Politik

Drohungen in TV-Ansprache Putin: Ukraine hat keine "echte Staatlichkeit"

Am Ende einer langen historischen Abhandlung erklärt Russlands Präsident Putin, dass Moskau die besetzten Gebiete in der Ostukraine als unabhängig anerkennt. In bislang nicht gekannter Schärfe attackiert er die Ukraine und den Westen - und erklärt seine Bereitschaft zu Verhandlungen.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die beiden Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als unabhängige "Volksrepubliken" anerkannt. "Ich halte es für notwendig, eine längst überfällige Entscheidung zu treffen, nämlich die Unabhängigkeit und Souveränität der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Luhansk unverzüglich anzuerkennen", sagte der Kremlchef in einer Fernsehansprache. Anschließend unterzeichnete er nach einem Antrag der Separatisten ein entsprechendes Dekret im Beisein der Separatistenführer, Denis Pushilin and Leonid Pasechnik, wie das Staatsfernsehen zeigte. "Ich gratuliere Ihnen" wird Putin von der staatlichen Agentur Itar Tass zitiert. Der Westen wertet einen solchen Schritt als einseitigen Verstoß gegen das Minsker Abkommen. Die EU kündigte Sanktionen an.

(Update: Putin könnte das Dekret bereits Stunden vor der Ausstrahlung im russischen Staatsfernsehen unterschrieben haben. Auf den Fernsehbildern aus dem Kreml ist Putins Armbanduhr zu sehen, deren Stundenzeiger auf der Drei steht. Gesendet wurden die Aufnahmen im russischen Staatsfernsehen jedoch erst ab etwa 22.35 Uhr Moskauer Zeit.)

Dem Freundschafts- und Unterstützungsabkommen sollen am morgigen Dienstag noch die Parlament (Duma) und der Föderationsrat zustimmen, sagte Putin. In seiner vom Schreibtisch gehaltenen Rede an die Nation hatte der 69-Jährige einmal mehr einen längeren historischen Bogen geschlagen und dabei auch die Ukraine sowie den Westen und die NATO scharf attackiert.

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In seiner gut einstündigen emotionalen Rede stellte der Kreml-Chef die Staatlichkeit der ehemaligen Sowjetrepublik als Ganzes infrage. Er bezeichnete die Ukraine als einen durch Russland unter dem kommunistischen Revolutionsführer Lenin geschaffenen Staat. Die Denkmäler Lenins seien dort zerstört worden als Zeichen der "Dekommunisierung", sagte Putin mit Blick auf die Abschaffung der Überreste des Kommunismus. "Wir sind bereit, der Ukraine zu zeigen, was eine echte Dekommunisierung ist."

Die Ukraine habe nie eine "echte Staatlichkeit" gehabt, sondern vielmehr Modelle kopiert, sagte Putin weiter. Dort hätten heute Radikale und Nationalisten das Sagen - unter den Kuratoren des Westens, die das Land in die Sackgasse geführt hätten. Korruption und Machtkämpfe von Oligarchen würden verhindern, dass es den Menschen in der Ex-Sowjetrepublik besser gehe. Viele Industriezweige seien heruntergewirtschaftet. Die ukrainischen Behörden seien von Nationalismus und Korruption verunreinigt, das Land befinde sich in den Händen von oligarchischen Clans.

"NATO hat auf Moskaus Sorgen gespuckt"

Darüber hinaus warnte Putin davor, dass in der Ukraine Atomwaffen hergestellt werden könnten. "Wir wissen, dass es bereits Berichte gab, die Ukraine wolle ihre eigenen Atomwaffen herstellen. Das ist keine leere Prahlerei", sagte er. "Die Ukraine verfügt tatsächlich immer noch über sowjetische Nukleartechnologien und Trägersysteme für solche Waffen."

Der NATO warf Putin eine jahrelange Täuschung Moskaus vor. Russland sei zu Sowjetzeiten bei der Wiedervereinigung Deutschlands versprochen worden, dass die Nato sich kein bisschen nach Osten ausdehne. "Sie haben uns betrogen", sagte Putin und warf dem westlichen Bündnis vor, bereits fünf Wellen der Ausdehnung nach Osten durchgezogen zu haben - und Russland wie einen Feind zu behandeln. "Warum das alles? Wozu?", fragte Putin.

Die NATO habe es darauf angelegt, Russland als flächenmäßig größtes Land zu schwächen, so Putin weiter. In der Vergangenheit seien auch die Terroristen im Nordkaukasus unterstützt worden, sagte er mit Blick auf die Kriege in der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Die NATO habe bisher alle Proteste und Warnungen ignoriert. Das westliche Bündnis habe dabei auf Moskaus Sorgen "gespuckt".

Putin bietet weiter Verhandlungen an

Ferner warf er dem Militärbündnis vor, mit einer "unverschämten Aneignung" der Ukraine begonnen zu haben. Der Westen wolle die Ukraine als "Theater möglicher Kampfhandlungen" erschließen, sagte Putin. Die USA und die NATO würden mit im Land stationierten US-Drohnen ständig Russland ausspionieren. Ein NATO-Beitritt der Ukraine wäre eine direkte Bedrohung der russischen Sicherheit.

Zugleich betonte Putin, dass Russland weiter bereit sei zum Dialog mit dem Westen - mit der NATO und den USA. Voraussetzung sei ein Ende der Osterweiterung, ein Verzicht auf die Stationierung von Raketenabwehrsystemen und ein Rückzug der Nato auf die Positionen von 1997, sagte Putin. "Russland trat und tritt immer dafür ein, dass die schwierigsten Probleme mit politisch-diplomatischen Methoden am Verhandlungstisch entschieden werden", sagte er.

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Vor seiner TV-Ansprache hatte Putin nach Kremlangaben Bundeskanzler Olaf Scholz über seine Pläne zur Anerkennung informiert. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei über die Pläne informiert worden, hieß es. Beide hätten enttäuscht regiert, teilte die Präsidialverwaltung in Moskau mit.

In einer ersten Reaktion verurteilte der britische Premierminister Boris Johnson die angekündigte Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken scharf. "Das ist ein offener Bruch internationalen Rechts, eine schamlose Verletzung der Souveränität und Integrität der Ukraine", sagte er in London. Russland verstoße gegen das Minsker Abkommen. "Das ist ein schlechtes Omen, ein sehr dunkles Signal", betonte Johnson. Er kündigte an, dass Großbritannien eng an der Seite der Ukraine stehe und eines von wenigen Ländern sei, das der Ex-Sowjetrepublik Defensivwaffen geliefert habe

Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP/rts

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