Politik

Navidi über das "Pulverfass" USA "Mehrheit der Republikaner hält Putin für besser als Biden"

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Die Wirtschaft der USA beweise unter Bidens Präsidentschaft "enorme Widerstandsfähigkeit und Rekord-Beschäftigungszahlen", sagt Finanzexpertin Navidi. Seiner Administration sei es jedoch nicht gelungen, seine Erfolge effektiv zu kommunizieren.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Am Dienstag sind Zwischenwahlen in den USA. Die Stimmung im Land ist angespannt. Können sich die Demokraten unter Biden behaupten? Oder werden die Republikaner mit Ex-Präsident Trump ihr Comeback feiern? Wer versteht dieses zutiefst gespaltete Land noch? ntv.de spricht mit Sandra Navidi über die "DNA der USA". "Die größten Stärken der USA sind ihre größten Schwächen", sagt die Wahlamerikanerin, Finanzexpertin und Bestsellerautorin.

ntv.de: Amerika war und ist für viele Menschen immer noch so etwas wie das gelobte Land. Die Realität aber ist ernüchternd: Die USA sind zutiefst gespalten und verroht. Sie sind seit mehr als 20 Jahren Wahl-Amerikanerin. Sind Sie manchmal frustriert?

Sandra Navidi: Ich bin erschüttert, ungläubig und alarmiert. Jeden Tag passieren hier die unglaublichsten Dinge. Antidemokratische, extremistische und religiös fanatische republikanische Abgeordnete propagieren immer selbstverständlicher Lügen, Gewalt und faschistische Methoden. Sie kooperieren skrupellos mit radikalen Gruppierungen und arbeiten auf Hochtouren an ihrem nächsten Putschversuch. Wie viele Amerikaner anfällig sind für Desinformation, Propaganda und Extremismus und wie viele aus Opportunismus und Machtstreben mitziehen, ist schockierend.

Die Zwischenwahlen, die sogenannten Midterms, stehen bevor. Präsident Biden ist mittlerweile genauso unbeliebt wie sein Vorgänger Donald Trump. Warum haben die Republikaner so einen Zulauf an Wählern?

Angesichts der schwierigen Umstände hat sich US-Präsident Joe Biden gut geschlagen. Seiner Administration gelingt es aber nicht, dies effektiv zu kommunizieren. Die republikanischen Herausforderer haben den Vorteil, dass sie sich voll auf Angriff konzentrieren können. Dabei fällt kaum auf, dass sie keine Lösungen anbieten. Sie schieben die Inflation Biden in die Schuhe. Er fördere fossile Energien nicht ausreichend oder verteile zu großzügig Geld an Teile der Bevölkerung, die es nicht verdient hätten, heißt es. Die Republikaner sind gegen Bidens Inflationsbekämpfungsgesetz und gegen eine Übergewinnssteuer auf die Krisenprofite der Ölkonzerne, machen aber selbst keine konstruktiven Vorschläge zur Minderung der Inflation.

Welche Rolle spielt die Außenpolitik, die Invasion der Russen in der Ukraine, für das Ansehen der Republikaner?

Viele Republikaner sehen nicht ein, warum sie die Ukraine durch Waffenlieferungen und Finanzhilfen unterstützen sollten. Sie meinen, das Geld sollte lieber zu Hause ausgegeben werden, also "America First". Sie betrachten Russland nicht als Feind, sondern als ein Land, mit dem Amerika viel gemeinsam hat: Nationalismus, das konservative Christentum und erzkonservative gesellschaftliche Werte. Sie bewundern Putin wegen seines autokratischen Regierungsstils, seiner Allianz mit der Kirche und seiner unnachgiebig konservativen Gesellschaftspolitik. Seine Durchsetzungskraft und Skrupellosigkeit imponieren ihnen. 62 Prozent der Republikaner sind sogar der Auffassung, dass Putin ein besserer Regierungschef ist als Joe Biden.

Der angezettelte Sturm aufs Kapitol, der Diebstahl vertraulicher Dokumente aus dem Weißen Haus, die vermeintliche Manipulation von Corona-Informationen. Spielen die juristischen Verfehlungen Trumps keine Rolle?

Seine Strategie geht auf. Donald Trump ist geradezu brillant darin, seine Gegner auflaufen zu lassen. Zeit seines Lebens hat ihm niemand Grenzen aufzeigen können. Wie schon als Geschäftsmann, unterminiert er das Rechtssystem, indem er Rechtsmittel zweckentfremdet und gegen das System einsetzt, genauso wie er demokratische Mechanismen nutzt, um die Demokratie zu sabotieren. Er hat es immer wieder geschafft, sich aus der Affäre zu ziehen. Und andere mussten die Zeche zahlen - Gläubiger, Handwerker und Banken, die ihre Kredite abschreiben konnten. Trump hat weniger Steuern gezahlt als Menschen, die an der Armutsgrenze leben, und das vermutlich Zeit seines Lebens. Genaues weiß man nicht, weil er als erster Präsident seine Steuerunterlagen geheim gehalten hat.

Das schreit nach einer Erklärung. In Ihrem jüngsten Buch "Die DNA der USA" versuchen Sie, der amerkanischen Identität auf den Grund zu gehen. Was haben Sie in diesen Untiefen gefunden?

Das "Alles-ist-möglich"-Verständnis ist ein sehr wichtiger Bestandteil. Jeder hat in Amerika die Freiheit, sich selbst zu erfinden und seine eigene Welt zu erschaffen. Das Land hat immer Menschen angezogen, die das Risiko lieben, die große Vorstellungskraft besitzen und aus dem Nichts Neues erschaffen wollen. Die Menschen glauben an Individualismus, die eigene Außergewöhnlichkeit und eine Leistungsgesellschaft. Amerika ist damit zur reichsten Wirtschaftsnation und der größten Militärmacht der Welt aufgestiegen. Mit der Zeit haben die amerikanischen Werte aber auch negative Folgen gehabt: einen kollektiven Egoismus, Narzissmus und nihilistischen Materialismus. "Alles-ist-möglich" hat ungeahnte Kräfte freigesetzt, aber auch Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lassen. Das ist es, was die Spaltung und Feindseligkeit in der amerikanischen Gesellschaft verschärft hat. Die größten Stärken der USA sind gleichzeitig ihre größten Schwächen.

Gibt es noch den amerikanischen Traum?

Mit Freiheit, Gleichheit und Wohlstand ist es nicht mehr so weit her. Die Geschichte vom Tellerwäscher zum Milliardär gibt es zwar noch, aber nur noch für sehr wenige Menschen. Oprah Winfreys Karriere beispielsweise entspricht dem amerikanischen Traum, vom Aufstieg aus der Arbeiterschicht zur "bestbezahlten Talkmasterin der Welt". Aber es hat sich ein wirtschaftliches, gesellschaftliches und rassenbasiertes Klassensystem gebildet, das es für Menschen immer schwieriger macht, aufzusteigen. Die Autorin Isabel Wilkerson beschreibt es in ihrem Buch "Caste" als "Kastensystem", in dem sich der gesellschaftliche Rang nach der ethnischen Zugehörigkeit bestimmt. Wenn überhaupt, ist ein Aufstieg nur über eine gute Ausbildung zu erreichen, deren Kosten in der Regel nur kreditfinanziert möglich ist. Das ist für die meisten Menschen nicht mehr erschwinglich. Selbst die meisten Menschen aus der Mittelschicht sind heute ihr ganzes Leben in dem Hamsterrad eines finanziellen Überlebenskampfs gefangen.

Die amerikanische Mittelschicht befinde sich "nur ein paar Monatsgehälter von der Obdachlosigkeit entfernt", schreiben Sie in Ihrem Buch. In den USA findet man sich mit dieser Ungerechtigkeit und Spaltung der Gesellschaft offenbar leichter ab ...

Amerikaner haben tendenziell eine größere Toleranz für gesellschaftliche Ungleichheit, weil sie diese nicht als ungerecht erachten, sondern als Zeichen ihrer Aufstiegschancen sehen. Sie gehen davon aus, dass jemand, der es in Amerika zu Reichtum und Erfolg gebracht habe, es verdient. Umgekehrt glauben Sie, dass wenn sie erfolglos sind, es ihre Schuld ist, weil sie ja alle Chancen hatten, durch harte Arbeit aufzusteigen. Sie suchen also die Schuld zuerst bei sich oder Menschen in ihrem Umfeld, wie Einwanderern, und weniger bei denjenigen, die die Regeln des Systems machen. Ich nenne das die "Munitionierung" des amerikanischen Traums gegen die eigenen Bürger, also die Nutzung der amerikanischen Ideologie als mentale Waffe.

Rekordinflation, steigende Zinsen, drohende Rezession - eigentlich schreit alles nach weniger sozialer Härte und mehr Solidarität. Das sollte doch Biden in die Karten spielen ...

... es hilft Trump. Zeiten wirtschaftlicher Krisen geben typischerweise Populisten und Autokraten Aufwind. Die Ängste und die Verunsicherung der Menschen schaffen ideale Bedingungen für die Spaltung der Gesellschaft und das Bedürfnis nach starker Führung.

Dazu gehört, dass Trump immer mehr extrem Rechte um sich schart. Schürt das keine großen Ängste in der amerikanischen Gesellschaft?

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Doch, man hat das Gefühl, man sitzt auf einem Pulverfass. Gesellschaftliche Ängste sind der Nährboden für Verschwörungstheorien. Die Repulikaner gießen Öl ins Feuer. Sie mobilisieren Menschen emotional. Aufgebracht und empört sind sie leichter zu Aktionismus zu motivieren und zu Gewalt gegenüber politischen Gegnern zu bewegen. Zu den effektivsten rechten Verschwörungstheorien gehört die "Great Replacement Theory", wonach liberale Eliten - und nicht zuletzt Juden - gezielt die Verdrängung Weißer durch dunkelhäutige Menschen orchesterieren, um mittels ihrer Wählerstimmen an die Macht zu gelangen. Es motiviert Menschen dazu, Waffen zu kaufen, was schon häufig Anlass für Gewaltverbrechen war, wie beispielsweise die rassistisch motivierte Erschießung von zehn Menschen in einem Supermarkt in Buffalo durch einen rechtsradikalen 18-Jährigen im Mai dieses Jahres.

Wie geht die Wall Street mit diesen populistischen Strömungen und der Polarisierung der Gesellschaft um?

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Die Finanzexpertin und Bestsellerautorin Sandra Navidi ist Gründerin und CEO von BeyondGlobal.

(Foto: picture alliance/dpa)

An der Wall Street geht es in erster Linie um wirtschaftliche und finanztechnische Zusammenhänge, aber spätestens seit der Finanzkrise von 2008 kommen Anleger nicht mehr um die Berücksichtigung solcher Einflüsse in ihren Analysen herum. Die politische Unberechenbarkeit - insbesondere unter Trump - hat die Ungewissheit verstärkt, und nichts ist der Finanzwelt verhasster als das. Auf dem Weltwirtschaftsforum 2022 in Davos sagte Ray Dalio, der Chef des weltweit größten Hedgefonds Bridgewater, dass der Aufstieg des Populismus in den USA und anderen Industrienationen Investoren mittlerweile größere Sorge bereite als die Zentralbankpolitik. Seiner Meinung nach ist die Entwicklung des Populismus über die nächsten ein bis zwei Jahre das wichtigste Thema der Wirtschaft.

Trump und Biden liefern sich in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wie werden die Midterm-Wahlen ausgehen?

Eine Prognose ist fast unmöglich. Konsens ist, dass die Republikaner zumindest das Repräsentantenhaus und möglicherweise sogar den Senat zurückerobern könnten. Ich glaube allerdings, dass die Mobilisierung der Demokraten unterchätzt wird, und dass das Ergebnis nicht so klar ausfallen wird. Was allerdings klar zu sein scheint, ist, dass die Republikaner die "Wahllüge" an allen Ecken und Enden bemühen und Verluste nicht akzeptieren werden.

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Mit den nächsten Präsidentschaftswahlen befindet sich Amerika an einem Kipppunkt, an dem sich das Schicksal des Landes entscheiden wird. Die Republikaner propagieren einen Raubtierkapitalismus, bei dem das Recht des Stärkeren herrscht. Sie machen sich für Deregulierung und eine Verkleinerung der Regierung stark. Sie haben bereits durchblicken lassen, dass sie die Steuern für Reiche à la Liz Truss weiter senken wollen. Republikaner beabsichtigen auch, die Sozialversicherung, das gesetzliche Rentensystem und die gesetzliche Gesundheitsfürsorge einzuschränken. Zwar haben viele Republikaner gegen Ende von Trumps Präsidentschaft finanzielle Hilfsmaßnahmen für die Bevölkerung unterstützt, aber das lag zuallererst an der Corona-bedingten Ausnahmesituation. In den USA herrscht längst Sozialismus - aber für Reiche!

Mit Sandra Navidi sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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