Politik

Die Definition von Wahnsinn Gysi gegen Gauland - Showdown im Bundestag

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Vor Beginn der konstituierenden Sitzung blättert Alexander Gauland noch ein wenig in seinen Unterlagen - möglicherweise in der Geschäftsordnung des Bundestags?

Vor Beginn der konstituierenden Sitzung blättert Alexander Gauland noch ein wenig in seinen Unterlagen - möglicherweise in der Geschäftsordnung des Bundestags?

(Foto: picture alliance/dpa)

Kein Alterspräsident, kein Bundestagsvizepräsident - die AfD kann sich weiter in ihrer Opferrolle einkuscheln. Sahra Wagenknecht sucht derweil Säcke von Stimmzetteln. Und Gregor Gysi will ehrlicher werden.

Weißer Rauch stieg im Hohen Haus zwar nur über der inzwischen ziemlich weit rechts von der CDU/CSU sitzenden AfD-Fraktion auf, dennoch dürfen wir sagen: Habemus Bundestag. Weißer Rauch jetzt übrigens nicht, weil die in Teilen als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Krawallpartei AfD aus Protest gegen den veganen Woke-Wahn mitten im Plenarsaal ein Gammelfleisch-Wettgrillen unter der kulinarischen Leitung von Dosenrouladen-Gourmet Gunnar Lindemann veranstaltet hatte. Sondern, weil sich die auf 152 Sitze angewachsene AfD-Bundestagsfraktion in flächendeckendem Protestgrübeln übte, nachdem Gerold Otten, ihr Bundestags-Vize-Kandidat, in drei Wahlgängen keine Mehrheit erhalten konnte.

Dabei war die Personalie filigran ausgewählt. Otten war einst Luftwaffenoffizier. Und die stärkste inhaltliche Waffe der AfD ist: genau, Luft. Vor allem heiße. Da wirkte es wenig tröstend, dass Otten im dritten Wahlgang immerhin 184 Stimmen erhielt. 32 mehr als die AfD zu vergeben hatte. Mindestens 32 Abgeordnete von CDU, CSU, SPD, Grünen oder Linken hatten Otten also ebenfalls gewählt. Das sind satte 5 Prozent der 630 Abgeordneten. Otten ist damit, anders als beispielsweise die FDP, zumindest nicht an der 5-Prozent-Hürde zerschellt. Gut, die AfD hatte es 2019 bereits drei Mal erfolglos mit Gerold Otten als Kandidat für denselben Posten versucht. Albert Einstein soll gesagt haben: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten!"

Womit ich niemanden einen Wahnsinnigen genannt haben möchte. Schon gar nicht die politischen Vordenker der AfD. Die neigen zwar gelegentlich dazu, immer wieder das Gleiche zu tun. Also vornehmlich das Schlüpfen in Opferrollen, das Orchestrieren rassistischer Ausfälle und das Fehlinterpretieren von Fakten. Aber sie erwarten nie dasselbe Ergebnis. Im Gegenteil. Sie erwarten stets mindestens eine Verdopplung ihrer Relevanz, ihrer Wahlergebnisse sowie der Bewunderung ihrer Intelligenz.

Supergau-Land im Vogelschissparadies

Und damit zu Eberhardt Alexander Gauland, einem hochdekorierten Rechtspopulisten mit nahezu prophetischer Aura. Die Älteren unter uns werden sich erinnern, wie sich der mit volkstümlichen Gassenhauern à la "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte" oder "Wir werden Aydan Özoğuz in Anatolien entsorgen" zur Kultfigur der anti-linksgrünen Stolzmonat-Elite aufgestiegene Vorzeigedemokrat einst einen Shitstorm (englisch für "Scheißesturm") einfing, als er über die Wohnoptionen des Nationalspielers Jérôme Boateng philosophierte. Damals sagte Gauland, die Leute wollten "einen Boateng nicht als Nachbarn".

Die Empörung war groß. Von Antifa bis FDP war man sich einig: Alles unter ARD-"Brennpunkt" zum Thema "Jetzt muss die AfD aber endgültig verboten werden!" würde der Situation nicht ausreichend gerecht. Die Geschichte spielt aber auch Holocaust-Verharmlosern hin und wieder in die Karten. Exakt diejenigen, die sich seinerzeit aus Solidarität mit Boateng am liebsten ein "Jérôme My ♡-Nachbar"-Tattoo auf die Stirn hätten stechen lassen, würden heute lieber täglich persönlich den Selbstbräuner für Donald Trump anmischen, als neben Jérôme Boateng zu wohnen. Allerdings, so weit geht die schleichende Durchnazifizierung des Volkskörpers dann doch nicht, weniger aufgrund spontaner rassistischer Neuorientierung, sondern aufgrund diverser offenbar antipazifistischer Allüren, die Jérôme Boateng zu unschönen Ausflügen in die Abgründe harter Partnerschaftsgewalt verleitet haben sollen.

Das "M" in BSW steht für Wahlbetrug

Bevor nun aber Fans, Freunde sowie Mitstreiter der AfD und nach eigener Beschreibung neutrale Selbstdenker mal wieder mit dem vom "Xavier-Naidoo-Aluhut-TÜV"-geprüften Vorwurf auftrumpfen, hier versuche doch nur wieder eine vom Bundeslügenpresseamt alimentierte Mainstream-Kolumnistin, sich mit billigem AfD-Bashing bei ihrer hochwoke-geborenen Gender-Zielgruppe anzubiedern, möchte ich feststellen: Die AfD ist keinesfalls die einzige Partei mit eigentümlicher Programmatik und skurrilem Personal.

Es ist aber auch nicht einfach. Zwischen den Vokabeln "konstituierend" (wie in: Bundestag) und "konsternierend" (wie in: schon wieder kein Bundestags-Vize für uns) liegen nur ein paar winzige Buchstabendreher im Mittelteil. Verwirrend. Zumal sich die AfD als vieles, nur nicht als Partei der Mitte präsentieren kann. Genauso wenig übrigens wie die Linke. Der wurde nach den mehr oder weniger prominenten Abgängen von Sahra Wagenknecht über Amira Mohamed Ali bis Fabio De Masi zum Bündnis Sahra Wagenknecht im Spätsommer 2023 noch die Halbwertszeit eines durchschnittlichen Spaghetti-Eis unter einem Heizstrahler attestiert.

Relativ spektakulär sitzt nun jedoch genau diese Linke mit beachtlichen 64 Sitzen im frisch installierten neuen Bundestag, während das BSW, die FDP Russlands, nurmehr hektisch nach verschollenen Wahlzetteln sucht, durch die sie sich eventuell doch noch irgendwie selbst über die 5-Prozent-Hürde retten könnte. Da in einer funktionierenden Demokratie wie Deutschland üblicherweise Stimmzettel nicht säckeweise aus Wahllokalen verschwinden, dürfte sich die Wahrscheinlichkeit, Wagenknecht könne sich zu Neuwahlen schwurbeln, irgendwo zwischen "Clemens Tönnies als Tierfreund des Jahres ausgezeichnet" und "Pep Guardiola unterschreibt langfristigen Vertrag bei Tasmania Berlin" einpendeln.

Ob die Stimmzettel-Miss-Marple des BSW das so einfach akzeptieren wird, steht selbstredend auf einem anderen Blatt. In ihrer intellektuellen Heimat Russland blickten wir zuletzt der "am stärksten manipulierten Wahl seit 30 Jahren" entgegen. Das sagt jedenfalls Russland-Expertin Sabine Fischer (nicht verwandt oder verschwägert mit Ex-Außenminister Joschka Fischer, Atemwegs-Spezialistin Helene Fischer oder Fallrückzieherlegende Klaus Fischer). Vor diesem Hintergrund scheint verständlich, dass sich Team Wagenknecht mit dem Gedanken, bei unseren Wahlen würde alles mit sogenannten rechten Dingen zugehen, grundsätzlich schwertut.

Nur 2G im Bundestag - Gauland und Gysi

Das alles hinderte die "Arbeitsgruppe bedingungsloses Grundeinkommen" (im Volksmund auch die Linke genannt), nicht daran, Gregor Gysi ins Bundestagsposten-Rennen zu schicken. Und der cashte ordentlich ab. Als Erstes schnappte Gysi Alexander Gauland nämlich per hausordnungsrelevantem Taschenspielertrick die Position des Alterspräsidenten vor der Nase weg. Ein Skandal. Sagt zumindest die AfD. Gysi ist nämlich erst muntere 77 Jahre alt, Gauland aber schon 84. Und die landläufige Definition von "Alterspräsident" lautet: der Älteste. Schnell war man sich abseits der AfD aber fraktionsübergreifend einig, "Alterspräsident" bedeute selbstverständlich nicht: der betagteste Abgeordnete. Sondern fraglos: der mit der längsten Zugehörigkeit zum Parlament. Steht auch seit 2017 so in der Geschäftsordnung des Bundestags. Ja, ja. Mit der AfD kann man es ja machen. Danke, Merkel. Danke, Deutschland GmbH.

Geschäftsordnung hin oder her, in der Disziplin Bundestagszugehörigkeit blickt Gysi auf über 30 Jahre zurück. Als er erstmals in den Bundestag einzog, lief Gauland noch mit der politischen Trommel der Bedeutungslosigkeit um den Weihnachtsbaum. Und der stand in der hessischen Staatskanzlei. Übrigens damals noch als CDU-Mitglied. 40 Jahre verbrachte er in der Partei, die zum Dank heute nicht mit ihm koalieren will. Seine neue Frühstücksdirektor-Position bescherte Gysi dann auch gleich die Ehre, den neuen Bundestag mit einer Rede offiziell zu eröffnen. Nach 30 Jahren endlich Premiere für Gysi: eine Rede ohne nerviges Zeitlimit. Mit dieser spießigen Zwangsverknappung von Redezeit war sein legendärer Redeschwall in den vergangenen Dekaden regelmäßig kollidiert.

In seinem viel beachteten Vortrag gab er den überparteilichen Staatsmann und appellierte an einiges, vor allem an unsere Integrität: "Im Übrigen müssen wir alle ehrlicher werden!" Ob diese neue Ehrlichkeit auch die Frage nach dem Verbleib des gigantischen SED-Vermögens inkludiert, ließ Gysi offen. Wo die Milliarden verblieben waren, über die die SED-Nachfolgepartei PDS nach dem Zusammenbruch der DDR verfügte, wurde nie zufriedenstellend geklärt. Als vor 35 Jahren der Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft trat, hockte die SED-Nachfolgepartei PDS auf Bankvermögen, Beteiligungen, Immobilien und anderen Vermögenswerten in Milliardenhöhe, von denen heute größtenteils jede Spur fehlt. Vorsitzender der PDS damals, so viel Zeit muss sein: Gregor Gysi. Wie vertrauensbildend sich Gysis repräsentative Alterspräsidentschaft nun also auf das zu regierende Volk auswirkt, bleibt abzuwarten. Eine Revolution scheint aber weitestgehend unwahrscheinlich. Stellen wir uns also auf eine Legislaturperiode ein, in der wir Gregor Gysi häufig in genau dem Metier sehen werden, das er am besten beherrscht: die launische Rede vor Publikum. Vielleicht verrät er uns bei Gelegenheit ja sogar, ob Erich Honecker ein Vogelschiss in der tausendjährigen deutschen Geschichte war.

Quelle: ntv.de

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