Saurer Putin und hohe Verluste Russland soll Offiziere a. D. an die Front beordern
28.06.2022, 11:57 Uhr
Auch Tschetschenen wie dieser Offizier sind im Donbass für Russland im Einsatz.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
Seit Wochen liefern sich ukrainische und russische Truppen im Donbass einen blutigen Stellungskrieg. Der russische Präsident Putin soll mit dem langsamen Fortschritt nicht zufrieden sein. Deshalb und wegen hoher Verluste greifen anscheinend zunehmend ältere Offiziere in das Geschehen ein.
Die russische Armee muss bei ihrer Invasion der Ukraine anscheinend immer häufiger auf militärisches Führungspersonal setzen, das sich bereits in den Ruhestand verabschiedet hatte. In einem Hintergrundgespräch gab ein ranghoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums an, ihm seien entsprechende Meldungen aus der Ukraine bekannt. Auch wenn er selbst keine Belege für diese Berichte gesehen habe, sei es angesichts der hohen russischen Verluste wahrscheinlich, dass sie stimmen.
Als weiteren Hinweis darauf, dass die Berichte stimmen, verwies der Pentagon-Beamte auf den Umbau an der Spitze der russischen Armee. Es sei bekannt, dass mehrere Generäle abgelöst worden seien, sagte er. Einzelheiten wolle er nicht kommentieren, das überlasse er dem russischen Verteidigungsministerium. Dieses hatte am Wochenende mitgeteilt, dass der Ukraine-Einsatz ab sofort von Generaloberst Alexander Lapin und General Sergei Surowikin gesteuert wird. Nicht erwähnt wurde in der Mitteilung General Alexander Dwornikow, der erst im April als Befehlshaber eingesetzt wurde. Auch andere Befehlshaber sollen abgelöst worden sein.
Teilzeitkräfte und Veteranen
US-Amerikanische Militärbeobachter wie das "Institute for the Study of War" sehen in der Entwicklung einen Hinweis darauf, dass der russische Präsident Wladimir Putin nicht zufrieden mit dem Kriegsverlauf ist, gleichzeitig aber eine Generalmobilisierung vermeiden wolle.
Auch das britische Verteidigungsministerium hatte am Montag unter Berufung auf seine Geheimdienste berichtet, dass die russische Armee in den kommenden Wochen vornehmlich auf Reservisten zurückgreifen wolle. Die Kampfreserve bestehe aus freiwilligen Teilzeitkräften, die eigentlich für Sicherheitsaufgaben im Rücken der Front vorgesehen seien, teilte London mit. Aufgefüllt werden sollen die Bataillone mit Veteranen, die in den vergangenen fünf Jahren in der russischen Armee gedient haben.
In einer neuen Einschätzung der britischen Geheimdienste heißt es, dass die russischen Truppen von ihren schweren Verlusten deutlich gezeichnet sind. Sie sind "zunehmend ausgezehrt", schreibt das Verteidigungsministerium im täglichen Lagebericht. Beim Kampf um Sjewjerodonezk seien die Hauptbestandteile von sechs verschiedenen Armeen für einen winzigen Erfolg zum Einsatz gekommen. Die russische Militärführung akzeptiere derzeit "ein Niveau verminderter Kampfkraft, das sich langfristig wahrscheinlich als nicht tragfähig erweisen wird", resümieren die britischen Experten.
Wie viele Soldaten Russland bei seinem Angriff auf die Ukraine bereits verloren hat, kann unabhängig nicht eingeschätzt werden. Die Ukraine beziffert die Verluste auf 35.000 Kämpfer. Moskau hält sich bedeckt.
Die russischen Truppen hatten zuletzt die Stadt Sjewjerodonezk in der Region Luhansk erobert und ihre Angriffe auf Lyssytschansk verstärkt. Die Nachbarstadt ist die letzte große in der Region, die noch unter ukrainischer Kontrolle steht. Sollten die russischen Truppen auch Lyssytschansk einnehmen, könnten sie anschließend Kramatorsk und Slowjansk in der zweiten Donbass-Teilregion Donezk ins Visier nehmen.
Russland "massiv überlegen"
Nach Angaben des Pentagon-Beamten bezahlt Russland den Vormarsch allerdings mit hohen Verlusten. Es handele sich nicht um eine besonders große Region, sagte er in dem Hintergrundgespräch. "Die Ukrainer verlangen ihnen für ein winziges Stück Boden alles ab." Nach eigenen Angaben haben die ukrainischen Streitkräfte am Wochenende russische Angriffe auf eine wichtige Nachschubroute für Lyssytschansk abgewehrt.
Der österreichische Offizier und Militärhistoriker Markus Reisner dagegen ist überzeugt, dass Russland in den aktuellen Gefechten "massiv überlegen" ist, weshalb die Ukraine "Tag für Tag hohe Einsätze" leisten müsse, ohne aber Erfolge zu produzieren. Nach Reisners Einschätzung könnte Russland die ukrainische Armee im Donbass einschließen, tut das aber nicht, "weil die Ukraine laufend Soldaten und Waffen hineinschickt, die die Russen zerstören können. Sie haben die Ukrainer, wo sie sie haben wollten: in einem Kessel."
Quelle: ntv.de, chr