Politik

Zivilisten unter Beschuss Mossul ist nicht das neue Aleppo

Auf den ersten Blick erinnert in Mossul vieles an Aleppo.

Auf den ersten Blick erinnert in Mossul vieles an Aleppo.

(Foto: picture alliance / Felipe Dana/A)

Ja, auch auf Mossul fallen Bomben. Ja, auch aus Mossul fliehen Zehntausende Menschen. Auch dort hofft man vergeblich auf humanitäre Korridore zu den Zivilisten. Mit Aleppo lässt sich dieser Kampf trotzdem nicht vergleichen.

Jedes Mal, wenn der Kampf um Mossul in eine neue Phase übergeht, taucht der Vergleich auf: Macht die US-geführte Anti-IS-Koalition im Irak nicht genau das, was sie Russland im syrischen Aleppo vorgeworfen hat? Die Frage wird in sozialen Netzwerken aufgeworfen, in "alternativen" Medien und, wie in der vergangenen Woche, von der russischen Führung selbst.

"Diejenigen, die die Aufnahmen aus Mossul gesehen haben, können das Unruhegefühl nicht loswerden", sagte Außenminister Sergej Lawrow. "Aus dieser Stadt sind sicherlich schon mehr Zivilisten geflüchtet als aus Ost-Aleppo während der Operation zu dessen Befreiung." Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums war noch schärfer: "Es ist merkwürdig, dass bislang immer noch kein Twitter-Account eines Mädchens entstand, das in Mossul leidet", sagte sie. "Die Tragödie wird im Informationsraum der Welt vorsichtig aus dem Auge gelassen."

Wie eine Bestätigung erscheint, dass nun auch Amnesty International die hohe Zahl ziviler Opfer im Kampf um Mossul kritisiert und die deutschen Grünen von einer "Rambo-Mentalität" der neuen US-Führung um Präsident Donald Trump sprechen. Doch es lohnt sich, dem spontanen Impuls, Mossul zum neuen Aleppo zu erklären, zu widerstehen. Trump hat seit dem Wahlkampfgetöse noch keine Anti-Terror-Strategie vorgelegt. Und für das, was bisher im Irak passiert ist, gilt: Der Vergleich zu Aleppo hinkt.

Aus welcher Stadt flohen mehr Menschen?

Einem Bericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen zufolge sind seit Beginn der Mossul-Offensive im vergangenen Oktober knapp 220.000 Bewohner aus der Stadt geflohen. Seit dem Auftakt der Kämpfe um den Westteil Mitte Februar haben sich laut eines Berichts der Internationalen Organisation für Migration weitere 100.000 Menschen gerettet.

Auszeit: Eigenen Angaben zufolge hat die irakische Armee angesichts der hohen Zahl an zivilen Opfern am Wochenende ihre Attacken auf Mossul kurzfristig eingestellt.

Auszeit: Eigenen Angaben zufolge hat die irakische Armee angesichts der hohen Zahl an zivilen Opfern am Wochenende ihre Attacken auf Mossul kurzfristig eingestellt.

(Foto: dpa)

Als die syrische Armee mit Unterstützung Russlands im Juni 2016 offiziell die Großoffensive auf Ost-Aleppo begann, lebten in den Rebellengebieten nach Angaben der Vereinten Nationen zwischen 250.000 und 275.000 Menschen. So gesehen hat Lawrow Recht, wenn er sagt, dass durch die Intervention der Anti-IS-Koalition mehr Menschen aus Mossul geflohen seien. Doch den entscheidenden Unterschied unterschlägt er. Aleppo stand zwar über Monate praktisch unter Belagerung des Regimes und niemand konnte fliehen. Aber etliche der Menschen dort wollten das auch gar nicht. Für sie bedeutete die Flucht eine ungewisse Zukunft in einem der anderen Rebellengebiete oder sich wieder mit einer Regierung zu arrangieren, die sie ablehnen. Die Menschen gingen erst, als sie keine andere Möglichkeit mehr hatten.

Zwar dürfte es auch in Mossul viele geben, die mit der irakischen Regierung nichts anfangen können. Mossul ist überwiegend sunnitisch. Die von Schiiten dominierte Regierung in Bagdad hat einen äußerst schlechten Ruf, einige schiitische Milizen sind gefürchtet. Doch so schlimm, dass, wie in Syrien, von einem Bürgerkrieg die Rede sein könnte, war es im Irak zuletzt nicht.

Wo starben mehr Zivilisten?

Die USA dokumentieren regelmäßig Berichte über zivile Opfer der Anti-IS-Koalition. Im jüngsten Bericht von Anfang März stufen Militärs vier Berichte mit insgesamt elf Toten als glaubwürdig ein. Hinzu kommen elf weitere Berichte, die überwiegend aus den sozialen Medien stammen. Diese prüfen die Militärs derzeit. In den letzten Wochen dürfte die Zahl der Opfer noch einmal deutlich gestiegen sein. Die Kämpfe um den Westteil Mossuls verschärfen sich. Und gerade räumte ein US-Kommandeur ein, dass die Koalition am Tod von wahrscheinlich mehr als 100 Zivilisten bei einem Luftangriff am 17. März eine Mitschuld tragen könnte.

Als Teil der Anti-IS-Koalition kämpft auch die irakische Luftwaffe mit.

Als Teil der Anti-IS-Koalition kämpft auch die irakische Luftwaffe mit.

(Foto: REUTERS)

Die Zahlen von Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten liegen noch deutlich höher. Das überwiegend von Journalisten betriebene Portal Airwars rechnet mit 2700 zivilen Opfern der Koalition – nicht nur in Mossul, sondern im gesamten Irak und in Syrien.

Russische Militärs sind kaum um Transparenz bemüht, wenn es um zivile Opfer geht. Die Staatsführung spricht in der Regel von präzisen Angriffen auf "Terroristen". Die oppositionsnahe syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Berichte sich oft bestätigen, spricht dagegen von 3700 zivilen Opfern seit der Intervention der Russen.

Die Zahl sogenannter Kollateralschäden Russlands und der IS-Koalition hat sich zuletzt also tatsächlich dramatisch angenähert. Diese Betrachtung klammert aber völlig viele der Zivilisten aus, für deren Tod Moskaus Partner, Syriens Präsident Baschar al Assad, über die Luftangriffe hinaus verantwortlich zeichnet.

Sind Russen oder Amerikaner großzügiger bei humanitären Korridoren?

In einem Bericht eines russischen Nachrichtenportals wird die Frage aufgeworfen, warum es keine humanitären Korridore zu den Zivilisten in Mossul gebe. Schließlich sei Moskau ja auch immer vorgeworfen worden, keine Hilfsgüter durchzulassen. So plausibel der Vergleich zunächst wirken mag, so unsinnig ist er in letzter Konsequenz.

Für humanitäre Korridore braucht es Sicherheitsgarantien aller Konfliktparteien. Liegen diese nicht vor, wird sich kaum ein Helfer auf den Weg machen. Mit der Nachfolgeorganisation der Nusra-Front und anderen radikalen Islamisten kämpften auch in der Schlacht um Aleppo Kräfte, die Zivilisten gern als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Doch es gab andere Ansprechpartner, um solche Transporte ausreichend sicher organisieren zu können. Moskau weigerte sich trotzdem lange, Sicherheitsgarantien zu geben. In den besetzten Gebieten Mossuls herrscht dagegen allein der IS. Mit dem ist erfahrungsgemäß nicht zu verhandeln.

Unterschlagen Journalisten das ganze Drama Mossuls?

Es gibt etliche Berichte über das Leid der fliehenden Zivilisten. Zudem ist eine Reihe von mutigen Journalisten zusammen mit der Goldenen Division der irakischen Streitkräfte an vorderster Front. Richtig ist: Es gibt praktisch keine Berichte aus den Teilen Mossuls, die vom IS beherrscht werden. Auf IS-Land, und damit zu den Zivilisten, wagt sich kaum einer.

Das galt so aber auch für den Ostteil Aleppos. Westliche Reporter hielten sich auf Regime-Gebiet auf. Dass vielen das Leid der Zivilisten in Aleppo so nahe kam, hat einen anderen Grund. Die Eingeschlossenen nutzten das Internet, um die Welt teilhaben zu lassen. Die Frage, warum es keine Mädchen gibt, die per Twitter aus Mossul berichten, wie die Sprecherin des russischen Verteidigungsministeriums spöttisch anmerkte, ist schnell beantwortet: Der IS verbietet Zivilisten unter Androhung drakonischer Strafen, das Internet zu nutzen. Wer twittert, setzt sein Leben aufs Spiel. Mossul ist nicht das neue Aleppo.

Quelle: ntv.de

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