Ein sich wiederholender Albtraum In Goma sind Millionen Menschen eingekesselt


Ein Fahrzeug der kongolesischen Armee passiert UN-Truppen nahe Goma.
(Foto: AP)
Die Millionenstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist von Rebellen umzingelt. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Kongos Armee ist bei der Verteidigung auf ausländische Truppen und UN-Blauhelme angewiesen.
Für viele Kongolesen ist es wie ein Albtraum, der sich wiederholt. Als am Donnerstagmorgen das dumpfe Dröhnen der Bombeneinschläge immer näher an die Millionenstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo herankommt, bricht in zahlreichen Stadtvierteln und den umliegenden Vertriebenenlagern Panik aus. Menschen, die in den vergangenen Jahren bereits mehrfach vor Gefechten geflohen sind, raffen eiligst ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und fliehen erneut.
Viele erinnern sich an den November 2012, als die Provinzhauptstadt Goma, direkt an der Grenze zum Nachbarland Ruanda, schon einmal von den Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) erobert wurde. Jetzt stehen die gut trainierten Kämpfer erneut vor den Toren der Handelsmetropole. Am Donnerstag nahmen sie im Handstreich die Kleinstadt Sake ein, rund 25 Kilometer westlich - ein strategisch wichtiger Schritt, denn damit steht quasi das Eingangstor in Richtung Goma offen.
Sofort geht auf der Onlineplattform X ein Handy-Video viral, aufgenommen von einem Soldaten der kongolesischen Armee, der von der Frontlinie flieht. "Sake ist gefallen, Sake ist gefallen!", wimmern die Soldaten darin, die sich im Laufschritt aus Sake Richtung Goma zurückziehen - alle bepackt mit ihren Habseligkeiten, in zerlumpten Uniformen, manche nur mit Flipflops an den Füßen. Armeegeländewagen brausen im rasanten Tempo die staubige Piste entlang. Die Moral der Truppen scheint am Boden.
Die Taktik von 2012
"Die Menschen in Goma haben wie andere Kongolesen bereits sehr gelitten!", erklärt M23-Sprecher Lawrence Kanyuka via X. Die M23 sei nun dabei, die Bevölkerung "zu befreien" und ihnen "Frieden zu bringen". Goma war bereits 2012 von der M23 erobert worden. Damals hielten die Rebellen die Handelsmetropole zehn Tage lang und zwangen Kongos Regierung dadurch an den Verhandlungstisch.
Diese Taktik wird offenbar wieder angewendet. Im Dezember waren die Friedensverhandlungen zwischen den Regierungen Ruandas und Kongos geplatzt. Die Afrikanische Union (AU) hatte im März den angolanischen Präsidenten João Lourenço damit beauftragt, im Kongo-Konflikt zu vermitteln und die Kriegsgegner an den Verhandlungstisch in Angolas Hauptstadt Luanda einzuladen. UN-Ermittlungen hatten Beweise geliefert, dass Ruanda die M23-Rebellen mit gut ausgebildeten Soldaten und hochmodernen Waffen unterstützt. Bei den M23-Kämpfern handelt es sich um kongolesische Tutsi, die in den Flüchtlingslagern Ruandas aufgewachsen sind.
Ruanda verneint dies und beschuldigt umgekehrt Kongos Armee, die ruandische Hutu-Miliz FDLR, die "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas", auszurüsten. In der FDLR-Führungsriege tummeln sich noch immer Völkermörder, die nach dem Genozid an über einer Million Tutsi in ihrer Heimat Ruanda, 1994 in den Kongo geflüchtet sind und sich dort im dichten Dschungel bis heute verschanzt haben. Für Ruanda bleibt dies ein Sicherheitsrisiko, das Land verlangt von Kongos Regierung deren "Neutralisierung".
Das Überleben in Goma wird immer schwieriger
Die Konfliktlage ist also komplex und nur schwer aufzulösen. Das in Angola ausgearbeitete Friedensabkommen sah vor, dass Ruanda aufhört, die M23 auszurüsten, während Kongo aufhört, die FDLR zu unterstützen. Beide Milizen sollen entwaffnet werden. Doch im letzten Augenblick verweigerte Ruandas Präsident Paul Kagame die Unterschrift unter den Friedensvertrag. Am nächsten Tag wurde nach fast sechsmonatigem Waffenstillstand an allen Fronten wieder scharf geschossen. Seitdem erobern die M23-Rebellen mit ruandischer Hilfe täglich neue Gebiete im Ostkongo. Mittlerweile haben sie sämtliche Zugangsstraßen in die Provinzhauptstadt unter Kontrolle.
Die Millionenstadt Goma, wo auch sämtliche internationalen Hilfswerke sowie die UN-Mission MONUSCO ihren Hauptsitz haben, ist eingekesselt. Das Überleben dort wird immer schwieriger. Durch die Gefechte wurden die Überlandleitungen beschädigt, die von den Wasserkraftwerken im Virunga-Nationalpark nach Goma führen. Seit Mittwoch gibt es keinen Strom mehr. Ohne Strom kann auch kein Wasser aus dem Kivu-See gepumpt werden, an dessen Ufern Goma liegt. Die Preise für Lebensmittel und Benzin sind ins Unermessliche gestiegen. Grundnahrungsmittel wie Reis oder Kartoffeln müssen aus Tansania oder Malawi über Ruanda nach Goma geliefert werden. Nur die Wenigsten können sich eine einzige Mahlzeit mehr am Tag leisten, viele nicht einmal mehr das. Westliche Regierungen haben ihren Staatsbürgern geraten, Goma zu verlassen.
Für Kongo ist ein Krieg mit Ruanda "eine Option"
Kongos Präsident Felix Tshisekedi befand sich am Donnerstag noch im Schweizer Davos, als ihn die Nachricht vom Vormarsch der M23 auf Goma erreichte. Er nahm dort am Weltwirtschaftsgipfel teil - und suchte auf dem internationalen Parkett nach Unterstützung.
Vorzeitig flog er dann zurück, um in Kongos Hauptstadt Kinshasa ein Sicherheitstreffen abzuhalten. Immerhin, in Davos hatte er sich mit Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa getroffen. Südafrika hat im vergangenen Jahr im Rahmen eines militärischen Partnerschaftsabkommens der SADC, der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft, deren Mitglied Kongo ist, Truppen in den Ostkongo entsandt, um Kongos maroder Armee unter die Arme zu greifen. Südafrikas Verteidigungsministerin Angie Motshekga ist derzeit auf Truppenvisite in Goma. Ihr "Engagement soll zu den Bemühungen beitragen, Friede, Sicherheit und Stabilität im Kongo herzustellen", erklärte das südafrikanische Verteidigungsministerium.
Eine ganze Karawane südafrikanischer Militärfahrzeuge bewegte sich am Donnerstag vom Internationalen Flughafen in Goma in Richtung des großen Militärgeländes in Mubambiro am Ufer des Sees - der nun letzten Bastion zwischen Goma und Sake, die noch von der Regierung gehalten wird. Auch die UN-Mission MONUSCO verlegte sämtliches Kriegsgerät dorthin. Rumänische Militärausbilder sind dort zudem stationiert, die im Ernstfall Goma mit verteidigen sollen. Mit Erfolg. Am Freitagfrüh konnte ein erster Vorstoß der M23 in Richtung Goma abgewandt werden. UN-General Khar Diouf versichert: "Die Sicherheitslage in Goma und Sake ist angespannt, aber unter Kontrolle."
Die M23 warnt jetzt die UN-Blauhelme und SADC-Truppen, sich aktiv in den Krieg einzumischen. Man halte sich "das Recht vor, sich im Falle eines Angriffs zu verteidigen", so M23-Sprecher Kanyuka. Experten und Analysten fürchten, dass der Konflikt weiter eskaliert. Kongos Regierungssprecher Patrick Muyaya drohte im Interview mit dem französischen Nachrichtensender France24, ein direkter Krieg mit Ruanda sei "eine in Betracht zu ziehende Option".
Quelle: ntv.de