Mögliche deutsche EU-Kommissarin Terry Reintke ist Grünen-Spitzenkandidatin zur Europawahl
24.11.2023, 14:51 Uhr Artikel anhören
Die 36-Jährige ist seit neun Jahren Europaabgeordnete.
(Foto: picture alliance/dpa)
Auf ihrem Parteitag in Karlsruhe wählen die Grünen die Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Terry Reintke, zur deutschen Spitzenkandidatin für die Europawahl. Die 36-Jährige peilt auch die europäische Spitzenkandidatur an. Sie könnte laut Koalitionsvertrag der Ampel sogar EU-Kommissarin werden.
Die Grünen haben auf ihrem Parteitag in Karlsruhe die erste Entscheidung für die Europawahl im kommende Frühjahr getroffen: Wie erwartet wurde Terry Reintke auf Platz eins der Kandidatenliste gewählt und erhielt dabei starke 95,2 Prozent. Die 36-Jährige bedankte sich für den "Rückenwind" ihrer Partei. Die Grünen wollen bis Samstagabend 39 weitere Kandidaten bestimmen. Die übrigen Kandidaturen sind mit mehreren Bewerbern umkämpft. Derzeit haben die deutschen Grünen 21 Abgeordnete in Brüssel und Straßburg sitzen. Ob ihnen noch einmal ein so hohes Ergebnis wie 2019 gelingt, ist ungewiss. Auch das Europawahlprogramm soll bis Sonntag final verabschiedet werden.
Reintke ist eine der Vorsitzenden der europäischen Grünen-Fraktion und will sich auch die Spitzenkandidatur der europäischen Grünen bewerben. Bei der Wahl gelte es "mit aller Kraft gegen einen Rechtsruck im Parlament" zu kämpfen, sagte sie und positionierte sich auch in der derzeit bei den Grünen heiß diskutierten Migrationsfrage. "Rechtsstaatlichkeit endet nicht an Europas Außengrenzen", so Reintke mit Blick auf die geplante EU-Asylreform. "Asyl ist ein Grundrecht." Die Grünen dürften "nicht zulassen, dass das auf den Altären von populistischen Schäbigkeitswettbewerben geopfert wird".
Die Partei wirbt in ihrem Europawahlprogramm für eine Infrastrukturunion, die die Stromnetze und Anstrengungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien zusammenführt. Europa solle Geld in die eigene Widerstandsfähigkeit sowie in Zukunftsbranchen pumpen. Ein weiteres Vorhaben: Die Grünen fordern eine europäische Plattform für Bahnreisen durch die gesamte Union. Die Grünen fühlen sich durch den Erfolg des 49-Euro-Tickets in Deutschland bestärkt und hoffen langfristig auch EU-länderübergreifend auf eine Art Flatrate-Tarif.
Nachfolgerin von Ursula von der Leyen?
Reintke war 2014 als damals jüngste Grünen-Abgeordnete erstmals in das Europaparlament gewählt worden. Die Politikwissenschaftlerin aus Gelsenkirchen gehört dem linken Parteiflügel an und befasst sich vor allem mit der Transformation der Wirtschaft, Klimapolitik, sozialer Gerechtigkeit sowie Fragen von Gleichberechtigung und Feminismus. Die Europaabgeordnete lebt in einer Beziehung mit der französischen Grünen-Politikerin Melanie Vogel, die Senatorin im französischen Oberhaus ist.
Größere öffentliche Aufmerksamkeit erlangte Reintke 2017: Sie wurde als Teil der #MeToo-Kampagne vom US-amerikanischen "Time"-Magazin ausgezeichnet, weil sie das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen in das Europaparlament gebracht hatte. Der Rückzug von Ska Keller im Herbst 2022 als Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament markierte den bislang wichtigsten Karriereschritt Reintkes. Gemeinsam mit dem Luxemburger Philippe Lamberts führt die Politikwissenschaftlerin seitdem die Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz, der Abgeordnete aus 17 Ländern angehören.
Der Posten bietet ihr gute Chancen für die Spitzenkandidatur der europäischen Grünen - das wird Anfang Februar auf einem Kongress in Lyon entschieden. Danach könnte es für die überzeugte Europapolitikerin steil nach oben gehen: Möglicherweise winkt dann sogar ein Posten als EU-Kommissarin. Jedes EU-Mitgliedsland kann einen Vorschlag für die Besetzung eines Postens in der Kommission machen. Würde die Christdemokratin Ursula von der Leyen nicht wiedergewählt, läge laut Koalitionsvertrag das Vorschlagsrecht für einen aus Deutschland stammenden Kommissar bei den Grünen.
Quelle: ntv.de, shu/AFP