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Ukraine-Talk bei Illner Klitschko: "Wir verteidigen jeden von euch"

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Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko nach einem russischen Angriff auf die Innenstadt am 25. März.

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko nach einem russischen Angriff auf die Innenstadt am 25. März.

(Foto: picture alliance / Sipa USA)

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat den Westen dringend um Hilfe für die Ukraine gebeten. In der ZDF-Talkshow Maybrit Illner sagt er am Abend, die Ukraine benötige Munition, aber auch Wirtschaftshilfe.

Die Lage in der Ukraine ist prekär. Waffenlieferungen aus dem Westen bleiben aus, ein 60-Milliarden-Dollar-Hilfspaket aus den USA hängt im Abgeordnetenhaus fest. Eine Abstimmung darüber scheitert an rechten Republikanern. Inzwischen hat sich auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu Wort gemeldet. Ohne weitere US-Hilfen würde sein Land den Krieg verlieren, warnte er. Denn es drohe eine russische Großoffensive. Über etwaige Schreckensszenarien mag SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nicht nachdenken. "Unsere Aufgabe ist es, jeden Tag alles dafür zu tun, dass diese Szenarien nicht eintreten", sagt er am Abend in der ZDF-Talkshow Maybrit Illner. Dort diskutieren die Gäste darüber, wie ein russischer Sieg in der Ukraine verhindert werden kann.

Mit diplomatischen Mitteln, ist sich Linken-Politiker Dietmar Bartsch sicher. "Das Bomben muss aufhören, und Diplomatie darf kein Schimpfwort werden", fordert er. Ähnlich wie sein Parteikollege Gregor Gysi verlangt auch er, "dass es möglichst schnell einen Waffenstillstand gibt, der der Beginn von Gesprächen ist". Doch darüber könne Europa nicht verhandeln. Das müssten Staaten wie die USA, China, Indien oder die Brics-Staaten tun.

Umdenken in Europa nötig

"Wir erleben den Krieg an einem ganz deutlichen Tiefpunkt", sagt auch ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf. Vor allem die humanitäre Lage am Boden sei katastrophal. Aber: "Dass Russland jetzt in ein paar schnellen Zügen die Ukraine erobert und die Ukraine den Krieg verliert, das sehe ich nicht." Sie fordert ein Umdenken in der europäischen Politik. Der Preis, den der russische Präsident Wladimir Putin für diesen Krieg zahlt, müsse hoch sein. Putin dürfe solche Kriege künftig nicht mehr führen können. Deswegen fordert Eigendorf eine europäische Sicherheitsstruktur, und zwar unabhängig von den USA. "Sonst machen wir uns ja total verletzlich."

Das Ausbleiben der amerikanischen Unterstützung wirke sich auf den Krieg in der Ukraine aus, weil die Armee des Landes nicht planen könne, analysiert Militärexpertin Claudia Major. Europa könne jedoch mehr tun. Dazu müsse jedoch der Krieg als etwas wahrgenommen werden, das Wohlstand und Sicherheit der europäischen Menschen betreffe.

Der Appell Klitschkos

Doch wie sieht es vor Ort aus? Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko ist für ein Interview aus der ukrainischen Hauptstadt zugeschaltet. Klitschko wirkt zwar zuversichtlich, doch er ist sich der Situation in seinem Land bewusst. "Ich möchte mich bedanken für die Luftabwehrsysteme, die aus Deutschland von unseren Partnern kommen", sagt er. Kiew sei besser geschützt als vor zwei Jahren, als der Krieg begann. "Aber wir haben nie genug Luftabwehrsysteme, denn wir müssen auch andere Städte schützen. Das ist die Frage Nummer eins. In unserer Stadt sind seit Kriegsbeginn mehr als 800 Gebäude zerstört worden, darunter mehr als 450 Wohnhäuser. Mehr als 200 Zivilisten sind getötet worden, darunter sieben Kinder. Wir werden jeden Tag angegriffen. Die Russen ruinieren unsere Infrastruktur. Heute wurde erneut ein Kraftwerk zerstört, vor ein paar Tagen das Elektrizitätswerk in Charkiw. Das Atomkraftwerk in Saporischschja verliert Energie. Das ist kein Krieg, das ist Terror. Putin hat angefangen, das Land zu verwüsten. In einigen Landesteilen können die Menschen nicht mehr leben, denn es ist unmöglich, ohne Elektrizität und Wasser zu leben."

Seit mehr als zwei Jahren halte die Ukraine der größten und stärksten Armee stand. "Trotzdem ist dieser Krieg ein Krieg der Ressourcen, der menschlichen und der finanziellen Ressourcen. Deshalb brauchen wir die Unterstützung unserer Partner. Das ist keine große Hürde. Wir schützen und verteidigen nicht nur unsere Häuser, unsere Städte und unser Land. Wir verteidigen jeden von euch. Denn in seiner kranken Phantasie will Putin das russische Imperium wieder einführen. Das ist kein Geheimnis."

Die Ukraine kämpfe für ihr Territorium. "Die Russen sind die führende Kraft. Sie versuchen uns mit ihren Muskelspielen zu zwingen, dass wir uns an einen runden Tisch setzen und um einen Kompromiss bitten. Und das würde bedeuten, dass wir einen großen Teil unseres Landes an die russische Föderation abtreten." Doch eine Garantie, dass die russische Armee nicht nach einiger Zeit erneut mit Angriffen beginne, gebe es nicht. Klitschko weiter: "Selbstverständlich wollen wir eine diplomatische Lösung. Aber im Moment gibt es nur eine Lösung: Wir müssen stark sein, politisch und bei der Verteidigung." Einen großen Teil des Landes abzutreten sei kein Kompromissvorschlag, dem die Ukraine zustimmen werde.

"Jede Waffe für die Ukraine ist eine Verteidigungswaffe"

Ob die Ukraine weiterhin Taurus-Waffen aus Deutschland benötige, will die Moderatorin wissen. Klitschko antwortet: "Jede Waffe, die Deutschland uns liefert, ist eine Verteidigungswaffe. Die Ukraine ist ein friedliches Land. Wir waren immer neutral und nie aggressiv gegen unsere Nachbarn. Heute haben wir keine andere Wahl: Wir müssen unser Land verteidigen. Die ganze Welt respektiert die ukrainischen Soldaten. Wir haben den Willen zum Sieg gezeigt, einen richtig harten Charakter. Der Wille zum Sieg ist gut, aber Waffen spielen eine wichtige Rolle. Es ist kein Geheimnis: Wir haben ein riesiges Defizit an Munition und verschiedenen Waffen. Deswegen brauchen wir schnelle Entscheidungen. Denn es geht um das Leben unserer Soldaten."

Ohne die Unterstützung der Partner könne die Ukraine nicht überleben. Die ukrainische Wirtschaft funktioniere nicht, die Logistik sei zerstört, das militärische Potential sei eingeschränkt. "Jeder muss verstehen: Der Sinn dieses sinnlosen Krieges für uns ist, ein Teil der europäischen Familie zu sein." Russland wolle sich die Ukraine einverleiben. "Jeder westliche Politiker muss verstehen: Ohne Waffenlieferungen, ohne einen ukrainischen Erfolg, geht Putin so weit, wie wir ihm zu gehen erlauben."

Quelle: ntv.de

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