Politik

Umfrage unter Flüchtlingen Nur jeder zehnte Syrer will bleiben

Warteschlange vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso).

Warteschlange vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso).

(Foto: REUTERS)

Eine Initiative, die der syrischen Opposition nahesteht, befragt syrische Flüchtlinge in Deutschland. Das Ergebnis: Die meisten wollen zurück, wenn Assad stürzt. Die Autoren der Studie leiten aus den Ergebnissen schwere Versäumnisse der deutschen Asyl- und Syrienpolitik ab.

Elias Perabo stichelt, und glaubt, dass er das aus gutem Grund tut: Auch der Bundesregierung würde es gut tun, mit statt nur über Flüchtlinge zu sprechen, sagt das Mitglied der Initiative Adopt a Revolution, die der syrischen Opposition nahesteht. Perabo stellt in Berlin die Ergebnisse einer Befragung von syrischen Flüchtlingen in Deutschland vor. Die Ergebnisse stellen einige der jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung in Frage.

Fassbomben sind für viele Syrer die größte Bedrohung.

Fassbomben sind für viele Syrer die größte Bedrohung.

(Foto: REUTERS)

Die meisten Flüchtlinge haben laut der Umfrage das Land verlassen, weil sie das Regime von Baschar al-Assad fürchten, nicht die Schreckensherrschaft des Islamischen Staates (IS).

  • Fast 70 Prozent der befragten Syrer in Deutschland machten Assad als Hauptursache für den bewaffneten Konflikt verantwortlich, nur 32 Prozent den IS.
  • Ähnlich äußerten sie sich, wenn es um die Angst davor ging, festgenommen und entführt zu werden.
  • 73 Prozent der Befragten nannten explizit Assads Fassbomben als unmittelbare Gefahr für ihr Leben.

Die Bundesregierung unterstützt die irakischen Peschmerga im Kampf gegen den IS. Gegen Assad geht sie nicht vor. Kanzlerin Angela Merkel deutete vor zwei Wochen gar eine diplomatische Aufwertung des Despoten an. "Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, dazu gehört auch Assad", sagte die CDU-Politikerin.

Perabo hält nun dagegen: "Wenn der IS als Vorhof zur Hölle bezeichnet wird, dann ist das Assad-Regime das eigentliche Zentrum der Hölle." Wenn der Bundesregierung daran gelegen sei, die große Zahl an Flüchtlingen aus Syrien, die nach Deutschland kommt, wieder unter Kontrolle zu kriegen, müsse sie darauf hinarbeiten, dass Assad abtritt.

Flüchtlinge kommen nicht aus Lagern in Syriens Nachbarschaft

Die Bundesregierung geht auch davon aus, dass die meisten Flüchtlinge, die dieser Tage nach Europa drängen, aus den Flüchtlingslagern in Syriens Nachbarschaft stammen. Als Vizekanzler Sigmar Gabriel Mitte September die Mega-Zeltstadt Saatari in Jordanien besuchte, sagte er: "Vor einem Vierteljahr hat hier niemand über Europa gesprochen. Alle hatten die Hoffnung, nach Syrien zurückkehren zu können. Jetzt verkaufen die Menschen den Rest ihres meistens sehr spärlichen Vermögens in Syrien."

Diese Annahme stimmt laut der Studie von Adopt a Revolution aber nicht. 65 Prozent der befragten Syrer, die jetzt in deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen oder anderen Unterkünften für Asylbewerber sitzen, haben ihre Heimat in diesem Jahr verlassen. Sie sind also nicht in den Flüchtlingslagern verzweifelt, sondern haben dort höchstens einen kurzen Zwischenstopp gemacht.

Die Umfrage der oppositionsnahen Initiative deutet auch an, dass die Bundesregierung daraus eine fragwürdige Strategie ableitet, um die Fluchtbewegungen zu bremsen. Berlin setzt derzeit verstärkt darauf, die Nachbarstaaten Syriens finanziell stärker zu unterstützen und mehr Geld in das World Food Program (WFP), das Flüchtlinge in den Camps versorgt, zu stecken. Doch nur 24 Prozent der befragten Syrer halten laut der Umfrage mehr humanitäre Hilfe für den richtigen Weg, um Menschen von der Flucht abzuhalten. Fast 58 Prozent fordern eine Flugverbotszone, um Assad an Attacken mit Fassbomben zu hindern. Für die sprach sich bisher noch kein Kabinettsmitglied aus.

Zwar halten die Autoren der Studie das zusätzliche humanitäre Engagement für wichtig und pochen vor allem auf Diplomatie. Perabo sagt aber zugleich: Weder der Versuch, den Konflikt auszusitzen, noch das "menschenverachtende Grenzregime" der EU hätten sich als geeignete Mittel für die Probleme rund um den Syrien-Konflikt erwiesen.

Wirtschaftsflüchtlinge sind die Ausnahme

Die Befragung liefert den Aktivisten von Adopt a Revolution nicht nur die Grundlage für Attacken auf die deutsche Asyl- und Syrien-Politik. Sie liefert ihnen darüber hinaus bemerkenswerte Ergebnisse, die an den Argumenten von Warnern vor einer angeblichen Überfremdung und dem Missbrauch des deutschen Asylrechts rütteln.

  • Nur 13 Prozent der Befragten verließen Syrien demnach aus ökonomischen Gründen. 69 Prozent gaben dagegen eine "unmittelbare Lebensgefahr" als Fluchtursache an.
  • Nur 8 Prozent der befragten Syrer will laut der Untersuchung dauerhaft in der Bundesrepublik bleiben. Die meisten wollen zurück, sobald der Krieg vorbei ist. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist der Abtritt Assads.

Adopt a Revolution befragte mithilfe von Menschenrechtsorganisationen fast 900 zufällig ausgewählte Flüchtlinge aus Syrien vor deutschen Registrierungszentren oder in deutschen Flüchtlingsunterkünften. Unterstützung bei der wissenschaftlichen Arbeit bekam sie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Da die soziodemografische Zusammensetzung der Syrer in Deutschland nicht bekannt ist, ist die Studie allerdings nicht repräsentativ. Die Autoren sagen allerdings, dass die Ergebnisse so eindeutig seien, dass sich klare Tendenzen ablesen ließen.

Adopt a Revolution finanzierte die Umfrage eigenen Angaben zufolge durch Spendengelder und bezeichnet sich als parteiunabhängig. Ziel der Initiative sei es, die friedliche syrische Zivilbevölkerung zu stärken.

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen