Illner-Talk über Israel-Krieg Gauck: "Die Exzesse in Neukölln sind eine Unkultur"


Der Antisemitismus, der sich in Schulen, Familien und auf der Straße seit Jahren zeige, sei und bleibe widerlich, sagt Gauck.
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Die Talkshow Maybrit Illner ist am Donnerstagabend zweigeteilt. Am Anfang unterhalten sich die Gäste über die Situation im Nahen Osten. Den größten Teil bestreitet aber Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Er macht sich Gedanken über den Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland.
Deutschland muss im aktuellen Nahostkonflikt an der Seite Israels stehen. Das fordert der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck in der ZDF-Talkshow Maybrit Illner am Donnerstagabend. Dort ist der ehemalige Politiker zu einem Einzelinterview zu Gast, nachdem sich die Experten zu der aktuellen Situation im Nahen Osten geäußert haben.
"Wenn wir in Deutschland über Israel sprechen, tun wir das aus einer besonderen Situation heraus, die kein anderes Land mit uns teilt", erklärt Gauck. Deutschland sei dafür verantwortlich, dass der millionenfache Mord an Juden während des Holocaust zu einer internationalen Lösung geführt habe, die den Palästinensern nicht gefalle. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Vereinten Nationen erkannt, dass die Jüdinnen und Juden eines Raumes bedürfen, in dem sie sicher seien. Darum hätten sie einen Verteilungsplan entwickelt, den die Palästinenser nie akzeptiert hätten.
In der aktuellen Situation werde Deutschland nicht übermütig, wenn die Politik auch kritische Fragen stelle. "Aber wir lassen uns auch stützen von kritischen Fragen gegenüber der kritischen Politik in Israel von Israelis selber, denn die Israelis kritisieren ihren Ministerpräsidenten Netanyahu dauernd und sehr kräftig."
"Es gibt Fehler, die sind nur schwer zu ertragen"
Diese Kritik aus Israel bringt in der Diskussion vorher ZDF-Heute-Moderator Christian Sievers auf den Punkt, der jahrelang Korrespondent in Tel Aviv war. Die Regierung von Benjamin Netanjahu stehe unter erheblichem Druck, erklärt Sievers. Sie müsse die Geiseln befreien, die die Terrororganisation Hamas in den Gazastreifen verschleppt habe, gleichzeitig müsse sie die Hamas schlagen. Beides erweise sich als sehr schwer. "Dann kommt noch ein Punkt, den die Israelis im Moment noch zurückstellen, und zwar die Frage nach der Verantwortung und nach dem, was schiefgelaufen ist", so Sievers.
Die Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen sei sehr gut gesichert. "Da hat man immer einen ganzen Tag festgesessen, weil die Israelis wirklich alles kontrolliert haben. Da steht ein Zaun, der angeblich eine Milliarde Euro gekostet hat und der zehn Meter tief in den Boden hineingerammt wurde, damit bloß niemand aus dem Gazastreifen nach Israel kommt. Da wird die Regierung noch ganz viele Fragen beantworten müssen, denn das Tolle an Israel ist, dass es eine sehr lebendige Demokratie hat und eine sehr lebendige Presse, die schon jetzt die Frage stellt, wie es dazu kommen konnte."
Deutschland werde nicht aufhören, mit Israel solidarisch zu sein, so Gauck später. Dabei sei es egal, ob die Regierung in Israel Fehler mache. "Es gibt manche Fehler, die sind nur schwer zu ertragen", sagt Gauck, vermutlich mit Blick auf die geplante Justizreform der israelischen Regierung. "Aber noch schwerer zu ertragen wäre es, wenn das Volk derer, die Abermillionen hingemordet haben, sich gänzlich abwendet und so tut, als ginge uns das nichts an."
Exzesse wie in Berlin-Neukölln sind "Unkultur"
Viele in Deutschland lebende Menschen scheinen das anders zu sehen, wie der wachsende Antisemitismus zeigt. Gauck ruft bei Illner jene auf, die sich bemühen, anständig zu bleiben, "sich nicht zum Gegenhass aufstacheln zu lassen." Unmöglich sei, den Schaden wieder gutzumachen, den unsere Vorväter angerichtet haben. "Aber es ist wichtig anzuerkennen, dass uns eine besondere Verantwortung zugefallen ist."
Der Antisemitismus, der sich in Schulen, Familien und auf der Straße seit Jahren zeige, sei und bleibe widerlich. "Aber wenn man einen virulenten und an vielen Schulen und anderen Orten auffindbaren Antisemitismus gar nicht mehr ernst nimmt, dann denken die, sie könnten sich alles erlauben. Und dann gibt es diese Exzesse wie in Berlin-Neukölln. Das ist eine Unkultur, der die Bevölkerung und die Politik gleichermaßen entgegentreten muss."
Man müsse versuchen, Menschen aus dem Gefängnis des Hasses zu lösen, aus dem Antisemitismus entstehe, wünscht sich Gauck. Darum müsse man "die liberalen Geister aus dem Milieu der Zugewanderten ernst nehmen und sich mit ihnen solidarisieren." Gleichzeitig müsse man über Antisemitismus reden, auch in den Schulen in den Hotspots, wo viele Zugewanderte aus dem arabischen Raum leben. "Wir dürfen dort das Thema nicht meiden, auch wenn uns das Schwierigkeiten in den Klassen bringen würde", fordert Gauck.
Quelle: ntv.de