AfD-Talk bei Caren Miosga Ramelow: "Ganz Deutschland gruselt sich vor Thüringen"
26.02.2024, 01:48 Uhr Artikel anhören
Nicht Thüringen sei zum Gruseln, sondern die AfD, sagt Ramelow.
(Foto: Quelle ARD/ Thomas Ernst)
Bodo Ramelow warnt davor, dass "uns die Demokratie zwischen den Finger verrinnt". In der ARD-Talksendung "Caren Miosga" spricht Thüringens Ministerpräsident über die anstehenden Wahlen in Ostdeutschland und das Schreckgespenst AfD. Auch die CDU und Sahra Wagenknecht spielen eine Rolle.
"Wird der Osten unregierbar?", will Caren Miosga qua Arbeitstitel in ihrer Talksendung im Ersten am Sonntagabend von Thüringens Ministerpräsident erfahren. Bodo Ramelow warnt dabei inständig vor dem Schreckgespenst AfD. "Ganz Deutschland gruselt sich am liebsten vor Thüringen", sagt der Linken-Politiker und meint: Sein Bundesland, und generell Ostdeutschland, habe einen zu schlechten Ruf, doch fürchten müsse man sich vor der dort als sicher rechtsextrem eingestuften AfD dennoch.
Es werde in Gesamtdeutschland "immer nur die große Thüringer Gefahr aufgezeigt", regt sich Ramelow auf. Aber die Gefahr für die Demokratie gehe konkret von Björn Höcke aus, dessen Worte man sich nur genau anschauen müsse, dann wissen man alles. Ihn müsse man unter allen Umständen aufhalten. Höcke gilt als maßgeblicher Antreiber für die Radikalisierung der AfD, der Verfassungsschutz überwacht ihn seit 2020 als Rechtsextremisten.
Dabei steigt Talkmasterin Miosga mit gar nicht gruseligen, sondern persönlichen Themen ein, wohl um Ramelow aus der Reserve zu locken. Es geht um den größten Sieg seiner Karriere, um seinen erfolgreichen Kampf mit Legasthenie. Viel über das Thema - die Wahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen in gut einem halben Jahr - erfahren die Zuschauer dabei nicht, sondern etwa, dass Ramelow "leider keine Liebesbriefe geschrieben" habe.
Dann kommt einer der negativsten Momente im Politikerleben des Ministerpräsidenten auf den Tisch: Die Regierungskrise, die FDP-Mann Thomas Kemmerich 2020 auslöste, als er sich mit Stimmen der AfD ins Amt hieven ließ, welches er einen Tag später wieder abgab. Als die AfD zugegeben hat, "dass sie die FDP auf die Bühne gelockt und eine Leimrute ausgelegt hat" und als "die FDP mich noch im Plenarsaal aufgefordert hat, mein Büro auszuräumen, fand ich das eine Ungeheuerlichkeit", sagt Ramelow. "Die AfD spielte ein Spiel mit Demokratie", erklärt er.
Corona war der Wendepunkt
Die Linken und er selbst nehmen Schaden - und das AfD-Gespenst treibt sein Unwesen in stetig neue Höhen. Mittlerweile kommt die rechtsextreme Partei in Thüringen auf bis zu 36 Prozent in Umfragen (Linke bei 17, CDU bei 20). "Wie hätten Sie Wähler halten können?", möchte Miosga wissen? Die Corona-Pandemie sei ein Hauptgrund, meint Ramelow, denn Bürgerinnen und Bürger, "waren mit meinen Entscheidungen nicht einverstanden". Schließungen und Zwangsimpfungen habe er aber immer kritisch gesehen. "Corona war aber irgendwann vorbei", kontert die Talkmasterin. "Aber die Spaltung der Gesellschaft aus der Corona-Zeit ist immer noch vorhanden", glaubt der Ministerpräsident. "Die, die damals bei Montagsdemo mitgelaufen sind, schwenken heute gleichzeitig eine Friedensflagge und eine Russlandfahne."
Um die spezielle Beschaffenheit des "gruseligen" Ostdeutschlands, wo die Umfragewerte der AfD höher sind als im Westen, und den Nährboden für rechte Themen zu erörtern, ist auch Katharina Warda geladen. Die sächsische Soziologin mit den Schwerpunktthemen Ostdeutschland und Rassismus stellt zunächst klar: "Es gibt nicht den Osten und den Ostdeutschen, solch ein Blick ist Teil des Problems." Ihre Forschung zeige aber, "wie stark eine internationale Rechte sich über das Thema Osten identifiziert und das Thema instrumentalisiert". Osten könne etwa Ostdeutschland oder Russland sein, die Hauptsache sei: "Abgrenzung zum demokratischen Westen." Dieses Bild habe sich "tief eingefressen" in die ostdeutsche Gesellschaft und werde von der AfD ausgenutzt, wodurch die Linke Wählerinnen und Wähler verliere.
Ramelow stimmt zu und identifiziert einen "Chauvinismus und Kolonialismus von Wladimir Putin", den viele Menschen in Ostdeutschland nicht sehen, sondern stattdessen zu Russland halten würden. Tatsächlich stoßen in den neuen Bundesländern Waffenlieferungen an die Ukraine meist auf Ablehnung, ein Thema mit dem AfD und Linke auf Stimmenfang gehen. Doch Ramelow, den der "Spagat innerlich zerreißt", schließlich würde er am liebsten niemandem Waffen schicken müssen, erklärt: "Mir fällt kein Argument ein, warum man der Ukraine keine Waffen liefern sollen."
Ein weiterer Grund für Ramelows schlechte Chancen im Kampf um die Wiederwahl ist laut Experten das Gefühl vieler Ostdeutscher, vom Bund hängen gelassen und zu wenig gesehen zu werden. Die ARD-Talkrunde verpasst es aber, hier den Finger auf den Puls zu legen und der Ministerpräsident merkt lediglich an, dass etwa die "Ostrenten-Anpassung nur halbherzig" angegangen worden sei, als sie im vergangenen Juli, fast 33 Jahre nach der Wiedervereinigung unternommen wurde. So etwas "bleibt bei Ostdeutschen hängen", sagt Ramelow, der für Armutsbekämpfung nur das Geld ausgeben könne, das der Bund ihm zur Verfügung stelle.
Warda will CDU nicht aus Verantwortung entlassen
Ebenfalls in der Diskussionsrunde sitzt Thomas de Maizière. Der ehemalige CDU-Verteidigungs- und Innenminister ist seit 30 Jahren im Osten des Landes zu Hause und "bedauert" den dort "tief sitzenden Anti-Amerikanismus", der der AfD in die Finger spiele. Als Talkmasterin Miosga das Gespräch auf die Frage lenkt, ob die CDU womöglich mit der Linken koalieren müsse, was ihr Spitzenkandidat Mario Voigt jüngst ausgeschlossen hatte, um Höcke als Ministerpräsidenten zu verhindern, gibt sich de Maizière staatsmännisch: Ratschläge von außen hätten nie etwas genützt.
Warda findet allerdings, die Union müsse für eine Zusammenarbeit offen sein und bemängelt außerdem "die klare Abgrenzung der CDU nach rechts". "Nö", meint dazu der ehemalige Minister, das würden er und seine Partei immer wieder bekräftigen. Dass Voigt mit AfD-Stimmen Gesetze im Landtag beschlossen hat, erwähnt de Maizière nicht. Die Soziologin kritisiert jedoch "die Praxis" der CDU, wo die Parolen immer härter und aus der "Rassismus-Grube" stammen würden, um Wähler von der AfD abzujagen. Dies würde einerseits nicht gelingen, andererseits verschiebe die CDU dadurch Themen und Stimmung nach rechts und "sorgt für ein Klima, in dem es leichtfällt, rechts zu wählen".
Natürlich diskutiert die Runde dann noch, ob auch Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis zu einem Gespenst für Ramelow in Ostdeutschland mutieren könne. Der Ministerpräsident erkennt an: "Meine Bundespartei hat sich nicht breiter aufgestellt, sondern ist erodiert." Dass ausgerechnet Wagenknecht die Linke nun als Partei der Intrigen kritisiere, sei für ihn genauso "bitter", wie dass sie Abstimmungen mit der AfD nicht ausschließt. Schaffe seine ehemalige Weggefährtin es, ein Aufbruchsgefühl zu vermitteln, könne das dazu führen, "dass meine Partei noch mehr Stimmen verliert", sagt der Linken-Politiker.
Vor Thüringen muss sich der Rest Deutschlands nicht gruseln. Doch die Talk-Runde findet keine Antwort darauf, wie das Schreckgespenst Björn Höcke, der mit "wohltemperierter Grausamkeit" Millionen aus AfD-Sicht nicht integrierte Menschen aus der Bundesrepublik vertreiben will, bei den Wahlen im September aufgehalten werden kann. "Wir müssen aufpassen, dass uns am Ende Demokratie nicht zwischen den Finger verrinnt", warnt Bodo Ramelow. Damit das nicht passiert, hofft der Großteil des Landes, dass er und die anderen demokratischen Parteien die Wünsche, Ängste und Nöte der Bürgerinnen und Bürger aus Thüringen noch rechtzeitig adressieren.
Quelle: ntv.de