Fleischkonsum in Deutschland Müssen jetzt alle Vegetarier werden?
21.01.2023, 11:54 Uhr
In Deutschland werden über 20 Millionen Schweine gehalten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Deutschen sollen weniger Fleisch essen. Das fordern nicht nur Experten, das befürwortet auch eine Mehrheit der Bevölkerung. Wie schnell und mit welchen Maßnahmen dieser Wandel vollzogen werden kann, ist allerdings umstritten. Am Ende geht es - wie so oft - vor allem ums Geld.
Seit diesem Wochenende ist es wieder so weit: Auf dem Berliner Messegelände reihen sich Streetfood-Buden und Blumenkästen an Infostände an Kletterwände. Die Grüne Woche ist nach zweijähriger Corona-Pause zurück. Hunderttausende Besucher werden in den kommenden Tagen zwischen Bisonfleisch, Rosenmarmelade und Lakritzeis erwartet.
Doch die Messe zieht längst nicht nur Genießer und Gartenliebhaber an: In der Vergangenheit protestierten teils Zehntausende gegen die Veranstaltung. Es geht um Klimagerechtigkeit, Umweltschutz und bessere Tierhaltung. Es sind Themen, die auch auf der Grünen Woche präsent sind. Themen, die bei der Ernährung der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen werden.
Der Agrar- und Nahrungsmittelsektor verursacht rund ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen, der Großteil davon durch die Tierhaltung. Auch in Deutschland verschlingen Schweine und Rinder jede Menge Ressourcen: Rund 60 Prozent des in Deutschland angebauten Getreides wird an Tiere verfüttert, dazu kommen große Mengen an importierten Futtermitteln, beispielsweise rund zwei Millionen Hektar Soja aus Südamerika pro Jahr.
Es sind Zahlen, die angesichts des Pariser Klimaabkommens kaum so hoch bleiben können werden. "Im Grunde ist doch klar, dass der Fleischkonsum in Zukunft zurückgehen muss", sagt Lars Schrader vom Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit ntv.de. "Aus eigentlich allen Studien geht hervor, dass wir zu viel Fleisch essen, auch aus Gesundheitsaspekten. Somit wäre das eine Win-Win-Win-Situation: für Umwelt, Tierwohl und Gesundheit."
82 Prozent der Deutschen finden es sinnvoll, weniger Fleisch zu essen
Tatsächlich stehen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit ihren Forderungen gar nicht so allein da: Laut dem Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft finden es 82 Prozent der Deutschen sinnvoll, weniger Fleisch zu essen. Neben Vegetariern (7 Prozent) und Veganern (1 Prozent) geben 44 Prozent an, sich flexitarisch zu ernähren, also nur gelegentlich Fleisch zu konsumieren. Gerade mal ein Viertel der Deutschen isst demnach täglich Fleisch.
Das Problem: Die Realität sieht anders aus. Umfragen zeigen, dass die Menschen ihren eigenen Fleischkonsum als deutlich zu gering einschätzen. "Es ist schwierig, rückwirkend von seinem Essverhalten zu berichten. Sich daran zurückzuerinnern, was man zum Beispiel vor drei Tagen zu Mittag gegessen hat, fällt uns sehr schwer", erklärt die Psychologin Laura M. König von der Universität Bayreuth ntv.de. "Das beobachten wir nicht nur beim Fleischkonsum, sondern ganz generell."
Ab dem 19. Jahrhundert stieg der Fleischkonsum in Deutschland beständig an: Im Jahr 2000 aß der durchschnittliche Deutsche knapp 60 Kilo pro Jahr. Seitdem ist der Wert weitgehend konstant. Von weniger Fleisch also keine Spur - und das seit fast 200 Jahren.
"Ein Steak, eine Wiener, drei Scheiben Mortadella"
Muss nun jeder Vegetarier oder gleich Veganer werden? Nein, auch da sind sich die meisten Experten weitestgehend einig. Laut einer Analyse des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) ließe sich der Schutz von Klima, Umwelt und Artenvielfalt bereits deutlich erhöhen, wenn der Fleischkonsum um etwa die Hälfte sinken würde.
Rund 400 Gramm Fleisch könnte jeder Deutsche in dieser Rechnung im Durchschnitt wöchentlich essen. Oder wie es Autoren der Analyse schreiben: "Ein Steak, eine Wiener Wurst, drei Scheiben Mortadella pro Woche." Die Gesamtproduktion von Schweinefleisch und Geflügel würde sich in diesem Szenario mehr als halbieren. Die von Rindfleisch würde um etwa 40 Prozent sinken, von Getreide um rund 30.
Doch kann eine solche Entwicklung tatsächlich mehr sein als nur Gedankenspiel und Träumerei? Ein Umbau der Landwirtschaft würde sehr viel Geld verschlingen - erst recht, wenn sich in diesem Zusammenhang die Haltungsbedingungen von Tieren in Deutschland verbessern sollen.
Mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr für Agrarsubventionen
Ein Schlüssel auf dem Weg zu einer Verringerung der Tierbestände könnte die Agrarpolitik der Europäischen Union sein. Der Agrarhaushalt ist der mit Abstand größte in der EU, größer als Sicherheit, Wirtschaft und Außenpolitik zusammen. Mehr als 50 Milliarden Euro gibt die EU für Agrarsubventionen aus - pro Jahr.
Wie nachhaltig ein Landwirt arbeitet oder wie gut es seinen Tieren geht, spielt dabei allerdings keine Rolle. Die Förderungen richten sich ausschließlich nach der vorhandenen Fläche. Dadurch geht EU-weit jedes Jahr ein Drittel der Subventionen allein an das oberste Prozent der Empfänger. Darunter sind teils geradezu bizarre Grundbesitzer wie der Energiekonzern RWE, die katholische Kirche oder in der Vergangenheit auch die britische Krone.
Mit einer Förderung, die andere Anreize setzt, wäre eine artgerechtere und nachhaltigere Tierhaltung in Deutschland und dem Rest der EU möglich - doch selbst in diesem Fall müsste der Verbraucher am Ende wahrscheinlich mehr Geld für seinen Sonntagsbraten oder seine Bockwurst im Stadion zahlen.
"Der Markt allein wird die Mehrkosten nicht finanzieren können"
Tatsächlich geben sich die Deutschen auch hier in Umfragen durchaus offen: 80 Prozent sind demnach bereit, für Fleisch aus besserer Haltung einen deutlich höheren Preis zu zahlen. Rund ein Drittel würde laut eigener Aussage sogar doppelt so viel Geld hinlegen.
Auch in diesem Punkt stellt sich allerdings die Frage, ob die guten Absichten der Käufer am Kühlregal oder an der Ladentheke auch tatsächlich in die Tat umgesetzt würden. Als wegen der Inflation 2022 die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellten, brach der Verkauf von Bio-Produkten ein, die Menschen griffen stattdessen zu günstigeren Produkten.
"Wir verwenden nicht so viel Energie darauf, unsere Entscheidungen beim Einkauf abzuwägen. Und dann landen eben Lebensmittel im Einkaufskorb, die man sich nicht vorgenommen hatte", erklärt Psychologin König. "Wir wissen, dass Preissteigerungen zu einem Rückgang im Verzehr führen können. Wie stark sich das bei Fleisch auswirken würde, wissen wir allerdings noch nicht."
Eine zentrale Rolle soll Experten zufolge daher so genannten Tierwohlprämien, mit denen der Staat Fleisch aus besserer Tierhaltung subventioniert, zukommen: "Der Markt allein wird die Mehrkosten nicht finanzieren können", sagt Schrader. "Es gibt eine Lücke zwischen dem, was sich Bürger wünschen und dem, was Konsumenten tun. Deshalb halte ich diese Prämien für angebracht."
"Wir sind dabei, den Tierhaltungsstandort Deutschland zu zerstören"
Eine große Sorge der deutschen Bauern bleibt jedoch bestehen: Sollte Deutschland höhere Standards in der Tierhaltung einführen, könnte sich die Produktion ins Ausland verlagern. Tierwohl und Klima wäre damit nicht geholfen, viele deutsche Landwirte könnten pleitegehen.
"Während die Zahl der Schweine in Deutschland in den letzten zehn Jahren um 5,8 Millionen zurückging, ist sie in Spanien um 7,4 Millionen gestiegen. Das kann so nicht weitergehen", sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, der "Augsburger Allgemeinen". "Wir sind dabei, den Tierhaltungsstandort Deutschland zu zerstören!"
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat daher ein Programm angekündigt, mit dem jährlich rund eine Milliarde Euro für Umbaumaßnahmen von Ställen und für laufende Tierwohlprämien verteilt werden sollen. Den Mitgliedern des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (auch bekannt als Borchert-Kommission) gehen diese Schritte allerdings längst nicht weit genug. Die Eckpunkte des Ministeriums seien "unzureichend", heißt es. Auf lange Sicht würden pro Jahr vier bis fünf Milliarden Euro benötigt.
Özdemir will Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte streichen
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir verfolgt derweil schon andere Pläne, wie der Verzehr tierischer Lebensmittel in Deutschland reduziert werden könnte. Der Grünen-Politiker will die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte streichen. Gute Ernährung dürfe nicht am Geldbeutel scheitern, sagt er.
Als Vorbild für Özdemirs Modell könnte das Land dienen, dessen Schweineproduktion in den letzten Jahren so stark gestiegen ist: In Spanien wird seit dem 1. Januar auf viele Produkte keine Mehrwertsteuer mehr fällig. Unter die Regelung fallen unter anderem Obst, Gemüse, Brot, Eier und Milchprodukte - aber kein Fleisch.
Quelle: ntv.de