Handelsabkommen abgelehnt Grüne stellen sich bei Mercosur gegen Habeck und Co.
25.11.2023, 18:32 Uhr Artikel anhören
Brüskiert: Habeck und Brantner auf dem Parteitag in Karlsruhe.
(Foto: picture alliance/dpa)
Seit Monaten ringt die Bundesregierung um ein Handelsabkommen mit Lateinamerika, allen voran Bundeswirtschaftsminister Habeck und seine Staatssekretärin Brantner. Doch die Basis begehrt auf. Beim Parteitag in Karlsruhe schreiben die Delegierten eine Änderung ins Europawahlprogramm, die es in sich hat.
Nur wenige Länder haben in den vergangenen zwölf Monaten so viel Besuch deutscher Regierungsvertreter erhalten wie Brasilien. Das Land wird seit der Wahl von Präsident Lula nicht nur im Konflikt mit Russland umworben, sondern ist auch Schlüsselpartner für ein zentrales Vorhaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck: Das Handelsabkommen Mercosur - mit den großen Volkswirtschaften Brasilien und Argentinien als Schlüsselpartner - abzuschließen, und zwar noch möglichst im laufenden Jahr. Doch die eigene Parteibasis stellt sich quer: Auf dem Bundesparteitag in Karlsruhe stimmten 53 Prozent der Delegierten für einen Änderungsvorschlag zum Europawahlprogramm. Darin steht nun: "Wir lehnen das EU-Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Form ab."
Die grünen Bundesminister sind nicht an das Wahlprogramm gebunden, wenn es am Sonntag final verabschiedet wird, zumal das Abkommen EU-seitig festgezurrt wird und die Mitgliedstaaten nur noch das Ergebnis abnicken können. Im Falle Deutschlands: die Bundesregierung, nicht der Bundestag. Einfacher wird die Arbeit im Bund sowie das Verhältnis zwischen Parteibasis und - spitze durch das Votum trotzdem nicht. Schließlich sollen die Grünen-Mitglieder mit dem Programm im Frühjahr in den Europawahlkampf ziehen, mit einem Papier, das dann dem Handeln der eigenen Bundesminister widerspricht.
Nachdem die Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour am Freitag mit Werten von jeweils um die 80 Prozent für eine weitere Amtszeit gewählt worden und die Bundesminister Habeck und Annalena Baerbock mit viel Applaus bedacht worden waren, markiert die Mercosur-Abstimmung den ersten größeren Dissens. Am Abend wird zudem eine leidenschaftliche Debatte erwartet, wenn es um die Asylpolitik der Grünen geht.
Sanktionsmöglichkeiten gefordert
Im abgeänderten Programmtext werden nun Nachverhandlungen gefordert, "um grundlegende Veränderungen zu erreichen für ein faires, ökologisches und postkoloniales Abkommen". Die Autoren machten sich insbesondere dafür stark, dass gewährte Handelspräferenzen als Form der Sanktion ausgesetzt werden können, wenn ein Partnerstaat eingegangene Verpflichtungen im Sozial-, Umwelt- und Klimabereich missachtet. Daraus spricht die Sorge der Fürsprecher der Änderungen, dass das Abkommen die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes befeuern könnte, etwa für den Anbau von Soja-Produkten für den Export in die EU. Vor der Messe in Karlsruhe hatten unter anderem Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace, für viele Parteimitglieder natürliche Verbündete, von den Grünen eine Umkehr gefordert.
Vor der Abstimmung warnten die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge und Habecks zuständige Staatssekretärin Franziska Brantner eindringlich vor einer Änderung des ursprünglichen Textes. Auch Außenministerin Annalena Baerbock hatte früher am Tag geworben, dass "Handelsabkommen zwischen Wertepartnern, zwischen Demokratien und lateinamerikanischen Demokratien nicht nur funktionieren können, sondern mehr sind als ein Handelsabkommen". Europa müsse neue Bündnisse schmieden im globalen Ringen mit Autokratien.
China statt EU?
"Wir haben da gar keinen Streit, und den sollten wir uns auch nicht einreden lassen", sagte Baerbock, nur um Stunden später zu erleben, dass es beim Thema sehr wohl tiefgreifende Differenzen in der Partei gibt. Für den Änderungsantrag sprachen die Bundestagsabgeordneten Kathrin Henneberger und Karl Bär. Weil die darauffolgende Abstimmung per Handvotum so knapp war, mussten Stimmzettel ausgezählt werden. Die Forderung des abgeänderten Textes praktisch umzusetzen, wäre aus Sicht Brantners schwierig: Die Brasilianer ließen sich nicht von den Europäern vorschreiben, wie sie den Regenwald zu schützen haben, während die Europa gar keinen Urwald mehr haben, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin.
Dröge und Brantner warnten zudem davor, Lateinamerika ohne das Handelsabkommen China zu überlassen, das bei seinen Wirtschaftsbeziehungen überhaupt keine Rücksicht auf ökologische und soziale Standards nehme. Nach der Wahl des Populisten Javier Milei zum argentinischen Präsidenten steht das Mercosur-Abkommen zusätzlich infrage. Neben Argentinien und Brasilien gehören auch Uruguay und Paraguay zu den Mercosur-Staaten. 2019 war nach fast zwei Jahrzehnten währenden Verhandlungen ein Grundsatzübereinkommen geschlossen worden, das den beiderseitigen Marktzugang und Investitionen erleichtern soll.
Auch in Europa gibt es weiter Widerstand gegen Mercosur, etwa in Frankreich und Österreich. Die deutschen Grünen-Spitze hatte das Abkommen viele Jahre selbst harsch kritisiert, seit ihrer Regierungsbeteiligung im Bund aber nach eigener Einschätzung wesentliche Änderungen zum Besseren in Bezug auf Umweltschutz und Sozialstandards hineinverhandeln können. 53 Prozent der Parteitagsdelegierten genügte das nicht.
Quelle: ntv.de