trump fünf Punkte für sein Gespräch mit Putin mitgegeben, einer davon war, dass der Ausgangspunkt etwaiger Verhandlungen ein Waffenstillstand sein müsse. Was ist der Sinn dieser Position?
Die Ukraine ist auf dem Schlachtfeld unter Druck, zumindest momentan scheint sie militärisch ins Hintertreffen geraten zu sein. Die Position, für etwaige Verhandlungen müsse erst ein Waffenstillstand gefunden werden, beruht darauf, der Ukraine erst einmal eine Situation zu erzeugen, in der sie überhaupt die Möglichkeit hat zu verhandeln, statt nur um ihr Überleben zu kämpfen. Zudem befürchten die europäischen Regierungen zu Recht, dass Putin Verhandlungen als Strategie benutzt, um mehr Zeit zu gewinnen - um die Ukraine eben doch noch militärisch niederzuringen. Diese Strategie hat er in den letzten Monaten parallel zu den Gesprächen in Saudi-Arabien erfolgreich vorgeführt. Mit jedem Gespräch hat Putin seine Angriffe auf die Ukraine nur noch verstärkt, Deswegen die Idee: erst einen Waffenstillstand. Und wenn der hält, dann kann man auch die Bedingungen eines Friedensabkommens aushandeln.
Der russische Außenminister Lawrow kam mit einem Pulli, auf dem CCCP stand, die russische Abkürzung für die Sowjetunion, deren ehemaliges Territorium Putins Regime mehr oder weniger offen für Russland beansprucht. War das ein alberner Witz oder eine dreiste Drohung, dass Russland früher oder später auch die baltischen Staaten angreifen wird?
Tja, Lawrow. Von dem kennt man das schon, dass er gern mal mit Aktionen auf sich aufmerksam macht, die gegen die diplomatische Etikette verstoßen. Ich würde daraus aber keine Drohung lesen, das wäre aus meiner Sicht zu weit gesprungen. Es sollte wohl eher eine Provokation Richtung Europa sein, auch ein Signal an die USA, um deutlich zu machen, wie Russland seine eigene Position einschätzt: nicht als regionale Mittelmacht, wie Barack Obama das mal beschrieben hat, sondern als Großmacht, die stolz auf das sowjetische Erbe ist.
Trump strebt erklärtermaßen nach dem Friedensnobelpreis. Ist er seinem Ziel nach dem Alaska-Gipfel einen Schritt nähergekommen?
Das unterschätzen viele nach wie vor: Die Hoffnung auf den Friedensnobelpreis - man könnte fast von einer fixen Idee sprechen - scheint doch einiges an seinem außenpolitischen Verhalten zu motivieren. Beim Ukrainekrieg schwankt er ja erkennbar zwischen "ich gehe ganz raus und lasse die ihren Mist alleine machen" und "ich kriege das irgendwie hin, ich kann doch so gut mit Putin". Wenn man sich anguckt, wie er in den letzten Monaten einen Konfliktherd nach dem anderen zur Chefsache erklärt hat und von den jeweiligen Konfliktparteien auch tatsächlich für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, dann muss man annehmen, dass er sich das auch in diesem Konflikt wünscht. Durch diesen Gipfel sind seine Chancen darauf sicherlich nicht gestiegen. Aber: Trump will den Friedensnobelpreis, er ist bereit, viel dafür zu tun. Das könnte immerhin ein positives Indiz dafür sein, dass sich die USA weiter engagieren werden und dass es in der Folge auch zu weiteren Verhandlungsschritten kommen könnte.
Mit Nicole Deitelhoff sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de