Politik

Mehr als Dieselpreis Sechs Gründe, warum die Bauern sauer sind

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Bauern fahren in ihren Traktoren langsam durch die Innenstadt von Ravensburg.

Bauern fahren in ihren Traktoren langsam durch die Innenstadt von Ravensburg.

(Foto: Felix Kästle/dpa)

Die Aktionswoche der Bauern hat begonnen, an vielen Orten in Deutschland demonstrieren sie mit ihren Traktoren - und blockieren teils auch Straßen und Autobahnauffahrten. Dabei geht es ihnen um mehr als um den steigenden Dieselpreis.

Traktoren röhren gerade überall in Deutschland herum, außer auf den Feldern - am Steuer sitzen aufgebrachte Landwirte, die ihrer Wut Luft machen. Klagen sind seit Jahren und Jahrzehnten von den Bauern zu hören. Dennoch überrascht die Vehemenz, mit der sie nun auf die geplante De-facto-Steuererhöhung auf Agrardiesel reagieren - und wie wenig sie sich von dem Einlenken der Bundesregierung besänftigen lassen. Die nahm immerhin die ursprünglich ebenfalls geplante KFZ-Steuer für Traktoren und Mähdrescher wieder zurück und streckte die Preiserhöhung beim Diesel auf drei Jahre. Doch es geht vielen Bauern gar nicht um ein paar Cent pro Liter Diesel mehr oder weniger. Sie sind mit der Gesamtsituation unzufrieden.

"Viele Bauern sind verunsichert. Auch andere Subventionen sind in Gefahr. EU-Fördermittel sind bereits umgeschichtet worden", sagte ntv.de der Agrar-Ökonom Alfons Balmann. Gerade in den Bereichen Klimaschutz, Tierschutz oder Biodiversitätsschutz wurden die Auflagen für Landwirte erhöht und werden weiter erhöht werden müssen. Das erfordert von den Betrieben erhebliche Anpassungen." Existenzbedrohend seien die Kürzungspläne der Bundesregierung nicht. Die eigentlichen Ursachen der Proteste stecken tiefer. Hier eine Auswahl:

Überproportionale Belastung?

Bauernpräsident Joachim Rukwied beklagt, dass die Bauern eine Milliarde Euro bei den Haushaltseinsparungen beitragen müssten. Rückendeckung bekamen die Bauern vom Münchener IFO-Institut. Dessen Chef Clemens Fuest spricht ebenfalls von einer überproportionalen Belastung. Er kritisierte auch, dass die Änderungen quasi über Nacht entschieden worden seien.

Rukwied kritisiert Kürzungen auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der "Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz", dem größten nationalen Fördertopf. Dort seien 300 Millionen Euro gestrichen worden. Weitere 70 Millionen Euro seien bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gekürzt worden, und das "Investitions- und Zukunftspaket" der Bundesregierung, ein weiterer Hilfstopf, sei von 150 Millionen Euro auf null gesetzt worden.

Richtig ist aber auch, dass die Landwirte überproportional Vergünstigungen bekommen - das Vierfache von dem, was ihren Anteil an der Wirtschaftsleistung in Deutschland ausmacht. Rund 48.000 Euro pro Jahr bekommen Betriebe im Schnitt. Agrarsubventionen und -beihilfen machen den größten Posten im EU-Haushalt aus, zwischen 2014 und 2020 waren es 38 Prozent. Zwischen 2021 und 2027 sollen 378 Milliarden Euro ausgegeben werden. Hinzu kommen Hilfen auf nationaler Ebene. Außerdem haben die Bauern aufgrund steigender Lebensmittelpreise zuletzt gut verdient.

Dennoch formulieren die aufgebrachten Bauern Existenzängste. Der Agrarökonom Christian Henning von der Uni Kiel wies gegenüber Capital.de darauf hin, dass es eine große Spanne beim Einkommen der Höfe gibt. "Das untere Viertel der landwirtschaftlichen Betriebe erwirtschaftet weniger als 14.000 Euro, während das obere Viertel mehr als 63.000 Euro pro Familienarbeitskraft erwirtschaftet." Für das untere Viertel sei die Landwirtschaft aber ohnehin nur Nebenerwerb. Viele Höfe seien zu klein, um künftig zu überleben. Durchschnittlich seien Betriebe 68 Hektar groß. Für eine "solide Landwirtschaft" seien jedoch eher 200 Hektar erforderlich.

Die Frage der Ställe

Die Anforderungen an das Tierwohl steigen seit Jahren in Deutschland - das ist politisch wie gesellschaftlich gewollt. Bei der Bauernkundgebung vor Weihnachten in Berlin sagte Rukwied, in Deutschland seien in den vergangenen Jahren Stallkapazitäten für 6,7 Millionen Schweine abgebaut worden, in Spanien seien hingegen gut neun Millionen hinzugekommen. In früheren Interviews hatte der Bauernpräsident auch darauf hingewiesen, dass Fleisch aus aufwendigerer Produktion teurer ist und oft im Regal liegen bleibe. Wenn die Bauern aber nicht höhere Preise durchsetzen können, dann haben sie keinen Anreiz, den Umbau aus eigener Tasche zu finanzieren.

Eine Kommission mit Bauern, Umwelt- und Tierschützern und Wissenschaftlern hatte seit 2019 dazu beraten und ebenfalls Zahlungen an die Landwirte empfohlen. Konkret ging es um mindestens 1,25 Milliarden Euro pro Jahr, ab 2040 sogar vier Milliarden. Im Sommer 2023 legte sie ihre Arbeit aber auf Eis, weil eine Mehrheit dies nicht im Entwurf für den Bundeshaushalt hinterlegt sah. Die Bauern fordern jetzt schon vier Milliarden Euro pro Jahr an staatlichen Hilfen für den Umbau der Ställe. Die Bundesregierung hat bisher aber nur eine Milliarde zugesagt.

Unterschiedliche Auflagen in der EU

Auch die Bauern können ihre Nahrungsmittel auf dem europäischen Markt verkaufen. Es gelten europaweite Auflagen, an die sich alle halten müssen. Doch hinzu kommen nationale Vorschriften. Auch in dieser Hinsicht sehen sich die Landwirte im Nachteil. Als Beispiel nennt Rukwied den Mindestlohn. Dieser sei in Spanien nur halb so hoch wie in Deutschland. Auch der Preis pro ausgestoßener Tonne CO2 variiert in Europa stark und schafft so unterschiedliche Voraussetzungen für die Bauern. Rukwied weist gern darauf hin, dass die Bauern bereitwillig Blühstreifen auf ihren Feldern stehen ließen, während das anderswo in Europa nicht geschehe. Sie tun etwas für die Umwelt, verzichten aber auf Fläche. Rukwied geißelt auch EU-Vorgaben wie die "Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen" (GLÖZ) als "Murks", weil sie nicht praktikabel seien.

Ärger mit dem Wolf

Der Wolf sorgt schon lange für Ärger. Der Naturschutzbund zählt 184 Rudel, 47 Paare und 22 Einzeltiere, die sich vor allem im Nordosten Deutschlands ballen, von der Nordsee bis Sachsen. Im Rest Deutschlands kommen Wölfe nur vereinzelt vor. Vielen Landwirten sind sie aber ein Dorn im Auge, weil sie Schafe und andere Nutztiere reißen. Die Halter werden zwar entschädigt, aber auf den Anblick toter Tiere auf der Weide und den bürokratischen Aufwand könnten sie verzichten. Wölfe stehen unter strengem Schutz und dürfen nur im Ausnahmefall bejagt werden. Die meisten sterben allerdings im Straßenverkehr. Der Bauernverband fordert, den Schutz des Wolfes zu lockern. Ihre Sicht: In den Städten sind die Wölfe beliebt, weil sie ein Erfolg für die Artenvielfalt sind - doch die Bauern müssen es ausbaden.

Ernährungssicherheit

Dieses Schlagwort ist so etwas wie die letzte Antwort der Bauern auf alle Fragen. Ernährungssicherheit bedeutet, dass Deutschland und Europa in der Lage sind, die eigene Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Das hat strategische Bedeutung. Pandemie und Ukraine-Krieg zeigten, dass man mit grenzenlosem Freihandel auf die Nase fallen kann. Der Bauernverband fordert daher, Ernährungssicherheit als Ziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Argumentation der Bauern geht so: Wenn man wolle, dass Europa sich selbst versorgen kann, dann müsse man den Bauern helfen.

Klimasünder-Vorwurf und fehlende Anerkennung

Vielen Bauern stieß es übel auf, dass die Vergünstigung beim Agrardiesel als "klimaschädliche Subvention" bezeichnet wird, etwa vom Umweltbundesamt. Denn als Klimasünder sehen sie sich nicht. Tatsächlich ist es so, dass sie 2022 das Klimaschutzziel für ihren Sektor eingehalten haben - im Gegensatz zum Verkehr oder dem Gebäudebereich. Bauernvertreter sehen sich eher als Pfleger von Kulturlandschaften und betonen etwa den ökologischen Wert von Weideland. Zudem werde nicht anerkannt, dass die Bauern hochwertige, regionale Lebensmittel für den heimischen Markt produzierten. Es ärgert viele, wenn sie stattdessen als Klimasünder, Subventionsabsahner oder Tierquäler dargestellt werden.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen