Abstimmung über Impfpflicht Lauterbach appelliert an Vernunft der Union
07.04.2022, 10:06 Uhr
Das Hickhack um die Impfpflicht nimmt ein Ende: Im Bundestag stimmen die Abgeordneten darüber ab, ob der Corona-Piks für ältere Bundesbürger ein Muss wird. CDU, FDP und AfD erklären im Parlament ihren Widerstand. Die Vize-Fraktionschefin der SPD äußert bereits Durchhalteparolen.
Die stellvertretende Fraktionschefin der SPD, Dagmar Schmidt, hat im Bundestag für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahren geworben. Man müsse das Gesundheitssystem, die kritische Infrastruktur und die Gesundheit der Menschen schützen, sagte die Mitinitiatorin des Gesetzentwurfs. Entweder sei die Impflücke im Herbst weitgehend geschlossen und es gebe eine höhere Grundimmunität, oder es müssten wieder Maßnahmen bis hin zu Schließungen ergriffen werden. "Das Virus wird nicht einfach verschwinden."
Zugleich sprach Schmidt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits vor der Debatte im Bundestag ihre Unterstützung aus. "Wenn in einem Gruppenverfahren der Antrag, den man unterstützt, am Ende keine Mehrheit finden sollte, ist das kein Grund, seinen Hut zu nehmen", sagte Schmidt am Morgen im Deutschlandfunk. "Ich hab großes Vertrauen, dass wir mit unserem Gesundheitsminister eine gute Pandemiepolitik für den nächsten Herbst machen werden."
"Brauchen ihre Unterstützung"
Lauterbach selbst appellierte im Bundestag an die Vernunft von CDU und CSU. "Wir brauchen heute einmal ihre staatstragende Unterstützung, um im Herbst anders dazustehen als wir jetzt stehen", sagte der SPD-Politiker, der als Bundestagsabgeordneter und nicht als Minister sprach. "Sie können der Verantwortung nicht ausweichen, indem Sie sagen, Sie sind gesprächsbereit", erklärte Lauterbach. Denn die Verhandlungen seien lange geführt worden.
Lauterbach wies ebenfalls die Darstellung zurück, die Impfpflicht sei unnötig, weil die Omikron-Variante des Coronavirus weniger gefährlich sei. Omikron verlaufe deshalb milder, weil viele Menschen geimpft seien, sagte der Gesundheitsminister. Man dürfe sich nicht daran gewöhnen, "dass jeden Tag 200 bis 300 Menschen sterben". Die Impfpflicht würde 90 Prozent der Todesfälle verhindern.
Für die Abstimmung gelten nicht die üblichen Fraktionsvorgaben, es zeichnen sich ebenso keine klaren Mehrheitsverhältnisse ab. Nach der Aussprache soll der Bundestag zunächst über die Reihenfolge bei der Abstimmung entscheiden. Als einziger ausgearbeiteter Gesetzentwurf liegt der Kompromissvorschlag für eine Impfpflicht zunächst für Menschen ab 60 Jahre vor. Darauf hatten sich zwei Gruppen von Abgeordneten aus SPD, FDP und Grünen verständigt.
CDU pocht auf "ausgewogenen Vorschlag"
Zwei weitere Anträge lehnen eine Impfpflicht ab. Die Union fordert in einem Antrag zuerst den Aufbau eines Impfregisters, für den CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge im Bundestag als "ausgewogenen Vorschlag" warb. Man könne über eine Impfpflicht "nicht sofort und pauschal gleich entscheiden", erklärte er. Man brauche erst eine Datengrundlage.
Auch die Co-Fraktionschefin der AfD, Alice Weidel, und der FDP-Abgeordnete Wolfgang Kubicki bekräftigen im Bundestag ihre Ablehnung. Eine Impfpflicht sei "verfassungsfeindlich" und eine "totalitäre Anmaßung", sagte Weidel. Kubicki verwies auf die im Schnitt schwächeren Krankheitsverläufe bei der Infektion mit der Virusvariante Omikron. Auch werde durch die Impfung keine Herdenimmunität erreicht, zugleich werde es wahrscheinlich eine Überlastung des Gesundheitswesens nicht geben.
Kubicki appellierte daher an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Es sei nicht die Aufgabe des Staates, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu verpflichten, betonte der FDP-Politiker, der gemeinsam mit anderen Abgeordneten einen Antrag zur Erhöhung der Impfbereitschaft ohne allgemeine Impfpflicht unterstützt.
Streit in der FDP
Dagegen warb sein Parteikollege, FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, für breite Zustimmung zum Kompromissvorschlag für die Impfpflicht ab 60 Jahren. Man wolle Vorsorge treffen, keinen dritten Corona-Winter erleben und das Gesundheitssystem vor Überlastungen schützen, sagte Ullmann im Bundestag. Niemand könne seriös sagen, wie die nächste Welle aussehen werde. Nichts zu tun, wäre nach dem aktuellen Stand der Dinge möglich, "aber ein Pokerspiel". Vielmehr müssten Impflücken geschlossen werden.
Eine Gruppe um Ullmann hatte ursprünglich eine Beratungspflicht vorgeschlagen, die in einer Impfpflicht ab 50 Jahren münden sollte. Inzwischen unterstützt diese Gruppe mit Abgeordneten aus SPD und Grünen die Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahren.
Schutz nur vor schweren Verläufen
Bereits vor der Aussprache hatte CDU-Generalsekretär Mario Czaja erklärt, dass eine solche Impfpflicht in seinen Augen "nicht verhältnismäßig" wäre. Die verfügbaren Impfstoffe böten keinen zuverlässigen Drittschutz und verhinderten unter Omikron auch keine Infektion, sagte er. Daher sei es vor allem wichtig, dass Menschen sich impfen lassen, um vor schweren Verläufen geschützt zu sein.
Seit Beginn der Pandemie war eine allgemeine Impfpflicht lange über Parteigrenzen hinweg ausgeschlossen worden. Angesichts schleppender Impfungen sprachen sich Ende vergangenen Jahres aber unter anderem Kanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten doch dafür aus. Scholz hatte sich als Abgeordneter zunächst für eine Impfpflicht ab 18 starkgemacht. Wegen offenkundiger Meinungsverschiedenheiten bringt die Koalition allerdings keinen Regierungsentwurf ein. Wenn der Bundestag eine Impfpflicht beschließt, müsste auch der Bundesrat zustimmen.
Quelle: ntv.de, chr/dpa