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An der Basis brodelt es gehörig Israel-Krieg entfremdet US-Demokraten von Biden

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Zehntausende zivile Opfer und desaströse Umfrageergebnisse über Israels Militäreinsatz: US-Präsident Biden steht im Wahljahr unter Druck von unten. Das hat Folgen.

Es begann bei der Vorwahl in Michigan: Mehr als 100.000 US-Demokraten im Bundesstaat gaben nicht Joe Biden ihre Stimme, weil sie mit seiner Israelpolitik nicht einverstanden sind. Stattdessen kreuzten sie auf dem Wahlzettel "unentschieden" ("uncommitted") an - und zeigten so ihren Protest gegen den Kurs des US-Präsidenten in dieser Frage. Inzwischen sind es mehr als eine halbe Million Wähler, die so ihre Ablehnung ausgedrückt haben. Für Biden ist das eine große Gefahr, die Stimmung könnte sich zum wahlentscheidenden Problem auswachsen. Sein Erfolg im November hängt davon ab, wie viele Wähler er für sich mobilisieren kann - die Umfragen prognostizieren ein äußerst knappes Duell gegen Herausforderer Donald Trump. Es kann von kleinsten Störungen entschieden werden.

Der Krieg im Gazastreifen tobt seit einem halben Jahr. Israel will die radikalislamische Hamas ausradieren, sein Militär ist mit Härte gegen die palästinensischen Gebiete vorgegangen. Am Wochenende zog es sich zwar aus dem Süden des Gazastreifens zurück. Der Krieg ist jedoch nicht vorbei. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte, er wolle den Geiselaustausch erreichen, der derzeit in Kairo verhandelt wird, aber auch "den kompletten Sieg". Dafür sei es notwendig, die letzte Hamas-Bastion in der südlichen Stadt Rafah auszuheben. "Dieser Sieg erfordert, nach Rafah zu gehen und die dortigen Terroristen-Bataillone auszuschalten", sagte Netanjahu. "Dies wird geschehen, es gibt ein Datum."

In Rafah haben etwa eine Million palästinensische Zivilisten Schutz gesucht. Die Ernährungslage ist teilweise prekär, die Vereinten Nationen und andere warnen vor einer möglichen Hungersnot. Das wirkt sich auch auf die USA aus. Seit dem Massaker der Hamas in Israel, das den Krieg auslöste, hat sich die Stimmung in den USA gedreht, vorwiegend unter den Demokraten - und damit auch gegen den Präsidenten. Der hat Netanjahu davor gewarnt, eine Offensive in Rafah zu beginnen - sie sei eine "rote Linie" für die USA. Der Druck aus Washington könnte nun zu einem Strategiewechsel geführt haben, schreibt die "New York Times". Israel werde nun wahrscheinlich mit gezielten Kommandos in Rafah vorgehen, statt eine große Bodenoffensive gegen die radikalen Islamisten zu führen.

Breite Ablehnung von unten

In den Vereinigten Staaten lehnen 55 Prozent aller Wähler die israelische Kriegsführung im Gazastreifen ab. Unter Demokraten sind es sogar 75 Prozent, von den wenigen unabhängigen Wählern 60 Prozent. Nur zwei bis drei Prozent der US-Wählerschaft sind tatsächlich unabhängig, können bei Wahlen auf Messers Schneide aber den Unterschied machen. Die Umfrageergebnisse stammen aus der Zeit vor dem israelischen Angriff auf den Hilfskonvoi von "World Central Kitchen". Biden hatte da für seine Unterstützung Israels nur noch 18 Prozent der Demokraten auf seiner Seite. Inzwischen dürften die Zahlen noch negativer ausfallen.

Sorgen zu Hause, Sorgen im Ausland: US-Präsident Joe Biden

Sorgen zu Hause, Sorgen im Ausland: US-Präsident Joe Biden

(Foto: REUTERS)

Das lag an Bidens Devise, die bis vergangene Woche war: unverbrüchlich an der Seite Israels. Das ist zunächst wenig überraschend, die USA sind schon immer ein standfester Verbündeter und die große Schutzmacht Israels. Biden zeichnet sich zudem seit Jahrzehnten als großer Streiter für israelische Interessen aus. Als Vizepräsident unter Barack Obama sagte er einmal: "Israel könnte einen Faustkampf mit uns führen, wir würden es trotzdem verteidigen." Allerdings gab es auch in der Vergangenheit immer wieder Grenzen der Unterstützung, die US-Präsidenten dem Verbündeten aufzeigten. So wie aktuell.

Klare Meinungsverschiedenheiten zwischen Biden und Netanjahu sind mittlerweile offen erkennbar. Insbesondere was die Toleranzgrenzen palästinensischen Leidens betrifft, gibt es einen Riss. Nach dem Angriff auf den Hilfskonvoi drohte Biden in einem Telefonat Netanjahu: Verbessere sich die Situation der Zivilbevölkerung im Gazastreifen nicht schnellstens, würden die USA ihre Unterstützung für Israels Krieg überdenken. Es ist nicht bekannt, worum genau es dabei ging. Die USA liefern dem Partnerland Bomben und Waffen; jährlich fließen 3,3 Milliarden US-Dollar Militärhilfe an das Land in den Nahen Osten. Aber offensichtlich wirkte die Drohung. Netanjahu zog die Truppen zurück.

Es ist davon auszugehen, dass hinter verschlossenen Türen über nicht öffentlich dokumentierte Kanäle klarere Worte fielen. Inzwischen bleibt dem US-Präsidenten kaum noch etwas übrig. Junge Wähler sind eine entscheidende Gruppe für Biden, sie hatte den Demokraten vor vier Jahren ins Amt gehoben. Aktuell zeigen die Umfragen: Je jünger die US-Amerikaner, desto unzufriedener sind sie mit Bidens Haltung im Israel-Krieg. Insbesondere der progressive Flügel der Demokraten ist äußerst israelkritisch und propalästinensisch. Wie diese Wähler sich im November verhalten werden, kann nur ein Blick in die Glaskugel vorhersagen. Geben genügend von ihnen Biden trotzdem zähneknirschend ihre Stimme? Oder bleiben so viele zu Hause oder wählen anders, dass es ihn das Weiße Haus kostet?

Viel Bewegung unter Trump

Jahr 2017: Zwischen den damaligen US-Präsidenten Donald Trump und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu passt öffentlich kein Blatt.

Jahr 2017: Zwischen den damaligen US-Präsidenten Donald Trump und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu passt öffentlich kein Blatt.

(Foto: AP)

Inhaltlich fühlt sich Netanjahu offensichtlich mehr Trump als Biden verbunden. In dessen Amtszeit stellten die beiden auch gemeinsam einen Friedensplan in Israels Sinne vor. Trump erkannte Jerusalem als Hauptstadt an und verlegte die US-Botschaft trotz allen medialen Getöses und Drohungen aus der arabischen Welt dorthin. Er erklärte zudem Israels Anspruch auf die Golanhöhen für legitim. Im Gegenzug benannte Israel eine dort neu gegründete Siedlung "Trump Heights", die Trump-Höhen. Unter Trump und Netanjahu kamen auch die "Abraham Accords" zwischen Israel, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten zustande, eine Friedensabsichtserklärung.

Biden und Netanjahu kennen sich zugleich seit mehr als fünf Jahrzehnten. Das in der Vergangenheit fast freundschaftliche Verhältnis der beiden ist laut US-Regierungsmitarbeitern derzeit professionell, aber inhaltlich schwierig. "Die Beziehung befindet sich in einer ernsthaften Krise", zitierte das "Wall Street Journal" den früheren israelischen Botschafter in den USA, Itamar Rabinovich. Anfang des Jahres, da ging Israel seit drei Monaten mit Härte gegen die Hamas vor, wurde es persönlich. In einem Gespräch mit Biden empörte sich Netanjahu. Der hatte gelesen, dass die US-Regierung bereits Vorbereitungen für die Zeit nach Netanjahu treffe. Der US-Präsident wischte das Thema vom Tisch, aber die Episode zeigt: Ihre persönliche Beziehung spielt eine Rolle.

Biden warnte Netanjahu später, mit einem Großangriff auf die Stadt Rafah würde Netanjahu eine "rote Linie" überschreiten. Bei seiner Rede zur Lage der Nation im März sagte der US-Präsident in Richtung der israelischen Führung, "humanitäre Hilfe kann nicht zweitrangig oder Verhandlungsmasse sein". Bidens stellte seine Forderungen nach mehr Hilfen in der vergangenen Woche mit Nachdruck; Netanjahu gab nach. Am Montag beruhigten sich die Kämpfe im südlichen Gazastreifen, nachdem sich die israelische Armee zurückgezogen hatte. Ein Waffenstillstand auf Basis eines Geiselaustauschs wird derzeit im ägyptischen Kairo verhandelt.

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Für Biden ist der innenpolitische Schaden trotzdem immens, bis zur Wahl im November womöglich irreparabel. Der Krieg im Gazastreifen, unabhängig davon, in welcher Form ihn Israel nun weiterführt, hat bereits Zehntausende Zivilisten das Leben gekostet. Die meisten Anführer der Hamas leben, Tausende ihrer Kämpfer sind noch aktiv. Israel hat sich zumindest vorerst zurückgezogen und hinterlässt damit ein Machtvakuum, dass die Hamas nun wieder füllen könnte. Man könnte auch schreiben: Israel hat sein Ziel bislang nicht erreicht.

All das könnte Teile der Wählerbasis, auf die Biden angewiesen ist, verprellt haben. Schon vorher waren sie kritisch über die voraussichtliche Bilanz seiner Amtszeit, trotz außergewöhnlicher Umstände und historischer Gesetzesprojekte. Die Demokratische Partei hofft darauf, dass sich auch die jungen Wähler im November am Ende für Biden entscheiden, besonders wenn die Alternative Donald Trump heißt. Auch wenn es so kommen sollte: Die Basis fremdelt deutlich mit ihrem Präsidenten.

Quelle: ntv.de

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