Politik

Rechter Terror seit 1945 Die Blutspur der Neonazis in Deutschland

Süleyman Tasköprü war eines der Opfer des NSU.

Süleyman Tasköprü war eines der Opfer des NSU.

(Foto: picture alliance/dpa)

Rechtsextremismus bleibt eine Gefahr. Von den Wehrsportgruppen der Nachkriegszeit über das Oktoberfest-Attentat 1980 bis zum NSU erschüttert rechter Terror immer wieder die deutsche Gesellschaft. Im ntv-Podcast "Wir sind Geschichte" geht's um die Netzwerke, die dahinterstehen.

Im Verfassungsschutzbericht aus dem Juni 2022 steht es schwarz auf weiß: Die größte extremistische Bedrohung für Deutschlands Demokratie bleibt der Rechtsextremismus. Bundesweit gibt es demnach 13.500 gewaltbereite Rechtsextreme, die Zahl ihrer Unterstützer liegt bei 33.900 - Tendenz steigend.

Woher kommt dieses Gewaltpotenzial? Und wie organisiert sich die rechte Szene? Kemal Bozay, Professor für soziale Arbeit und Sozialwissenschaften, forscht zu diesem Thema. "Es gibt verschiedene Netzwerke: politische Parteien wie die NPD, internationale Verbindungslinien zwischen Neonazi-Gruppen, Combat 18, der NSU 2.0 - es kommen verschiedene Gruppen "zusammen", sagt Bozay im ntv Podcast "Wir sind Geschichte" zum Rechtsterrorismus seit 1945. "Durch den Rechtspopulismus haben wir eine Basis dafür."

In den 1960er und 70er Jahren bildeten sich die ersten Netzwerke. Nach dem Vorbild der SS entstanden die sogenannten Wehrsportgruppen, die Anschläge und Morde verübten. Auch Gundolf Köhler, der den rechtsextremen Terroranschlag auf das Oktoberfest 1980 verübt hatte, gehörte der Wehrsportgruppe Hoffmann an. Diese Tatsache sei im gesellschaftlichen Kontext immer ausgeblendet worden, erzählt Kemal Bozay. Bei dem Anschlag starben 13 Menschen, 221 wurden verletzt.

Auf rechtem Auge blind?

Die Aufarbeitung dieses Anschlags ist laut Bozay charakteristisch für den Umgang mit Rechtsterrorismus in Deutschland. "Er wurde jahrzehntelang nicht richtig verarbeitet. Erst in den letzten Jahren sehen wir eine intensive Auseinandersetzung damit. Über die rechtsextremen Netzwerke fand die Bewaffnung statt, wurde die agitative Form gelehrt. Man will durch solche Attentate gesellschaftliche Umbrüche schaffen." So sollte im Fall des Oktoberfestattentats die Bundestagswahl 1980 beeinflusst werden. "Die Erinnerungskultur hat viele Dinge verdrängt", findet Bozay.

Der NSU sei ein weiteres Beispiel dafür, dass die deutschen Behörden lange Zeit auf dem rechten Auge blind gewesen seien, so Bozay im Podcast. "Wenn man in die Tiefe geht, dann sieht man, dass es nicht nur ein Trio war, sondern dass dahinter rechtsextreme Netzwerke und Verbindungslinien stehen. All die jungen Menschen, die in diesem Netzwerk verankert waren, waren auch in anderen Netzwerken aktiv, wie zum Beispiel dem Thüringer Heimatschutz."

"Politische Bildungsarbeit stärken"

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Der NSU hatte zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet, darunter neun Migranten. Sowohl die Polizei als auch die Politik schlossen damals einen rechtsterroristischen Hintergrund aus. "Damit war die Ermittlung ganz klar in Richtung der türkischstämmigen Community ausgerichtet, sodass jahrelang Menschen, die Opfer und Betroffene waren, als Täter stigmatisiert wurden. Die staatlichen Stellen haben hier nicht sauber gearbeitet, obwohl der Verfassungsschutz wusste, wer die Täter waren", sagt Bozay, der eine stärkere Sensibilisierung für die Gefahren von Rechtsextremismus fordert.

"Man kann die Kontinuität des Rechtsextremismus nur bekämpfen, wenn Politik, Medien und die Gesellschaft klare Kante zeigen. Darüber hinaus müssen wir die politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen stärken. Wir müssen den Heranwachsenden bewusst machen, was hinter den Motiven steckt. Das darf man nicht verdrängen", mahnt Bozay. "In unserer Gesellschaft der Vielen müsste eine Akzeptanz für ein gemeinsames 'Wir' entwickelt werden, in dem nicht von den Unterschieden redet, sondern von den Gemeinsamkeiten, und wo man Räume der Begegnung hat, um all diesen menschenfeindlichen Tendenzen entgegenzuwirken."

Wir sind Geschichte - ein ntv Podcast

In "Wir sind Geschichte" steuert Moritz Harms seinen Zeitreisebus in zehn Episoden über die interessantesten Routen, die unser historisches Straßennetz zu bieten hat. Die Olympischen Spiele in Deutschland, Feminismus, politische Attentate, das atomare Wettrüsten und vieles mehr. "Wir sind Geschichte" - der ntv History-Podcast erscheint ab 1. April jeden Freitag in der ntv App und überall, wo es Podcasts gibt: Audio Now, Amazon Music, Apple Podcasts, Google Podcasts und Spotify. Mit dem RSS-Feed auch in anderen Apps.

Quelle: ntv.de

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