"Koffer mit rotem Knopf" Politologe Münkler fordert mehr Atomwaffen in Europa
29.11.2023, 14:28 Uhr Artikel anhören
Von mehr Atomwaffen in Europa ließe sich Wladimir Putin beeindrucken, glaubt Politologe Münkler.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Wie können Europas Staaten künftig Kriege verhindern? Laut Politologen Herfried Münkler ließe sich das über ein größeres Arsenal an Atomwaffen sicherstellen. Das würde etwa Russland abschrecken, das Baltikum zu attackieren. Für die Ukraine ist seine Vision dagegen eine andere.
Der Politologe Herfried Münkler hat im "Stern" eine atomare Aufrüstung Europas für einen besseren Schutz vor Kriegen gefordert. "Europa muss atomare Fähigkeiten aufbauen", sagte Münkler. "Die Briten haben zwar Atom-U-Boote, Frankreich die Bombe, aber werden sie die wirklich einsetzen, um Litauen oder Polen zu schützen? Das darf man aus Sicht des Kremls bezweifeln. Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert."
Längst sei eine Aufrüstungsspirale in Gang, der sich Europa nicht entziehen könne. "Die Ukraine hat nach dem Budapester Memorandum ihre Atomwaffen an Russland abgetreten, für das amerikanische, britische und russische Versprechen, die Grenzen der Ukraine zu schützen. Die Erfahrung zeigt, dass solch ein Vertrag nichts wert ist. Für viele liegt es viel näher, die Politik des Nordkoreaners Kim zu betreiben - nur bis an die Zähne bewaffnet ist man unangreifbar. Das ist der Grund, warum auch die iranischen Mullahs die Bombe haben wollen. Und wenn die sie haben, will Saudi-Arabien auch eine. Und als Nächstes kämen die Türken. Putins Ukrainekrieg hat die Politik der Nichtverbreitung von Atomwaffen desavouiert."
In der Ukraine spricht sich Münkler für kriegsfreie Zonen und eine große Friedenslösung nach Ende des Konflikts aus: "Es steht mehr auf dem Spiel als nur die Ukraine-Frage", sagte Münkler dem "Stern". "Wir müssen uns fragen: Wollen wir in der Ukraine nur einen Waffenstillstand und darauf hoffen, dass er so lange hält wie der zwischen Nord- und Südkorea? Oder trauen wir uns eine umfassende Friedensregelung zu?" Es gehe "um geopolitische Interessen, um eine russische Kontrolle des Schwarzen Meeres, auf das auch Erdoğan ein Auge geworfen hat", so Münkler. "Man muss auch über Aserbaidschan und Armenien sprechen, über die Zukunft von Georgien und Moldawien. Alles muss auf den Tisch, sonst fängt man wenig später wieder von vorn an."
Münkler widersprach zudem dem Eindruck, während des laufenden Krieges nicht über eine Friedenslösung verhandeln zu können. "Verhandeln und Kämpfen ist keineswegs die Alternative, das geht oft parallel", so Münkler. "Man braucht keinen Waffenstillstand, nur einen sicheren Raum, eine kriegsfreie Zone."
Münkler verwies auf historische Beispiele: "Parallel zu den Pariser Verhandlungen eskalierten die USA die Gewalt mit dem Ziel, ihre Position am Verhandlungstisch zu verbessern. So war es auch im Westfälischen Frieden: Die kaiserliche Seite unterschrieb erst nach der verlorenen Schlacht von Jankau - als sie wusste, dass sie militärisch nicht mehr gewinnen konnte."
Quelle: ntv.de, als