Politik

Offene Kampfansage per Telefon Biden treibt Konflikt mit eigener Partei auf die Spitze

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Mit einer Doppeloffensive versucht US-Präsident Biden, die zweifelnde bis panische Demokratische Partei wieder hinter sich zu bringen. Doch der Brief an den Kongress geht am Thema vorbei. Im Fernsehen fordert er seine parteiinternen Kritiker zur Kampfkandidatur auf.

Innerhalb von zehn Tagen hat sich die Lage des US-Präsidenten radikal geändert. Vorher war Joe Biden für die Demokraten derjenige, der Donald Trump aus dem Amt gejagt hat. Der ambitionierte, zukunftsorientierte Gesetzesprojekte wie das Klimapaket durch den Kongress bekam. Der fast fraglos eine zweite Amtszeit verdient, um dies fortzusetzen, trotz seiner Alterserscheinungen. Doch wer in der großen Jagd nach der Macht lahmt, bleibt im politischen Fadenkreuz. Und Biden lahmt sichtlich.

Rund vier Monate vor der Wahl steht der Präsident am Ende einer mutmaßlichen Sackgasse, hebt abwehrend die Hände und verweist mit gehetztem Blick auf all das, was ihn seiner Ansicht nach wertvoll macht. So wertvoll, dass die US-Amerikaner schlicht darauf vertrauen sollen, dass er in den kommenden viereinhalb Jahren in entscheidenden Situationen voll auf der Höhe sein wird. Und nicht wie vorletzte Woche beim TV-Duell wegen einer angeblichen Erkältung und trotz einwöchiger Vorbereitung mental zusammenklappt.

Ein Interview am Freitag sollte die Panik in der Partei über seinen Zustand bestenfalls ersticken, konnte aber nicht einmal leise Zweifler beruhigen. Stattdessen formierte sich über das Wochenende weiter der Widerstand. Biden entschied sich zugleich für zwei Schritte, einer ungewöhnlicher als der andere. In einem Brief an die Demokraten im Kongress forderte er ein Ende der Diskussionen um ihn und Unterstützung als "vereinte Partei" ein, um Trump zu schlagen. Und dann machte er im Frühstücksfernsehen telefonisch eine offene Kampfansage.

"Es macht mich wahnsinnig"

Das zweiseitige Schreiben an die Partei geht völlig an der Diskussion vorbei, sein wackliger Zustand und damit sein Alter sind darin kein Thema. Doch eben das ist es, seit er sich als klappriger Amtsinhaber präsentierte, der kaum noch Sätze zusammenbekam, seine Mimik nicht unter Kontrolle hatte und argumentativ zu keinem Zeitpunkt auf der Höhe war. So wenig, dass er sogar daran scheiterte, die infantil einfachen Argumente Trumps zu entblößen. Doch Biden will es offenbar nicht wahrhaben.

"Es macht mich wahnsinnig, wenn die Leute darüber reden", sagte er in Anspielung auf Fragen zu seiner Eignung für eine zweite Amtszeit. Auch für einen Showdown beim Parteitag im August sei Biden bereit. "Wer glaubt, ich sollte nicht kandidieren, soll gegen mich antreten. Kündigt eure Kandidatur an, fordert mich heraus", sagte er im Fernsehen. Statt sich zu ergeben, sucht der Präsident in einem historischen Schritt den offenen Konflikt. Sollen alle, die ihn in seiner Sackgasse bedrohen, nur kommen.

Eine echte Kampfabstimmung bei einem Nominierungsparteitag gab es zuletzt 1968, aber eher aus einer Verkettung der Umstände. Präsident Lyndon B. Johnson hatte im März des Jahres auf die erneute Kandidatur verzichtet, auch weil er angesichts seines Gesundheitszustandes befürchtete, vor Ende einer zweiten Amtszeit zu sterben. Der populärste Herausforderer Robert F. Kennedy wurde im Juni ermordet. Zwei andere Bewerber konkurrierten am Ende; der Sieger Hubert Humphrey musste sich bei der Wahl dem Republikaner Richard Nixon geschlagen geben.

Lyndon B. Johnsons Sozialpolitik und Bürgerrechtsgesetze wirken bis heute nach und sind Grundpfeiler des Selbstverständnisses der Demokraten. Eine überwältigende Mehrheit würde aller Voraussicht nach auch Bidens Verdienste anerkennen, nach Jahrzehnten als Senator im Kongress, acht Jahre als Barack Obamas Vizepräsident, aber vor allem wegen seiner Zeit als Staatschef. Biden hat die USA aus dem wirtschaftlichen Tal der Pandemie in einen Arbeitsplatzboom geführt und die wirtschaftlichen Weichen für einen Weg aus den fossilen Energien gestellt.

Darum geht es auch bei der Wahl im November: nicht um die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Biden kündigt in seinem Brief zwar verschiedene Projekte an, darunter, etwas gegen die Wohnkrise bei unteren Einkommensschichten zu tun, das allgemeine Abtreibungsrecht wieder einzuführen und vor allem, Trump und dessen vergangenheitsorientierte Vorhaben zu verhindern. Aber er verkennt offenbar die Lage. In seinem Zustand dürfte es schwer werden, dazu überhaupt die Gelegenheit zu bekommen. Bidens Umfragewerte sind der Vorbote einer Niederlage. Biden verursacht fast schon schmerzende Fremdscham vor so viel Unehrlichkeit mit sich selbst.

Zittrige Hand oder Narziss?

Schon vor dem Fernsehduell war der Präsident im Hintertreffen gegen Trump, die Wählergunst hat weiter abgenommen; sowohl in Wahlumfragen als auch in der Zustimmung nach Bidens Amtsführung. Bis zum Parteitag sind es nur noch ein paar Wochen, bis zur Wahl vier Monate. Es gibt zweifellos berechtigte Einwände gegen einen so späten Kandidatenwechsel. Einer davon ist die Bekanntheit: Bidens Name ist womöglich landläufiger als jeder mögliche Ersatz, und gegen Trumps Namen kommt ohnehin niemand an. Für ein anderes Gesicht könnte es deshalb schwer werden. Aber wer weiß, womöglich geht auch ein Ruck durchs Land und die Menschen strömen für ein dynamischeres Gesicht in die Wahllokale.

Der Präsident setzt auf seine Bekanntheit und auf die ungeschriebene Regel, dass die Partei den Amtsinhaber für eine Wiederwahl unterstützt. Aber der Ukraine-Krieg, das imperialistische Streben Russlands und das Säbelrasseln von dessen Verbündeten China erfordern eine ruhige, keine immer zittrigere Hand. Schon gar nicht können sie einen Narzissten wie Trump gebrauchen, der sich für einen "Dealmaker" hält, der alles mit bloßem Willen und qua Namen im Handstreich lösen kann. Ein Präsident ist häufig nur so erfolgreich, wie seine Berater es zulassen, aber auch nur, wenn dieser sich überhaupt etwas sagen lässt. Trump ist häufig beratungsresistent, das ist in seiner ersten Amtszeit mehr als einmal deutlich geworden.

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Biden hat die Vorwahlen der Demokraten gewonnen, aber das war kein Wettbewerb. Vermutlich fragt sich inzwischen die halbe Welt: Wie soll dieser jetzt schon deutlich gealterte Biden gewinnen? Wie weitere vier Jahre durchhalten? Seit Langem wollen die US-Amerikaner eine Alternative, die weder Biden noch Trump heißt. Manche unterstützen den Drittkandidaten Robert F. Kennedy Junior, Sohn des 1968 ermordeten Senators, der Präsident werden wollte. Siegchancen hat er verschwindet geringe, und am Ende wollen die Demokraten einem eigenen Bewerber ihren Segen geben.

Für eine erfolgreiche Gegenkampagne bei dem Nominierungsparteitag im August müsste jemand Bidens Delegierte aus den Bundesstaaten auf breiter Front für sich gewinnen. Eine solche Revolte in letzter Minute kann der Präsident vorab unterbinden, indem er Delegiertenposten mit Verbündeten besetzt. Biden weiß: Wenn er nicht zurückzieht, wie er immer wieder betont, wird der Parteitag ihn nominieren. Alles andere wäre ein nie dagewesenes politisches Erdbeben.

Quelle: ntv.de

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