Politik

Schwieriger Auftritt für Merkel Schaffen wir das?

Kämpferisch: Merkel bei ihrem Auftritt im August 2015 in der Bundespressekonferenz.

Kämpferisch: Merkel bei ihrem Auftritt im August 2015 in der Bundespressekonferenz.

(Foto: imago/IPON)

Im August 2015 sagt Kanzlerin Angela Merkel einen Satz, der Deutschland in der Flüchtlingskrise mitreißen und motivieren soll. Ein Jahr später werden Worte nicht reichen.

Südtirol war eigentlich geplant. Die Kanzlerin wollte wandern mit ihrem Ehemann Joachim Sauer, so wie fast jedes Jahr. Aber das muss warten. Angela Merkel hat ihren Urlaub unterbrochen. Nach ein paar Tagen in der Uckermark kehrt sie erst einmal nach Berlin zurück. Die Geschehnisse in der Türkei, der Brexit, das Dauerthema Flüchtlinge sowie die Terroranschläge in Frankreich sowie zuletzt auch in Deutschland: Von Sommerpause oder gar Urlaub kann da wirklich keine Rede sein.

Von Merkel war zuletzt nicht viel zu hören, aber das Land ist beunruhigt. Deshalb hat sie ihre traditionelle Zusammenkunft mit der Hauptstadtpresse vorgezogen. Die Menschen in der Bundesrepublik werden diesmal besonders gut zuhören, was sie sagen wird. Der Termin weckt Erinnerungen an die bisher letzte Sommer-Pressekonferenz der Kanzlerin am 31. August 2015. An jenen Tag, als sie diesen einen Satz sagte, der weit bis in die Gegenwart wirkt.

Ein Rückblick: An dem Tag, als sie zum ersten Mal "Wir schaffen das" sagen wird, hat sich Merkel für ein rosafarbenes Jackett und eine weiße Hose entschieden. Strahlend betritt sie den Raum neben ihrem Sprecher Steffen Seibert. Von Zuversicht geprägt ist auch ihr 90-minütiger Auftritt im rappelvollen Saal der Bundespressekonferenz. Merkel spricht nur kurz über Griechenland, kommt schnell zum großen Thema, zu den Flüchtlingen. "Meine Damen und Herren, was sich zurzeit in Europa abspielt, das ist keine Naturkatastrophe", sagt sie und nennt die Zahl von 800.000 Menschen, die in diesem Jahr "zu uns kommen".

Zuerst aber widmet sich Merkel dem Grundgesetz. Ausführlich doziert sie über das Grundrecht auf Asyl, über Artikel 1 des Grundgesetzes. "Wir achten die Menschenwürde jedes Einzelnen und wir wenden uns mit der ganzen Härte unseres Rechtsstaates gegen die, die andere Menschen anpöbeln, die andere Menschen angreifen, die ihre Unterkünfte in Brand setzen oder Gewalt anwenden wollen." Es gebe keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen.

Deutschland, das Land der Hoffnung

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Reagiert Bundeskanzlerin Merkel zu spät auf die Anschläge?

Die Kanzlerin ist vorbereitet. Sie hat den Zeitpunkt des Auftritts bewusst gewählt. Ihre größte Pressekonferenz im Jahr wurde im Juli verschoben. Nun hat sie die denkbar beste Bühne, um ihr Land auf das vorzubereiten, was in den kommenden Wochen passiert – und was sie vorhat. Merkel hält eine Lobeshymne auf die Bundesrepublik. Es mache sie stolz, wie unzählige Menschen auf die Ankunft der Flüchtlinge reagieren. Die Zahl der Helfer überrage die Zahl "der Hetzer und Fremdenfeinde um ein Vielfaches". Die Mehrheit der Deutschen sei weltoffen, die Wirtschaft stark, der Arbeitsmarkt robust und aufnahmefähig.

Deutschland, das Land der Hoffnung, der Sehnsuchtsort, so stellt die Kanzlerin es dar. "Wenn so viele Menschen so viel auf sich nehmen, um ihren Traum von einem Leben in Deutschland zu erfüllen, dann stellt uns das ja nun wirklich nicht das schlechteste Zeugnis aus", sagt sie. Merkel erinnert an die Bankenrettung, den Atomausstieg, an Naturkatastrophen und die Wiedervereinigung. "Vor einer solchen Herausforderung stehen wir jetzt auch wieder", sagt sie. Merkel schaut nüchtern, während sie redet. Kommt da noch etwas, etwas Großes? Die Journalisten warten nach ihrem inzwischen 13-minütigen Monolog eher darauf, ihre Fragen zu stellen. Aber dann kommt doch noch etwas, dieser eine Satz, um den an diesem Tag kein Reporter herumkommen wird. Die Kanzlerin nimmt etwas Anlauf, bis er fällt: "Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden."

Viele Deutsche glauben nicht mehr dran

Wir schaffen das – an diesem frühen Nachmittag Ende August geht der Satz in die Welt hinaus. Weniger als Prognose gedacht, sondern mehr als Mutmach-Formel an die Republik. Mehrfach wird die Kanzlerin ihn wiederholen. Ihr Satz wird zum Slogan der Willkommenskultur, die vor einem Jahr geprägt wird. In den Monaten, in denen Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen. In denen Deutsche Kleidung und Lebensmittel spenden und die Asylbewerber an Bahnhöfen in Empfang nehmen. In den Monaten, in denen vielerorts Zuversicht und Euphorie herrschen – vielleicht auch wegen des einen Satzes von Merkel.

Aber dessen Wirkung ist endlich. Wenn die Kanzlerin ein knappes Jahr später in die Bundespressekonferenz zurückkehrt, ist die Stimmung eine andere. Schon im Dezember glauben nur noch 41 Prozent der Deutschen daran, dass "wir" es schaffen. Mehr als eine Million Flüchtlinge sind unterdessen ins Land gekommen, viele Kommunen waren über Monate überfordert. Um den Zuzug zu erschweren, hat die Bundesregierung Gesetze verabschiedet und gemeinsam mit der Europäischen Union einen labilen Flüchtlingsdeal mit der türkischen Regierung vereinbart. Einige Länder haben Zäune und Mauern errichtet, um sich gegen Zuwanderer zu schützen. In Teilen Europas ist Merkel wegen ihrer liberalen Flüchtlingspolitik isoliert. Im eigenen Land hat ihre Popularität massiv gelitten. Die Rechtspopulisten mobilisieren erfolgreich gegen ihr "Wir schaffen das". Die AfD hat sich als neue Partei etabliert und erreicht in fast allen Bundesländern eine zweistellige Anzahl potenzieller Wähler.

Dass die Sommer-Pressekonferenz ein schwieriger Termin werden dürfte, hat aber auch noch einen anderen Grund. Bis Mitte Juli blieb Deutschland weitgehend verschont vom islamistischen Terror. Dann verübten innerhalb weniger Tage Täter in Würzburg und Ansbach Anschläge, die offenbar mit der Terrormiliz Islamischer Staat in Verbindung stehen. Es waren keine Asylbewerber, die infolge von Merkels Flüchtlingspolitik die Grenze übertraten. Aber es waren Menschen, wie sie durch die Grenzöffnung der Kanzlerin zu Hunderttausenden ins Land gekommen sind. Merkel wird erklären müssen, warum es nicht ihrer Politik geschuldet ist. Und warum sich die Deutschen trotzdem sicher fühlen können. Leicht wird es nicht. Und Südtirol ist erst einmal ganz weit weg.

Quelle: ntv.de

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