Fünf Haushalts-Erkenntnisse Lindner spart - aber ist das gut oder schlecht?


Der künftige Bundeshaushalt schrumpft im Vergleich zu diesem Jahr. Sprich: Deutschland spart. Finanzminister Lindner feiert die Rückkehr zur Schuldenbremse. Hat er recht damit? Fünf Erkenntnisse aus diesem Haushalt.
"Erzähl' mir nicht, was du wichtig findest - zeig mir deinen Haushaltsplan, dann sage ich dir, was du wichtig findest" - diesen Tipp, so erzählt es US-Präsident Joe Biden gern, habe er einst von seinem Vater erhalten. Diesen zu beherzigen, dazu ist nun auch hierzulande die Gelegenheit. Diese Woche diskutiert der Bundestag die Haushaltspläne von Finanzminister Christian Lindner. Schon auf den ersten Blick ist klar, wofür Deutschland das meiste Geld ausgibt: Für Arbeit und Soziales. Darauf entfallen 38,5 Prozent des Haushalts von 445,7 Milliarden Euro, mit Abstand der größte Posten. Auf Platz 2 folgt weit dahinter Verteidigung mit 11,6 Prozent. Doch diese Rangfolge ist schon lange so und nicht neu. Was aber muss man wissen? Der Teufel steckt im Detail, aber fünf Erkenntnisse fallen auf.
1. Schuldenbremse wird eingehalten - zu recht?
Für Lindner ist es wohl die wichtigste Botschaft, dass Deutschland ab 2024 wieder die Schuldenbremse einhält. 16,6 Milliarden neue Schulden plant der Finanzminister für das nächste Jahr ein und damit 30 Milliarden weniger als im Vorjahr. Alle Ministerien außer dem Verteidigungsressort mussten dafür einen Beitrag leisten - Verteidigungsminister Boris Pistorius darf sogar mit 1,7 Milliarden Euro mehr rechnen.
Der FDP-Chef sieht keinen Grund mehr für Ausnahmen von der im Grundgesetz vorgeschriebenen Schuldenbremse - die Krise ist für ihn vorbei. Ob das wirklich so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Krieg in der Ukraine tobt weiter, Energie ist weiterhin teuer und auch der Wohnungsmangel ist noch da. Lindner sagte dazu an diesem Vormittag im Bundestag, der Anspruch, alle Aufgaben und Krisen mit öffentlichem Geld zu lösen, sei noch nie eingelöst worden und auch in Zukunft nicht finanzierbar. Er warnte zudem davor, dass mehr Schulden die Inflation weiter anheizen könnten.
Dass man es auch anders sehen kann, zeigen Äußerungen aus dem Sachverständigenrat für Wirtschaft, der die Bundesregierung berät. Der Wirtschaftsweise Achim Truger hält Linders schnelle Rückkehr zur Schuldenbremse für riskant. Der Bedarf für Klima-Investitionen, für Flüchtlingshilfe oder den Ausbau der Digitalisierung sei weiterhin da, sagte er dem "Tagesspiegel". Zudem habe Deutschland die geringste Verschuldungsquote im Vergleich zu den anderen großen Industrieländern und kann sich demnach weitere Schulden erlauben.
Lindner hütet diesen Zustand aber wie einen wertvollen Schatz - denn damit einher geht der exzellente Ruf Deutschlands an den Kapitalmärkten. "Unser Land ist der Goldstandard der Staatsfinanzierung", sagte er im Bundestag. Sein Triple-A-Rating gebe Deutschland Handlungsfähigkeit für die öffentlichen Haushalte. Es sei richtig gewesen, "in akuten Krisen finanzpolitisch gegenzusteuern. Jetzt ist es wichtig, fiskalische Resilienz zu gewinnen."
Aber auch Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft übte Kritik. Die "stereotype Feststellung, wonach staatliche Schulden immer schlechte Schulden sind", sei "ökonomisches Denken der Neunziger Jahre", sagte er dem "Spiegel". Er forderte eine massive Ausweitung des Klima- und Transformationsfonds von 177 Milliarden Euro auf 400, "wenn nicht 500 Milliarden Euro" für die "dringendsten staatlichen Investitionsaufgaben bis 2026. So gesehen ist Lindners Sparkurs auch ein Wagnis. Denn Deutschland erlebt ja gerade, was passiert, wenn jahrelang zu wenig in die Infrastruktur investiert wird.
2. Sondervermögen, wo man hinschaut
Mit der Schuldenbremse ist es so eine Sache, denn sie gilt nur für den "Kernhaushalt". Aber daneben gibt es noch diverse Nebenhaushalte, die Sondervermögen. Über die Jahrzehnte haben sich einige Töpfe angesammelt, sie reichen teils zurück bis in die 1950er Jahre. Zuletzt kam das Sondervermögen für die Bundeswehr hinzu, außerdem der Wachstums- und Stabilisierungsfonds, der die Gas- und Strompreisbremsen finanziert, sowie der Klima- und Transformationsfonds.
In Letztgenanntem liegen Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro, die ursprünglich als Corona-Hilfen gedacht waren, dann aber umgewidmet wurden. Außerdem fließen dort die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung hinein. Mit dem Geld werden Maßnahmen finanziert, die Deutschland klimafreundlicher machen - zum Beispiel Gebäudesanierungen oder Investitionen in die Bahn. "Ich weiß auch, dass das Schulden sind, das ist ein Euphemismus, klar", räumte Lindner ein. Er teile auch Bedenken hinsichtlich Anzahl und Umfangs der Sondervermögen. Aber sie schafften andererseits "überjährige Planungssicherheit" für wichtige Projekte. Festzuhalten ist: Unterm Strich macht Deutschland mit den Sondervermögen massiv mehr Schulden als die gut 16 Milliarden aus dem Bundeshaushalt.
3. Tricks bei der Verteidigung
Bestes Beispiel für diese "überjährige Planungssicherheit" ist das Sondervermögen für die Bundeswehr. Das war dafür gedacht, die Armee nach dem russischen Angriff auf die Ukraine für die "Zeitenwende" zu ertüchtigen. Dafür wird viel Geld ausgegeben, für neue Kampfflugzeuge oder Kriegsschiffe.
Doch etwas hat sich geändert: Das Kabinett hatte im Juli beschlossen, das Geld auch für andere Dinge im Verteidigungshaushalt zu nutzen. Das wiederum kritisiert nun der Bundesrechnungshof vehement. Solche Sondervermögen sollen eben nicht den laufenden Betrieb finanzieren, sondern langfristigen Sonderprojekten dienen, in diesem Fall dem Kauf neuer Ausrüstung. Dank dieses Tricks konnte Lindner auch an diesem Dienstag wieder sagen, dass Deutschland im kommenden Jahr erstmals das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreiche. Das gelingt übrigens nur, weil auch Mittel aus anderen Ministerien hinzugerechnet werden, die sich mit mehr oder weniger Phantasie als "verteidigungsnah" verstehen lassen.
4. Reichen die Investitionen?
Lindner strich im Bundestag heraus, dass im Haushalt 57,2 Milliarden Euro für Investitionen bereitgehalten werden - immerhin mehr als im Vorkrisenjahr 2019, als es 38,9 Milliarden waren. Doch aus der Wirtschaft kommen Klagen. So sagte IW-Chef Hüther dem "Spiegel": "Soweit er die Investitionen betrifft, ist der Sparkurs verfehlt, ja." Deutschland stehe vor einer "völlig anderen Problemlage" als vor 30 Jahren, als Massenarbeitslosigkeit das größte Problem war. Lindner sagte dazu, Deutschlands Problem sei nicht fehlendes Geld, sondern dass die Genehmigungsverfahren zu lange dauerten.
5. Zinsen drohen wie Eisberge der "Titanic"
Nicht nur Häuslebauer und -Käufer haben mit den steigenden Zinsen zu kämpfen - auch die Bundesregierung. Lindner zufolge steigen im kommenden Jahr die Zinsausgaben der Bundesregierung auf 37 Milliarden Euro, eine Verzehnfachung gegenüber 2021. "Die Luft ist merklich dünner geworden", so der Minister. In den kommenden Jahren dürfte sie noch dünner werden. Laut Lindner beginnt in den kommenden Jahren die Tilgung der krisenbedingt aufgenommen Kredite erst. Außerdem steigt der Bedarf - etwa durch die voraussichtlich stark steigenden Verteidigungsausgaben.
Es gibt außerdem für die kommenden Jahre noch jedes Jahr eine Lücke von fünf Milliarden Euro zwischen den geplanten Einnahmen und Ausgaben, die geschlossen werden muss. "Hinter der Horizontlinie, für uns noch nicht sichtbar, da kommt ein Eisberg, um nicht zu sagen, ein Eisbergfeld", sagte Lindner am Ende seiner Rede. "Wir müssen den Kurs ändern, der Eisberg wird seinen Kurs nicht ändern. Wir sind es, die den Kurs ändern müssen."
Quelle: ntv.de