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Weiter kein Kurswechsel in Sicht "Putin versucht, die Sanktionen für sich zu nutzen"

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Putin zeigt sich unbeeindruckt von den Sanktionen der EU. Doch die russische Wirtschaft zahlt einen hohen Preis.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

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Als Russland Ende Februar 2022 die Ukraine angreift, reagiert die EU prompt. Ein Sanktionspaket nach dem anderen wird geschnürt. Aktuell ist das elfte in Arbeit. Doch Putin zeigt sich unbeeindruckt. Der Sanktionsexperte Christian von Soest sagt, warum vorerst weiter kein Kurswechsel des Kremls zu erwarten ist.

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Professor Dr. Christian von Soest forscht in der Berliner Dependance des German Institute for Global and Area Studies (GIGA) mit Sitz in Hamburg. Zu seiner Expertise zählen neben Sanktionen auch autoritäre Regime.

(Foto: GIGA )

ntv.de: Herr von Soest, seit rund 15 Monaten erlässt die EU mehr und mehr Sanktionen gegen Russland - doch der Krieg geht weiter. Sind die Sanktionen immer noch zu schwach?

Christian von Soest: Die Kosten der Sanktionen sind mittlerweile für Russland sehr hoch, etwa in den Bereichen Energie, Finanzmärkte und Zugang zu Technologie. Sie werden Russland zurückwerfen und über die Jahre ärmer machen. Wir dürfen das Mittel der Sanktionen aber nicht überschätzen. Zu einem Umsteuern des Kremls werden sie vorerst nicht führen.

Warum nicht? Angesichts dieser Lage würde doch jeder vernünftige Präsident sein Verhalten überdenken.

Wenn es ein kühles, rationales Abwägen nach Kosten und Nutzen im Kreml gäbe, dann hätte Präsident Putin diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gar nicht erst befohlen. Das Ziel, sich die Ukraine einzuverleiben, ist aus seiner Sicht offenbar so wichtig und aufgeladen, dass er höchste Kosten in Kauf nimmt. Hinzu kommt, dass diese Kosten nicht direkt diejenigen treffen, die die Entscheidungen treffen. Aus anderen Ländern wie dem Iran, Syrien oder Venezuela wissen wir, dass oftmals eher die "einfache" Bevölkerung unter den Sanktionen leidet.

Wenn eher die breite Masse unter Sanktionen leidet, müsste das ja ein Problem für die Regierung sein - weil die Menschen unzufrieden werden.

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, wie Sanktionen zu einem Kurswechsel führen. Die erste wäre, dass die Regierung selbst umsteuert, was aber in Russland nicht passiert. Das Zweite ist, dass die Elite, etwa die Oligarchen in Russland, Druck ausübt. Dafür sehen wir im Moment ebenfalls keine Anzeichen. Auch wenn sich das schnell ändern könnte. Die dritte Möglichkeit wären Proteste der Bevölkerung. Am Anfang der Invasion haben wir einige Demonstrationen gesehen, auch nach Beginn der Teilmobilisierung im vergangenen Herbst. Letztlich war das aber sehr begrenzt. Das liegt auch an der harten Repression in Russland: Wer auf die Straße geht, wird verhaftet und kann seinen Arbeitsplatz verlieren. Oder es wird gedroht, dass alle männlichen Verwandten sofort eingezogen und an die Front geschickt werden.

Putin stellt die Sanktionen wie auch die Waffenlieferungen als Angriff auf Russland insgesamt dar. Profitiert er insofern noch davon?

Das wissen wir nicht, weil wir kaum verlässliche Daten aus Russland haben. Präsident Putin versucht, die Sanktionen innenpolitisch für sich zu nutzen. Ich vermute aber, dass der Angriffskrieg selber wichtiger ist. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 schoss die Popularität Putins in die Höhe. Die eigentliche Ursache dafür war Studien zufolge die Annektierung selbst, die Sanktionen änderten daran wenig. Aus anderen Fällen wie Syrien wissen wir, dass die Sanktionen zwar abgelehnt wurden, die Menschen die Regierung aber trotzdem nicht aus der Verantwortung entließen. Sie waren sich offensichtlich im Klaren darüber, dass die Sanktionen nicht allein für Wirtschaftskrise, Korruption und Repression verantwortlich waren. Es ist aber enorm schwer, belastbare Daten zur Einstellung der Bevölkerung in autoritären Staaten zu erheben.

Russland hat sein Verhalten trotz immensem Sanktionsdruck nicht geändert. Was kann man überhaupt mit Sanktionen erreichen?

Es war nicht zu erwarten, dass Sanktionen allein einen Kurswechsel des Kremls erzwingen würden. Wenn es darum geht, Russland in diesem Krieg zurückzuschlagen, sind die Waffenlieferungen das Entscheidende. Meines Erachtens will die EU im Moment vor allem den Handlungsspielraum Russlands begrenzen, etwa indem sie die Zufuhr von Mikrochips stoppt, die zum Beispiel für Präzisionswaffen wichtig sind. Durch die Begrenzung des Ölpreises beschränken die westlichen Staaten außerdem die finanziellen Möglichkeiten. Hinzu kommt das Signal an Russland, aber auch nach innen und an mögliche Nachahmer, dass dieser Völkerrechtsbruch schmerzhafte Konsequenzen hat.

Wenn sie keine Verhaltensänderung herbeiführen, sind die Sanktionen da überhaupt sinnvoll?

Ja, das sind sie. Der Angriff ist eine gravierende Verletzung des Völkerrechts, von zentralen Bausteinen, auf denen die Weltordnung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, aber auch des Kalten Krieges ruht. Dass die EU und Deutschland selbst auch hohe Kosten in Kauf nehmen, zeigt Russland, dass sie es ernst meinen. Dies macht die Maßnahmen glaubwürdiger. Es ist schon bemerkenswert, dass die 27 Mitgliedsstaaten der EU bislang 10 Sanktionspakete einstimmig beschlossen haben. Auch weil Russland ein sehr untypisches Sanktionsziel ist: Es ist eine Atommacht, sitzt als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und kann wirtschaftlichem Druck, wie wir sehen, zumindest kurzfristig standhalten.

Wie groß ist das Problem, dass die Sanktionen unterlaufen und umgangen werden?

Natürlich kann Russland sein Erdöl statt nach Europa nach Indien oder China liefern, muss dafür aber hohe Preisabschläge in Kauf nehmen. Das verbieten die Sanktionen auch gar nicht. Das eigentliche Problem ist, wenn Erdöl aus Russland in Indien raffiniert wird und dann in die EU gelangt. Ein anderes Problem ist, dass Waren aus Kasachstan, Armenien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken ohne Kontrollen nach Russland eingeführt werden können. Die EU wird deswegen zunehmend Druck ausüben, damit die Waren in dem Land bleiben, in das sie geliefert wurden. Auch wenn es äußerst schwierig wird, zu kontrollieren, ob ein Chip aus einer Waschmaschine nicht doch nach Russland gelangt.

Das klingt nicht nach großer Wirksamkeit.

Unterm Strich zahlt die russische Wirtschaft einen sehr hohen Preis. Wir sehen beispielsweise auch, dass chinesische Konzerne bisher zurückhaltend waren, bei der Lieferung von Elektronik-Bauteilen und anderen High-Tech-Gütern einzuspringen. Sie müssen fürchten, dann den Zugang zum US-Markt zu verlieren. Dass die Sanktionen ihre Wirkung entfalten, sehen Sie auch daran, dass beispielsweise Lada jetzt wieder Autos wie in den 1990er Jahren baut: ohne ABS oder Airbags.

Werden diese Sanktionen den Krieg beenden?

Die Sanktionen selbst nicht, nein. Sie werden Russlands Handlungsmöglichkeiten einschränken. Langfristig kann das dazu führen, dass der Kreml oder die weitere Elite ihre Kosten-Nutzen-Rechnung verändern. Sanktionen können auch Verhandlungsmasse werden. Wenn es zu ernsthaften Verhandlungen kommen sollte, könnte man bei echten Zugeständnissen, zum Beispiel einem Rückzug, die Sanktionen lockern. Danach sieht es im Moment aber überhaupt nicht aus.

Mit Christian von Soest sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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