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"Sind Sie der gleiche Mann?" Biden ballt die Faust und gibt skurriles Interview

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Um Inhalte geht es in diesen Tagen kaum im US-Wahlkampf, sondern vor allem um eines: Wie steht es um Präsident Biden? Gegen dessen Kandidatur formiert sich der Widerstand. Indes versucht der 81-Jährige mit einem Interview, Zweifel zu zerstreuen. Das gelingt nicht wirklich.

Über das Weiße Haus gibt es ein ungeschriebenes Gesetz. Wer es einmal dorthin geschafft hat, wird von der eigenen Partei auch für eine zweite Amtszeit unterstützt. Entsprechend sind die Vorwahlen für einen US-Präsidenten ein Spaziergang. Kein Wahlkampf. Der begann für Joe Biden erst in der vergangenen Woche. Aber mit einer solchen Wucht, dass er ihn die Kandidatur bei den Demokraten kosten könnte. Er wehrt sich mit allem, aber der Widerstand in der eigenen Partei wird größer.

Seit den 90 desaströsen Minuten des Fernsehduells gegen Donald Trump findet sich der 81-Jährige in einem Sturm wieder, in dessen Auge seine Familie und engsten Vertrauten ihm versichern: Bleib standhaft. Du wirst gewinnen. Nur Du kannst Trump stoppen. Doch außerhalb tosen die Zweifel durch Washington und das Land, die Demokratische Partei, die Medien. Ist Biden körperlich und mental in der Lage, die Vereinigten Staaten weitere vier Jahre lang zu führen? Kann er bei der Wahl im November gegen den Republikaner gewinnen?

Biden ist in den vergangenen vier Jahren sichtlich gealtert. Nun, da sein Zustand die Nachrichten dominiert, setzen er und sein Team auf Transparenz ("Ich rede nicht mehr wie früher") und Kämpfertum ("Wer hinfällt, steht wieder auf"). Zudem nimmt er den Wahlkampf an, präsentiert sich mit geballter Faust in der Öffentlichkeit, bei Spendenveranstaltungen und, rund eine Woche nach dem TV-Duell, ohne Teleprompter erstmals in einem Fernsehinterview. Als wolle er beweisen, dass er sich kritischen Fragen noch stellen und spontan reagieren kann. Es soll ein Auftritt sein, der die Zweifel verbannt, bei Partei und Wählern.

Zu sehr vom Alter gezeichnet

In den rund 20 Minuten im US-Sender ABC macht Biden zu bester Sendezeit am Freitagabend zwar einen besseren Eindruck; mit mehr Farbe im Gesicht, ausgeruhter, wacher. Aber die ganze Situation ist skurril. Da sitzt ein US-Präsident als Beichtender und muss seinen Auftritt vor einer Woche erklären. Er wird zum Angeklagten, der seine Unschuld bezeugt und versucht, die Panik in der Partei und bei den Wählern über seinen Zustand und die schwindenden Erfolgschancen im November zu beruhigen.

"Ich bin hier hingekommen, um zu gewinnen": Biden beim Wahlkampf im Bundesstaat Wisconsin

"Ich bin hier hingekommen, um zu gewinnen": Biden beim Wahlkampf im Bundesstaat Wisconsin

(Foto: dpa)

Der Journalist George Stephanopoulos löchert ihn im ruhigen Ton mit unangenehmen Fragen. Sind Sie der gleiche Mann wie vor dreieinhalb Jahren? Sind Sie gebrechlicher? Haben Sie diesen Test oder jenen gemacht? Mehr Aussetzer in den vergangenen Monaten? Würden Sie sich einer neurologischen und kognitiven Untersuchung unterziehen? Sind Sie in der Lage, weiterhin zu regieren? Und er stellt eine Frage, die sich bei Biden einbrennen dürfte: Sind Sie ehrlich mit sich selbst? Wenn Sie sagen, Sie haben die mentale und körperliche Leistungsfähigkeit für weitere vier Jahre? Ja, antwortet der US-Präsident.

Die Antworten sind jedoch nahezu egal, es geht bei diesem Interview darum, wie Biden mit der Kritik umgeht. Die Sätze bildet, die Worte ausspricht, die Mimik und Gestik. Es gelingt ihm nicht, die Zweifel zu zerstreuen; dafür ist er zu sehr vom Alter gezeichnet. Biden kann derzeit fast nur verlieren, jeder seiner Schritte wird noch genauer verfolgt als es bei US-Präsidenten ohnehin der Fall ist. Doch die Unterstützung der Partei werde nicht wegbrechen, zeigt er sich in dem Interview mehrmals überzeugt. Wäre er nicht sicher, dass er regieren könnte, träte er nicht wieder an: "Nur der Allmächtige kann mich aus dem Rennen drängen."

Die inzwischen noch schlechteren Umfragewerte als vor dem TV-Duell wischt er beiseite, ebenso seinen Zustimmungswert, der inzwischen auf 37 Prozent gefallen ist. Noch nie ist ein Präsident mit einem solchen Wert für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Aber Sie müssen sich der Realität stellen, drängt Stephanopoulos. Sie haben 2020 nach Wählerstimmen deutlich vorn gelegen, aber trotzdem nur knapp gewonnen, jetzt liegen Sie hinten. Falls Sie verlieren und Trump gewählt wird, wie würden Sie sich im Januar fühlen? Ist es das Risiko wert?

Krisensitzung der Demokraten und besorgte Spender

Am Sonntag haben die Demokraten im Repräsentantenhaus eine virtuelle Sitzung, schreiben US-Medien, dabei werde es um Biden gehen. Einige wenige Abgeordnete sprechen sich öffentlich gegen die Kandidatur des Präsidenten aus. Senator Mark Warner versuche zudem derzeit, andere Senatoren davon zu überzeugen, am Montag gemeinsam ins Weiße Haus zu gehen und Biden vom Verzicht zu überzeugen, schreibt die "Washington Post".

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Immer mehr Großspender der Demokraten kritisieren Biden inzwischen offen, manche halten ihre Unterstützung der "New York Times" zufolge zurück, bis Biden auf seine Kandidatur verzichtet. Demnach sind viele davon überzeugt, dass ein anderer Kandidat bessere Siegchancen gegen Trump hätte. Eine Initiative hat vor, so schnell wie möglich 100 Millionen US-Dollar für einen Ersatzkandidaten X zu sammeln. Der Name: "Next Generation PAC". Viel Zeit ist bis November nicht mehr und der Nominierungsparteitag der Demokraten findet sogar bereits Mitte August statt.

Biden weiß, dass sich seine politische Zukunft in diesen Tagen entscheidet, für Ignoranz ist er zu lange in der Politik. Aber er denkt gar nicht daran, sich die Zweifel der anderen öffentlich zu eigen zu machen. "Ich werde nicht die 90 Minuten einer Debatte die Arbeit von dreieinhalb Jahren auslöschen lassen", wehrte er die Forderungen entschieden ab. Ob diese Entscheidung nur bei ihm liegt, wie es im ungeschriebenen Gesetz heißt, das wird sich zeigen.

Quelle: ntv.de

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