Ukrainetalk bei Illner Masala: Macron-Idee zu Bodentruppen in Ukraine nicht dumm
01.03.2024, 06:25 Uhr Artikel anhören
Macrons Vorstoß zu Bodentruppen in der Ukraine ist nicht verkehrt, findet Militärexperte Masala. Er komme nur zur falschen Zeit.
(Foto: picture alliance / HMB Media)
Der Krieg in der Ukraine ist in eine neue Phase eingetreten. Die russische Armee verzeichnet Erfolge, der Ukraine gehen Munition und Soldaten aus. Was sind die Prioritäten des Westens? Da sind sich nicht alle Gäste bei "Maybrit Illner" sicher.
Bei einer Ukraine-Konferenz in Paris hat sich diese Woche ein Streit zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Präsidenten Macron entzündet. Während Scholz schon die Lieferungen von Taurus-Marschflugkörpern ausschließt, denkt Macron sogar laut über den Einsatz von Bodentruppen nach. Dem Westen fehlt offenbar eine einheitliche Strategie, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Das ist das Urteil der Gäste in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" am Donnerstagabend.
Warum Scholz sich erneut gegen die Taurus-Lieferungen ausgesprochen hat, erklärt zunächst der SPD-Politiker Michael Roth. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses spricht sich selbst zwar für die Lieferungen aus, setzt aber andere Prioritäten. "Das ist für die Ukraine und auch für uns, für die Verbündeten, eine ganz und gar schreckliche Woche. Und sie ist noch nicht zu Ende", sagt der Politiker. Ein Streit sei darüber ausgebrochen, was die Ukraine nicht brauche und was sie nicht bekomme. "Wir sollten lieber die Zeit nutzen, darüber zu reden, was die Ukraine braucht: Munition, Munition, Munition. Und Luftverteidigung", so Roth. Und in diesem Punkt habe Macron einen wichtigen Schritt getan. Er habe zum ersten Mal zugestanden, dass die westlichen Alliierten auf dem Weltmarkt kaufen könnten, was die Ukraine brauche. Das habe er bislang abgelehnt. Macron habe über Bodentruppen geredet, die wolle in der Ukraine niemand. Es sei richtig gewesen, dass Scholz sich davon distanziert habe. Roth: "Ich kann nur alle darum bitten, sich zusammenzuraufen, einig zu sein. Denn das ist die einzige Chance, Putin zu schlagen und die Ukraine so zu unterstützen, dass sie diesen furchtbaren Krieg überlebt."
Der Militärexperte Carlo Masala erklärt den Hintergrund von Macrons Aussagen. Bei der Konferenz sei es darum gegangen, die Hilfe für die Ukraine zu verbessern. Unter anderem habe man auch über den Einsatz von Soldaten geredet, die den Ukrainern helfen, ohne zu kämpfen. "Es geht um die Entminung, es geht um die Grenzsicherung, um diese Fragen ging es", sagt Masala. Dann habe Macron auf einer Pressekonferenz diesen Satz gesagt, der missverständlich gewesen sei. An und für sich sei der Satz gar nicht so dumm gewesen. "Das Problem ist, wie so oft bei Macron: Er sagt die richtigen Sachen zum falschen Zeitpunkt - und unabgesprochen." Nun sei eine eigentlich richtige Überlegung kaputt gemacht worden. In den Augen des russischen Präsidenten habe sich Europa als schwacher Akteur dargestellt, der sich noch nicht mal über bestimmte Prinzipien der Unterstützung der Ukraine einig sei.
Putin hat langen Atem
Die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband ist entsetzt über die aktuelle Diskussion. Die Menschen in der Ukraine hofften immer noch auf den Sieg, denn sie hätten keine andere Wahl. Sie stünden mit dem Rücken zur Wand und wüssten, dass es für sie keinen anderen Ausweg gebe als zu kämpfen. "Sie wissen aber auch: Um kämpfen zu können, sodass es etwas bringt, brauchen sie die Unterstützung des Westens. Allein haben sie keine Chance." Über die aktuelle Diskussion in Europa seien sie sehr besorgt. "Ich glaube, wovon die Debatte geprägt ist, ist das Fehlen einer tatsächlichen Strategie. Und ich glaube, das ist der Grund für diese kleinen Streitereien, für all das Hin und Her. Der Westen hat keine wirkliche Strategie."
Russlands Präsident Putin dagegen verfolge die Strategie des langen Atems. Durch die Sanktionen des Westens seien die russischen Menschen ärmer geworden, aber Soldaten würden sehr gut bezahlt. So habe Putin im Moment kein Musterungsproblem. Er könne seine Soldaten in der Ukraine immer weiter auffrischen und währenddessen die Opposition einsperren oder ermorden.
Das sieht die Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff ähnlich, doch in einem wesentlichen Punkt widerspricht sie: Bundeskanzler Scholz habe sehr wohl eine Strategie. "Er hat immer gesagt, er werde alles tun, damit Deutschland und die NATO nicht Konfliktparteien werden. Das macht er bis zum heutigen Tag, und das hat auch immer zu dieser Zögerlichkeit geführt: Nämlich immer wieder zu sagen, wir fahren nur auf Sicht; Wir liefern und wir schauen, was passiert. Und erst, wenn wir das Gefühl haben, dass es zu keiner Eskalationsstufe kommt, sind wir bereit, weiterzugehen."
"Man kann sagen, das ist eine Strategie", stimmt Weisband zu. "Aber die Frage ist: Was ist das Ziel?" Die Strategie des Kanzlers führe am Ende dazu, dass die Ukraine den Krieg verlieren müsse, weil nicht genug Menschen und Blut vorhanden seien. Und spätestens dann werde Deutschland doch zur Kriegspartei: "Weil Russland inzwischen ohne Krieg nicht mehr regierbar ist." Würde die russische Armee die Ukraine besetzen, wäre danach das Baltikum dran, prophezeit Weisband. "Weil Putin genau weiß, dass, sobald er eine Atombombe erwähnt, ganz Europa die Füßchen hochklappt und gar nichts mehr tut." Wir, Europa, müssten uns jetzt endlich entscheiden, ob uns dieser Krieg etwas angeht oder nicht, so Weisband.
Für Michael Roth ist die Antwort klar: Europa müsse sich entscheiden, die Ukraine nicht länger zu vertrösten. "Wir müssen erklären: Schaffen wir es wirklich, dass die Ukraine siegt und dann eine Chance auf Frieden herrscht - mit mehr Waffen. Das ist die Zumutung."
Und Weisband ergänzt: "Die Ukrainer sind im Moment diejenigen, die ihr Blut für uns vergießen, die uns helfen. Und wir haben jetzt die Möglichkeit, diesen Faschismus zurückzuschlagen, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Und diese Möglichkeit müssen wir nutzen."
Quelle: ntv.de