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NATO-Vorgabe nicht im Gesetz Regierung trickst beim Zwei-Prozent-Ziel

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Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock - die Grünen-Politikerin sprach sich intern gegen die gesetzliche Festschreibung des Zwei-Prozent-Ziels aus.

Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock - die Grünen-Politikerin sprach sich intern gegen die gesetzliche Festschreibung des Zwei-Prozent-Ziels aus.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Mitte der Woche streicht die Koalition das Zwei-Prozent-Ziel der NATO aus dem Haushaltsgesetz. Zwar strebt die Regierung weiterhin an, so viel für die Verteidigung auszugeben, es bleibt aber nun ein unverbindliches Ziel. Vermutlich deshalb, weil sie es nicht einmal mit dem Sondervermögen erreichen könnte.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine Regierungserklärung abgab, hielt er seine bisher wichtigste Rede. Damals machte er die atemberaubende Ankündigung, der Bundeswehr 100 Milliarden Euro in Form eines Sondervermögens zur Verfügung zu stellen. Er sprach von einer "Zeitenwende" und brachte damit die Stimmung auf den Punkt, die in der Luft lag. Zentral war dieser Satz: "Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in unsere Verteidigung investieren."

Mit der Zeitenwende-Rede des Bundeskanzlers und dem Krieg in Europa kam neuer Schwung in die Debatte um die Verteidigungsausgaben. Bis dahin war trotz der 2014 erneuerten Verpflichtung auf das Zwei-Prozent-Ziel gegenüber den NATO-Partnern nichts Entscheidendes passiert. Das änderte sich jetzt. Der Höhepunkt des neuen Elans war der Plan, das Ziel sogar im Haushaltsgesetz zu verankern, wie es im Juli dieses Jahres bekannt wurde.

Doch nun scheint die Regierung ihr Mut verlassen zu haben. Bei der Kabinettssitzung an diesem Mittwoch war der Passus aus dem Haushaltsgesetz verschwunden. Das war ebenso bemerkenswert wie dessen Vorhandensein im ursprünglichen Entwurf. Denn der hätte die deutsche Entschlossenheit, sich tatsächlich an das gegebene Versprechen zu halten, eindrucksvoll untermauert. Die Verbündeten im Litauen, Estland und Lettland hätten sich gefreut - und die in Washington erst recht. Stattdessen bleibt es beim unverbindlichen Bekenntnis, das Deutschland kürzlich auf dem NATO-Gipfel in Vilnius noch einmal bekräftigt hatte.

Im kommenden Jahr soll Deutschland erstmals das Ziel erreichen, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius Anfang Juli verkündete - dem Sondervermögen sei Dank. Doch es gibt erhebliche Zweifel, ob Deutschland das wirklich schaffen kann. Der Sprung wäre groß: Im laufenden Jahr gibt Deutschland laut IFO-Institut erst 1,6 Prozent für Verteidigung aus, 2022 waren es nur 1,4 Prozent - trotz des Geldregens. Das hat auch damit zu tun, dass viele Großprojekte wie Flugzeug- oder Hubschrauberbestellungen Zeit brauchen, bis sie geliefert und dann auch bezahlt werden. Zeit, die die frühere Verteidigungsministerin Christine Lambrecht allerdings, vorsichtig formuliert, nicht optimal nutzte. Insgesamt ist das Verfehlen des Ziels in der Anfangsphase aber verzeihlich.

Haushalterischer Kniff hilft weiter

Aber auch 2024 erreicht Deutschland die zwei Prozent nur mit einem Trick. So sagte beispielsweise der CDU-Haushaltspolitiker Ingo Gädechens: "Die politische Frohbotschaft, dass Deutschland im kommenden Jahr endlich das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, ist eine Täuschung", wie vor einer Woche der Mediengruppe Bayern berichtete. Die Bundesregierung plant im Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr 51,8 Milliarden ein. Hinzu kommen 19,2 Milliarden aus dem Sondervermögen. Das macht zusammen 71 Milliarden Euro - doch laut IFO-Institut entspricht das nur 1,7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Es fehlten 14 Milliarden Euro.

Es gibt allerdings einen haushalterischen Kniff, mit dem man diese schließen kann, zumindest formell. Es dürfen Ausgaben anderer Ressorts hinzugerechnet werden, die ebenfalls mit Verteidigung zu tun haben. Zu diesem Punkt hakte Oppositionspolitiker Gädechens bei der Regierung nach und fragte, wie hoch diese Summe sein werde. Die Antwort: 14,5 Milliarden Euro. So kämen sogar 85,5 Milliarden zusammen.

Problem gelöst? Für Gädechens jedenfalls nicht. Denn wie ihm die Regierung in einem weiteren Schreiben mitteilte, ist noch gar nicht klar, wie genau sich diese Summe zusammensetzt. "Die Bundesregierung selbst gibt zu, dass sie aktuell nicht weiß, wie die von ihr proklamierten 85,5 Milliarden Euro für Verteidigung im Jahr 2024 zusammengesetzt sind", zitierten die Zeitungen dazu Gädechens. "Sie weiß aber schon, dass es 85,5 Milliarden Euro sind. Das heißt: Alle Ministerien müssen jetzt irgendwelche Ausgaben so lange zusammensuchen, bis die Gesamtsumme erreicht wird", sagte der CDU-Politiker. Er befürchtet, dass die verrechneten Ausgaben keinen ausreichenden Bezug zur Verteidigung haben werden. In jedem Fall gilt es, genau hinzuschauen, wenn diese Zahlen veröffentlicht werden.

Was, wenn das Geld alle ist?

Doch solche Rechenspiele werden auch nicht mehr weiterhelfen, wenn das durch die hohe Inflation ohnehin schon abgeschmolzene Sondervermögen aufgebraucht ist. Erwartet wird, dass das 2028 der Fall sein wird. Kanzler Olaf Scholz, Verteidigungsminister Boris Pistorius und Finanzminister Christian Lindner haben alle gesagt, dass das Zwei-Prozent-Ziel auch dann noch eingehalten werden soll. Dafür müsse dann erheblich mehr Geld in den eigentlichen Verteidigungshaushalt fließen. Klar ist, dass die Sprünge dann größer sein müssen als die 1,7 Milliarden, um die der Wehretat im kommenden Jahr anwachsen soll. Ob das wirklich geschieht? Der Weg dorthin wäre jedenfalls weit.

Laut der Nachrichtenagentur Reuters war es das Auswärtige Amt, das gegen den Passus im Haushaltsgesetz war. Dort hält man die bisherige Rechtslage für ausreichend. In der Nationalen Sicherheitsstrategie und im Gesetz zum Sondervermögen wird allerdings nur angestrebt, das Zwei-Prozent-Ziel im mehrjährigen Mittel zu erreichen. Das lässt Spielraum, auch mal darunter zu liegen. Nur klingt das längst nicht mehr so entschlossen wie "von nun an Jahr für Jahr", wie es Scholz am 27. Februar vor einem Jahr sagte.

Quelle: ntv.de

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