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Spielt China jetzt Vermittler? "Peking unterstützt Putin ganz offen"

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China liefert unter anderem Mikrochips, die Russland aus dem Westen aufgrund der Sanktionen nicht mehr bekommt.

China liefert unter anderem Mikrochips, die Russland aus dem Westen aufgrund der Sanktionen nicht mehr bekommt.

(Foto: IMAGO/ingimage)

Mit dem Sondergesandten Li Hui besucht heute erstmals seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine ein Vertreter der chinesischen Regierung Kiew. Sein Ziel laut Peking: "mit allen Parteien über eine politische Lösung" zu sprechen. So will sich China als Vermittler zwischen den Fronten positionieren, allerdings ist seine Position bislang alles andere als neutral, erklärt die China-Expertin Janka Oertel im Gespräch mit ntv.de.

ntv.de: China sagt, es will vermitteln, unterstützt Russland aber im Krieg gegen die Ukraine. Xi schickt chemische Vorprodukte für Sprengstoff, sendet Mikrochips, Ersatzteile für Fahrzeuge, unterstützt den Iran, der Drohnen für Moskau produziert. Statt offener Waffenlieferungen läuft die Hilfe also eher unter dem Radar. Kann Peking so als Vermittler glaubhaft auftreten? Oder geht es China am Ende nur darum, drohende Sanktionen zu verhindern und seine Wirtschaft zu schützen?

Janka Oertel: Mit Li Huis Besuch wird sich zeigen, ob es Peking mehr darum geht, die Illusion einer Vermittlerrolle aufrechtzuerhalten, oder ob es ein ernsthafter Versuch ist, sich in diesem Konflikt zu engagieren. Aktuell unterstützt die chinesische Führung die russische Regierung offen. Xi traf Putin jüngst erneut in Moskau, von Distanz war da keine Spur. Auch sein Verteidigungsminister reiste zu Gesprächen nach Russland. Beide Länder arbeiten zusammen im Bereich der Militärtechnologie, sie testen ihre Fähigkeit zu gemeinsamen Militäroperationen. Während des Kriegs fanden weiterhin gemeinsame Manöver zu Wasser, zu Land und in der Luft statt. Das ist das Gegenteil von "unter dem Radar".

Und jenseits von Militär und Politik? Wie stark ist derzeit Chinas Bedeutung für Russland wirtschaftlich?

China trägt durch intensive Wirtschaftsbeziehungen dazu bei, die russische Wirtschaft am Laufen zu halten. Der Handel zwischen beiden Ländern hat deutlich zugenommen, um fast 40 Prozent im ersten Quartal dieses Jahres. Darunter sind natürlich vor allem Chinas Importe von Öl und Gas, aber auch der Export von wichtigen Produkten wie Halbleitern nach Russland. Aber nicht nur da: Wir haben zum Beispiel auch einen Anstieg bei Lastfahrzeugen, Automobilen, Smartphones oder Computern, die von China nach Russland verkauft werden. Allerdings bleibt China auch für die Ukraine ein wichtiger Handelspartner.

Janka Oertel ist Direktorin des Asien-Programms der Denkfabrik European Council on Foreign Relations.

Janka Oertel ist Direktorin des Asien-Programms der Denkfabrik European Council on Foreign Relations.

(Foto: ECFR)

Wie wichtig ist dieser Handel mit China für Russlands militärische Stärke im Kampf?

Fakt ist: Diesen Krieg weiter zu führen, wäre für Putin ohne Chinas wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung deutlich schwieriger.

Wenn China für Russland so wichtig ist, wäre Xi Jinping dann in der Lage, Putin in diesem Krieg zu stoppen, wenn er es wollte?

In Peking ist man sich der Grenzen des eigenen Einflusses auf Putin durchaus bewusst. Natürlich könnte die chinesische Führung den Export von Kleidung, Schuhen, Lastern, oder Drohnen an Russland stoppen und Putin öffentlich die Unterstützung entziehen. Dies würde Russland isolieren und würde global das Narrativ des Krieges verändern. Das wird derzeit aber bewusst nicht getan. Viele im Westen wollen das nicht so deutlich sehen. Gern wird gesagt, "das kann doch nicht in Pekings Interesse sein, die Beziehungen zu Europa so zu strapazieren". Aber die letzten Monate zeigen uns deutlich, dass der Westen nicht so wahnsinnig erfolgreich darin ist, einzuschätzen, was denn wirklich "im Interesse" autoritärer Staatschefs liegt.

Macht sich der Westen etwas vor, wenn er rote Linien einzieht, hinter denen Sanktionen drohen würden, aber bei allem, was davor passiert, sagt er nichts?

Wir müssen definieren, was sinnvolle rote Linien sind. Die aktuellen Diskussionen über Sanktionen gegen chinesische Konzerne zeigen dies ja bereits. Europa bleibt hier reaktiv. Aber es geht ja im Fall der Ukraine um die europäische Sicherheit. Es wäre demnach sinnvoll selbst zu definieren, ab welchem Grad welche wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen chinesischen Konzernen und Russland für uns nicht mehr okay wäre. Die Grenze erst beim Export von Panzern und Kampfflugzeugen zu ziehen, scheint mir nicht sinnvoll. Unterhalb der Schwelle von direkten Rüstungstransfers ist vieles möglich, was Russland stärkt.

Sind wir da momentan zu naiv?

Naiv ist aus meiner Sicht der falsche Begriff, der wird so leichtfertig benutzt. Ich glaube, wir sind einfach nicht klar genug. Wir sind uns selbst strategisch nicht klar genug darüber, was denn für uns wirkliche game changer wären, und wie wir sie definieren wollen. Sind es Halbleiter, die in Kriegsgerät Einsatz finden können? Sind es Fahrzeuge, die Truppen transportieren können? Sind es Funkgeräte, Telefone oder Satellitentechnik? Wir können warten, bis die USA Entscheidungen treffen, die uns zum Handeln zwingen, oder wir können eine eigene klare Position entwickeln. Auch um deutlich zu machen, welche Kosten wir bereit sind dafür zu tragen.

Kosten in welcher Hinsicht?

Die jetzige Sanktionsdebatte zeigt, dass die Bereitschaft nicht überall in Europa gleich stark ausgeprägt ist, mögliche Gegenmaßnahmen, die China ja bereits angedroht hat, in Kauf zu nehmen. Das hat viel damit zu tun, dass die europäischen Staaten alle sehr unterschiedliche Abhängigkeiten vom chinesischen Markt und vom Handel mit China im Allgemeinen haben. Für viele Staaten im Baltikum und Mittel- und Osteuropa wiegt die Frage der Unterstützung des russischen Angriffskrieges schwer. Transatlantische Kooperation ist für sie besonders wichtig, darum sind sie bereit, die Kosten für eine rote Linie gegenüber Peking höher anzusetzen. Deshalb sendet Europa - noch - keine klare Botschaft.

Führt diese schwammige Haltung dazu, dass Peking sich traut, weitere Schritte zu gehen, um zu schauen, wie weit es gehen kann?

Durchaus. Die Taiwan-Frage ist ein gutes Beispiel oder die territorialen Ansprüche im Südchinesischen Meer. Die chinesische Führung schreitet voran und kann dann bewerten: An welcher Stelle kommt eigentlich eine Reaktion, ein Pushback? Wenn eine klare Reaktion kommt, ist man durchaus bereit, zurückzurudern. Als Beispiel: Die kollektive Verurteilung der Maßnahmen gegen Litauen ...

... als Peking mit einer Handelsblockade und weiteren wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegen Litauen reagierte, weil die Balten in ihrer Hauptstadt Vilnius eine Vertretung Taiwans unter diesem Namen - und nicht wie üblich "Vertretung von Taipeh" - erlaubt hatten.

Das Resultat ist jetzt, dass die EU ein Instrument gegen diese Form der Zwangsmaßnahmen geschaffen hat, damit man so künftig schneller und besser reagieren kann. Was ebenfalls mit Erstaunen und Sorge in Peking betrachtet wurde, waren die europäischen Sanktionen gegen Russland: Vor dem erneuten Angriff auf die Ukraine konnten sich die EU-Mitgliedstaaten nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, man denke nur an Nord Stream II. Aber dann kam eine konzertierte und umfassende Reaktion nach dem Beginn der Invasion 2022. Mit Sanktionen, die es so vorher noch nie gegeben hatte.

Und das nimmt China dann tatsächlich so ernst, dass konkrete Konsequenzen folgen? Obwohl - anders als bei den USA - eben keine Abhängigkeit von europäischer Wirtschaft besteht?

Solche klaren Schritte führen durchaus zum Nachdenken. Auch wenn es im Vorfeld immer schwer ist, Einigkeit zu signalisieren. Im Ernstfall müssen wir uns in Europa zumindest intern einig und klar darüber sein, wie weit wir bereit sind zu gehen, damit der chinesischen Führung signalisiert werden kann, was ein Überschreiten unserer roten Linien bedeutet.

Spricht für europäischen Einfluss auf China auch, dass Peking diese Partnerschaft mit Russland eher aus Kalkül für seine eigenen Belange unterhält als aus Begeisterung?

China handelt da sehr pragmatisch, auch aus dem Bewusstsein heraus, dass Russland als nördlicher Nachbar immer da sein wird und man mit ihm eine konfliktreiche gemeinsame Geschichte teilt.

Da hat es ja sogar russische Invasionen gegeben, in deren Verlauf China Gebiete an seinen Nachbarn verloren hat - unter anderem Wladiwostok, was zuvor chinesisch war.

Diese Verluste im 19. Jahrhundert haben Wunden gerissen. Die Grundausrichtung Pekings ist darum: Wir sollten Moskau immer aus einer Position der Stärke heraus begegnen. Das ist die Lektion aus der russisch-chinesischen Geschichte. Und gerade verschiebt sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden deutlich in Richtung China.

Ist Russland dann inzwischen tatsächlich nur noch der "kleine Bruder" Chinas? So wurde das Verhältnis ja zuletzt oft gelabelt.

Die chinesische Führung betont die Beziehung zu Russland derzeit so stark, weil dies die eigene Machtposition stärkt und den eigenen strategischen Interessen im Systemwettstreit mit den USA dienlich ist. Dabei geht die russische Rolle über die eines Juniorpartners und Energielieferanten aber hinaus. Das Verhältnis erschöpft sich nicht in Handelsstatistiken, Wirtschaftskraft und Technologietransfer. Es ist die politische Unterstützung, die zählt. Moskau und Peking stehen gemeinsam für eine Alternative zur westlich geprägten Ordnung.

Kommt der Krieg, der Russland auf verschiedenen Ebenen Kraft kostet, China da zupass?

Zum einen kostet die Unterstützung der Ukraine gegen den Angreifer die USA und Europa enorm viel Geld und politische Energie, das erschwert die Position im langfristigen Wettbewerb mit Peking. Zum anderen wird Russland schwächer und abhängiger von China. Es bleibt allerdings ein Balanceakt. Es ist nicht leicht zu verkaufen, dass man die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine anerkennt und gleichzeitig die russische Aggression nicht verurteilt.

Könnte Russland im weiteren Verlauf des Krieges aber auch so schwach werden, dass es als Partner für China gar nichts mehr taugt?

Die Frage ist eher: Könnte Putin so schwach werden? Das ist der Risikofaktor, denn das Verhältnis zwischen Xi und Putin ist eng.

Welche Optionen hätte China dann?

Pragmatisch ist die chinesische Führung in einer solchen Situation in anderen Regionen bislang relativ schnell in der Lage gewesen, mit dem nächsten Machthaber gute Beziehungen aufzubauen. Ein dem Westen zugewandtes, demokratisches Regime wäre allerdings problematisch, aber das ist derzeit ja nicht wahrscheinlich. Die Frage, wie weit die chinesische Führung bereit ist, Putin zu stabilisieren, um sein politisches Ende zu verhindern, ist noch unklar. Mein Eindruck ist, Peking setzt darauf, dass die langfristige Kriegstaktik Putins aufgeht, er seine Macht erhalten kann und es irgendwann zu Verhandlungen kommt.

Mit Janka Oertel sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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