CDU-Mann Sorge im Interview "Wir können doch jetzt keine Impfpflicht beschließen"
05.04.2022, 19:47 Uhr
Kommt die allgemeine Impfpflicht ab 50 Jahren? Am Donnerstag entscheidet der Bundestag. Im Moment sieht es nicht danach aus, dass einer der konkurrierenden Gesetzentwürfe eine Mehrheit findet.
(Foto: Robert Michael/dpa-Zentralbild/d)
Die Spannung steigt, am Donnerstag fällt im Bundestag die Entscheidung über eine Impfpflicht. Für alle wird es die nicht geben, so viel ist jetzt schon klar. Gesundheitsminister Lauterbach warb zuletzt für die Impfpflicht ab 50, hat dafür aber nicht die gesamte Ampelkoalition hinter sich. Mittlerweile heißt es, man strebe eine Impfpflicht ab 60 an. Hilfe von der Union wäre in jedem Fall willkommen. Deren gesundheitspolitischer Sprecher, Tino Sorge, erklärt bei ntv.de, warum er das ablehnt und warum es nicht darum gehe, der Ampel eins auszuwischen.
ntv.de: Eine Impfpflicht ab 18 und eine ab 50 lehnen Sie ab, aber was halten Sie vom neuen Vorschlag der SPD, nun eine Impfpflicht ab 60 ab Oktober einzuführen?

CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge bei einem Auftritt im Bundestag.
(Foto: picture alliance / Flashpic)
Tino Sorge: Wenn der neueste Kompromiss zwischen 18 und 50 jetzt plötzlich bei 60 liegen soll, kann etwas nicht stimmen. Zurecht wächst in beiden Lagern der Ärger, dass fast schon stündlich neue Kehrtwenden und Scheinkompromisse in Umlauf geraten. Die Gruppen verlieren dadurch nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch Unterstützer. Erneut wurden wir als Union weder informiert noch miteinbezogen. Das ist kein seriöses Verhandeln mehr. Das bewegt sich fernab jeder wissenschaftlichen Fundierung. Dieses politische Gefeilsche in sprichwörtlich letzter Minute wird der Komplexität des Themas nicht ansatzweise gerecht. Wir erleben blanken Aktionismus aus der Angst heraus, sich als Regierungskoalition zu blamieren. Für die Ampel liegen die Grundrechte in diesen Stunden als Verhandlungsmasse auf dem Tisch.
Wäre der Vorschlag nicht ein guter Kompromiss?
Der Vorschlag ist eine Mogelpackung. Es geht der Gruppe darum, bereits jetzt eine Impfpflicht ab 60 auf Vorrat, also Monate im Voraus, zu beschließen und im Herbst womöglich auf alle Erwachsenen auszuweiten. Die SPD rückt nur scheinbar von der Impfpflicht ab 18 ab, um in der jetzigen Abstimmung ihr Gesicht zu wahren. Sie weiß, dass sie damit momentan scheitern würde. Dafür will die SPD zunächst eine Impfpflicht ab 60 verpflichtend für alle beschließen, während Experten darüber streiten, ob sie wirklich notwendig ist. Dieser Impfpflicht auf Vorrat stimmen wir als Union nicht zu. Mehr noch: Der doppelte Boden dabei ist, dass große Teile der Gruppe an einer Impfpflicht ab 18 unverhohlen festhalten und sie im Herbst beschließen wollen. Das ist kein mehrheitsfähiger Kompromiss, sondern wird ein Fall für die Gerichte.
Sind Sie da wirklich kompromissbereit genug?
Wir haben als Union schon vor Wochen einen Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt. Der wurde notwendig, weil die Regierung bis heute keinen eigenen Regierungsentwurf unterbreitet hat. Denn nicht einmal in der Ampelkoalition gibt es eine Mehrheit für eine Impfpflicht. Selbst wenn man eine Überlastung des Gesundheitssystems im Herbst vermeiden will, ist eine allgemeine Impfpflicht nicht angebracht. Die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht haben weder ernstzunehmende Gesprächsbereitschaft erkennen lassen, noch fachlich mehrheitsfähige Kompromisse unterbreitet. Es gäbe durchaus Schnittmengen und wir waren in vielen Bereichen gesprächsbereit. Stattdessen wurde unser Vorschlag wochenlang belächelt. Mittlerweile bekommen wir nun auch aus den anderen Gruppen immer mehr Zuspruch. Wir sind optimistisch, dass wir für unseren Vorschlag eine Mehrheit bekommen könnten.
Friedrich Merz hat sich auf Twitter zuletzt sehr leidenschaftslos gezeigt. Wollen Sie überhaupt eine Impfpflicht?
CDU und CSU haben einen eigenen Antrag zur Impfpflicht vorgelegt. Dessen hervorstechendes Merkmal ist es, dass es erstmal keine allgemeine Impfpflicht geben soll. Stattdessen soll die Möglichkeit geschaffen werden, schnell eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen einzuführen, wenn wieder eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen sollte. Außerdem soll ein allgemeines Impfregister geschaffen werden. Vertreter der Union haben angekündigt, dass die eigenen Abgeordneten geschlossen für diesen Antrag stimmen werden, obwohl der Fraktionszwang laut Kanzler Scholz nicht gelten soll.
Es heißt immer: 'Ihr müsst euch doch auf etwas einigen'. Aber bei Grundrechtseinschränkungen wie einer Impfpflicht muss man sehr genau prüfen, ob sie anstelle milderer Mittel überhaupt angezeigt ist. Jetzt geht es darum, dass wir für den Herbst gerüstet sind. Eine pauschale Impfpflicht wäre aber weder wissenschaftlich begründet noch verfassungskonform. Wir können doch jetzt keine Impfpflicht beschließen, wenn wir noch nicht einmal wissen, welche Virusvariante wir im Herbst haben, welche Impfstoffe dann zur Verfügung stehen und vor allen Dingen, ob eine Impfpflicht dann überhaupt zielführend wäre. Mittlerweile wissen wir, dass bei der Omikron-Variante viele Infektionen nur zu milden Verläufen führen und eher die vulnerablen Gruppen und Menschen über 70 schwerere Verläufe haben. Da wäre es verfassungsrechtlich nicht geboten, pauschal und auf Vorrat alle Menschen zum Impfen zu zwingen.
Sondern?
Es geht vielmehr darum, dass wir eine belastbare Datengrundlage haben, daher schlagen wir zunächst ein Impfregister vor - damit man überhaupt weiß, wie der Impfstatus in der Bevölkerung ist. Gleichzeitig muss die Impfinfrastruktur aufrechterhalten werden, um schnell viele Menschen impfen zu können, falls das notwendig werden sollte. Der Gesundheitsminister plant das genaue Gegenteil und will die finanzielle Unterstützung für die Impfzentren zurückfahren. Er öffnet in allen Bereichen, lockert die Maskenpflicht und schafft die Quarantäne ab - nur bei der Impfpflicht meint er, auf einer Maximalforderung bestehen zu müssen, die verfassungsrechtlich nicht mehr haltbar ist. Dagegen haben wir unseren ausgewogenen Vorschlag vorgelegt.
Lauterbach sagt, dass nur eine sofortige Impfpflicht die nächste Welle im Herbst verhindert. Kommt Ihr Modell, erst zu impfen, wenn die nächste Welle da ist, nicht auf jeden Fall zu spät?
Auch diese Behauptung ist in dieser Form wissenschaftlich umstritten. Wir reden hier über Grundrechtseinschränkungen. Der körperlichen Unversehrtheit des Einzelnen steht in der Abwägung das Vermeiden einer Überlastung des Gesundheitssystems gegenüber. Momentan sehen wir aber keine Überlastung der Gesundheitssystems. Jetzt zu sagen, man greift einfach so in Grundrechte ein, weil man meint, das könnte zukünftig etwas bringen, kann nicht der verfassungskonforme Ansatz sein. Es geht um die Frage, was ein geeignetes Mittel ist, und vor allem auch darum, was das mildeste Mittel ist. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ein Großteil der Bevölkerung kein Risiko hat, einen schweren Verlauf von Covid-19 zu bekommen. Angemessener als eine Pflicht ist darum, die Menschen zu animieren, sich freiwillig impfen zu lassen, um das individuelle Risiko schwererer Verläufe zu minimieren. Gleichzeitig muss man darauf schauen, welche Altersgruppen ein sehr hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben.
Das wäre dann doch das Argument für die Impfpflicht ab 50 oder 60.
Selbst dort können wir keine pauschale Grenze bei 50 Jahren setzen. Ist das wissenschaftlich unter der künftig grassierenden Variante begründbar? Und zweitens, droht eine Überlastung des Gesundheitssystems, wenn wir diese Menschen nicht zur Impfung zwingen? Diese Daten haben wir im Moment nicht. Das wäre so, als würden wir eine Blutspendepflicht beschließen, weil Blut irgendwann einmal knapp werden könnte. Wir sind verfassungsrechtlich angehalten, Instrumente zu nutzen, die eine mildere Eingriffstiefe haben. Es ist doch völlig widersinnig, dass Minister Lauterbach das genaue Gegenteil macht. Einerseits die Maskenpflicht und die Quarantäne abschaffen, gleichzeitig aber eine pauschale Impfpflicht für alle durchsetzen zu wollen. Man kann nicht sagen: 'Ich greife pauschal in die Grundrechte ein, verzichte aber auf mildere Mittel.'
Glauben Sie denn nicht, dass eine Impfpflicht für alle hilft?
Das ist genau die Frage. Wir wissen, dass eine Impfung den Einzelnen schützt. Auch ich bin geboostert. Mit einer Impfung kann man einen Verlauf abmildern. Aber den Fremdschutz, dass ich also andere nicht infiziere, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden: Den leisten die Impfstoffe leider nicht. Jetzt zu sagen, man zwinge die Menschen pauschal zur Impfung, halten wir für den falschen Ansatz. Deswegen haben wir einen Vorschlag vorgelegt, mit dem - sollte durch andere Virus-Varianten eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen und nicht anders abwendbar sein - im Parlament eine Impfpflicht sehr schnell scharf gestellt werden kann. Das könnte innerhalb weniger Tage geschehen.
Die Behauptung, wenn sich jetzt alle impfen ließen, hätten wir im Herbst kein Problem, ist im Übrigen auch wissenschaftlich widerlegt. Wenn sich jetzt alle impfen ließen, wäre im Herbst aufgrund des nach einigen Monaten erheblich nachlassenden Antikörperstatus auch kein hinreichender Schutz gegeben. Richtig wäre jetzt, im Frühjahr und Sommer weiter für die Impfung zu werben und dann im Herbst zu schauen, welche Gruppen besonders gefährdet sind, um dann schnell reagieren zu können.
Lassen Sie die Impfpflicht scheitern, um die Ampelkoalition vorzuführen?
Nein. Wir haben einen Kompromiss vorgeschlagen, den wir auch in der Sache für fachlich richtig halten. Im Übrigen braucht aber eine Regierung auch eine eigene Mehrheit, wenn sie anderer Auffassung ist. Es kann nicht sein, dass Olaf Scholz und Karl Lauterbach in ihrer Ampelkoalition nicht um eine Mehrheit werben, diese verfehlen und stattdessen fordern, die Opposition müsste ihre fachlich zweifelhaften Vorschläge unterstützen. Es ist schon kurios, dass es in der Ampel mehrere diametral entgegengesetzte Anträge gibt, aber der Union vorgeworfen wird, wir wären nicht kompromissfähig. Wer als Regierung eine Mehrheit haben will, muss einen Vorschlag machen, der mehrheitsfähig ist. Es geht nicht um Parteipolitik, sondern darum, was wir fachlich für richtig halten.
Kann es noch einen Kompromiss geben?
Am Donnerstag wird abgestimmt. Wir sind optimistisch, dass unser Antrag eine Mehrheit bekommt.
Verhandeln Sie noch?
Wir sind immer gesprächsbereit, aber bei Mogelpackungen und fachlich zweifelhaften Scheinkompromissen, noch dazu in einem derart grundrechtssensiblen Bereich, machen wir nicht mit.
Mit Tino Sorge sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de