Politik

Die Kriegsnacht im Überblick Selenskyj: Tötung Kriegsgefangener ein "geplantes Verbrechen" - FDP-Verteidigungsexpertin nennt Kanzleramt Bremser

Das Lager für Kriegsgefangene soll russischen Angaben zufolge mit US-Waffen beschossen worden sein.

Das Lager für Kriegsgefangene soll russischen Angaben zufolge mit US-Waffen beschossen worden sein.

(Foto: REUTERS)

Die Ukraine wirft Russland erneut schwere Kriegsverbrechen vor. Nach einem Angriff auf ein Lager mit ukrainischen Kriegsgefangenen und mehr als 50 Toten gibt Kiew Moskau die Schuld und spricht von "staatlichem Terrorismus". Der ehemalige US-General David Petraeus hält es indes für möglich, dass die Ukraine von Russland eingenommene Gebiete zurückholen kann. In den Fall der in den USA inhaftierten Basketballerin Griner könnte indes Bewegung kommen.

Selenskyj kündigt Vergeltung an

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Tötung Dutzender Kriegsgefangener in einem Lager im Gebiet Donezk verurteilt und Russland dafür verantwortlich gemacht. "Dies ist eine weitere Bestätigung, dass Russland ein Terrorstaat ist", so Selenskyj in seinem Telegram-Kanal. Es handele sich um ein "absichtliches Kriegsverbrechen", für das es "Vergeltung" geben werde, sagte er zudem in seiner abendlichen Videobotschaft. "Es gibt ausreichend Beweise, dass dies ein geplantes Verbrechen war." Mehr als 50 ukrainische Verteidiger seien auf zynische Weise ermordet worden. Russland wiederum gab der Ukraine die Schuld an dem Angriff. Demnach soll das Gebäude mit den Gefangenen mit einem von den USA gelieferten Mehrfachraketenwerfer vom US-Typ HIMARS beschossen worden sein.

Selenskyj dagegen sprach von einem "Terroranschlag, der von russischen unmenschlichen Monstern in Oleniwka" verübt worden sei. "Die Vereinten Nationen (UN) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die das Leben und die Gesundheit unserer Kriegsgefangenen garantieren sollten, müssen umgehend reagieren", forderte der Staatschef.

Kiew vergleicht Tat mit Katyn-Verbrechen

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte, dass die UN dabei geholfen hätten, im Frühjahr die Verteidiger aus dem Asow-Stahlwerk in Mariupol herauszuholen. Sie kamen dann in Gefangenschaft prorussischer Separatisten. Die UN müssten nicht nur den Beschuss des Gefangenenlagers verurteilen, sondern auch vor Ort das schreckliche Verbrechen aufklären. Das IKRK müsse sich um die Lage der übrigen Gefangenen kümmern. Medien zeigten Bilder von einem ausgebrannten Schlafsaal mit Leichen. Auch vor dem Gebäude, das Einschlagslöcher aufwies, lagen viele mit Planen abgedeckte Körper.

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow verglich die Tat von Oleniwka mit dem Massaker sowjetischer Soldaten in Katyn, die dort im Zweiten Weltkrieg 1940 Tausende polnische Gefangene erschossen und in Massengräbern verscharrt hatten. Russland sei ein Terrorstaat, der auf dem Schlachtfeld besiegt werden müsse, schrieb der Minister bei Twitter. Russland hat nach eigenen Angaben Tausende ukrainische Kriegsgefangene.

Ex-US-General: Ukraine kann Gebiete zurückholen

Der ehemalige Chef des US-Auslandsgeheimdiensts CIA David Petraeus hält die Chancen der Ukraine auf einen Sieg im Krieg gegen Russland nach eigenen Angaben für hoch. "In der Tat scheint es immer wahrscheinlicher, dass die ukrainischen Streitkräfte einen Großteil, wenn nicht sogar alle Gebiete zurückerobern könnten, die in den letzten Monaten von den russischen Streitkräften eingenommen wurden", sagt der ehemalige US-General der "Bild".

"Wenn die NATO und andere westliche Staaten weiterhin Ressourcen im derzeitigen Tempo bereitstellen, ... werden die ukrainischen Streitkräfte meines Erachtens in der Lage sein, weitere russische Vorstöße zu stoppen und damit beginnen, die seit dem 24. Februar von den Russen eroberten Gebiete zurückzuerobern", sagte Petraeus.

Erstes Telefonat zwischen Lawrow und Blinken

Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges telefonierten US-Außenminister Antony Blinken und sein Moskauer Kollege Sergej Lawrow am Freitag miteinander. Er habe Lawrow deutlich gesagt, dass die USA russische Pläne, weiteres Territorium der Ukraine zu annektieren, nicht akzeptieren würden, so Blinken. "Die Welt wird Annexionen nicht anerkennen. Wir werden Russland weitere erhebliche Kosten auferlegen, wenn es mit seinen Plänen fortfährt", sagte Blinken. "Und wie immer sind wir bereit, mit der Ukraine und anderen zusammenzuarbeiten, um alle sinnvollen diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges zu unterstützen - um die Aggression zu beenden", so Blinken weiter.

Nach Angaben des russischen Außenministeriums informierte Lawrow Blinken über den Gang der "militärischen Spezial-Operation" in der Ukraine. Der russische Chefdiplomat habe betont, dass alle Ziele in dem Land erreicht würden. Zugleich beklagte er demnach, dass die von den USA und von anderen NATO-Staaten gelieferten Waffen gegen die friedliche Bevölkerung eingesetzt würden. Der Konflikt würde dadurch nur in die Länge gezogen und die Zahl der Opfer erhöht.

Bewegung im Fall Griner?

Blinken sprach mit Lawrow auch über einen möglichen Gefangenenaustausch. Es habe ein "offenes und direktes Gespräch" über ein Angebot zur Freilassung der in Russland inhaftierten US-Basketballerin Brittney Griner und des amerikanischen Staatsbürgers Paul Whelan gegeben, sagte Blinken in Washington. "Ich habe den Kreml gedrängt, den substanziellen Vorschlag zu akzeptieren, den wir (...) gemacht haben." Was den möglichen Austausch von russischen und US-amerikanischen Gefangenen angehe, sei der Übergang zu einem professionellen Dialog der "ruhigen Diplomatie" ohne Spekulationen vorgeschlagen worden, sagte Lawrow einer Mitteilung seines Ministeriums zufolge. Die US-Regierung gab bisher keine Details zu dem Angebot an Russland bekannt.

CNN: Moskau fordert von USA Überstellung des Tiergartenmörders

In US-Medien wurde aber über einen Gefangenaustausch spekuliert. Demnach soll ein Austausch mit dem in den USA inhaftierten russischen Waffenhändler Viktor But (englisch: Bout) Teil des Angebots sein. Laut dem US-Sender CNN soll Moskau in den Verhandlungen die Überstellung des verurteilten Russen im sogenannten Tiergartenmordfall gefordert haben. Der US-Senderberuft sich auf mit den Gesprächen vertraute Quellen. Russland hat den USA diese Forderung demnach bereits Anfang des Monats über informelle Geheimdienstkanäle unterbreitet. Das Ersuchen wurde dem Bericht zufolge unter anderem als problematisch eingestuft worden, da der heute 56-Jährige in Deutschland im Gefängnis sitzt. Bereits im April hatten die USA und Russland inmitten des Ukraine-Kriegs überraschend Gefangene ausgetauscht.

USA verhängen Sanktionen gegen zwei Russen

Die USA belegten indes zwei Russen wegen versuchter Manipulation von Wahlen in den Vereinigten Staaten mit Sanktionen. Die beiden russischen Staatsbürger hätten verschiedene Funktionen bei den Versuchen Russlands ausgeübt, "die USA und ihre Verbündeten und Partner, darunter die Ukraine, zu manipulieren und zu destabilisieren", hieß es in einer Erklärung des Finanzministeriums in Washington.

Alexander Ionow und Natalja Burlinowa werde vorgeworfen, sich in US-Wahlen eingemischt, Falschinformationen verbreitet und prorussische Propaganda finanziert zu haben. "Freie und gerechte Wahlen sind ein Grundpfeiler der amerikanischen Demokratie, die vor jedem äußeren Einfluss geschützt werden müssen", erklärte Finanz-Staatssekretär Brian Nelson.

FDP-Verteidigungsexpertin nennt Bundeskanzleramt Bremser

In der deutschen Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine bezeichnete die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann das Bundeskanzleramt als Bremser. "Die schmalste Stelle, die Deutschlands militärisches Engagement verlangsamt, ist, aus welchen Gründen auch immer, in der Tat das Kanzleramt", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. "Dieses Haus ist der Dreh- und Angelpunkt der Entscheidungen. Dort laufen die Fäden zusammen und von dort werden die Signale gesetzt."

Zwar würden die angekündigten Waffenlieferungen die Ukraine zurzeit erreichen, sagte Strack-Zimmermann. Dennoch müsse sich die Regierung schon heute mit der Lage im September und Oktober beschäftigen. "Dass der Krieg bis dahin beendet sein wird, das glaubt niemand", sagte die FDP-Politikerin. "Alles spricht dafür, dass (der russische Präsident Wladimir) Putin seinen perfiden Feldzug weiter vorantreiben wird und das deutet auf einen längeren Kriegsverlauf hin. Keiner in Deutschland kann daher jetzt die Hände in den Schoß legen."

Reuter: Schröder "spielt keine Rolle mehr"

Der frühere Daimler-Chef und langjährige Sozialdemokrat Edzard Reuter rät angesichts des Parteiausschlussverfahrens gegen Ex-Kanzler Gerhard Schröder zu mehr Gelassenheit. "Ich würde den Fall Gerhard Schröder einfach drei Dimensionen tiefer hängen", sagte der 94-jährige Reuter der "Rhein-Neckar-Zeitung". "Und es ist mir schnurzegal, ob er in der Partei ist oder nicht, weil: Er spielt keine Rolle mehr und er wird keine Rolle mehr spielen", fügte Reuter hinzu.

Edzard Reuter ist Sohn des früheren Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter und war von 1987 bis 1995 Daimler-Benz-Vorstandschef. Seit 1946 ist Reuter in der SPD. "Ich habe ein so langes persönliches Verhältnis zu Gerhard Schröder, dass ich mich sehr ungerne zu solchen ihn persönlich treffenden Dingen und seine charakterlichen Eigenheiten äußere", betonte Reuter. "Aber eine Partei muss dafür sorgen, dass sie einigermaßen eine inhaltliche Linie verfolgt, da kann nicht jeder immer etwas ausposaunen", ergänzte er. "Herr Schröder ist ein alt gewordener Herr - nicht ganz so alt wie ich - den man nicht mehr ganz so ernst nehmen sollte", sagte Reuter. Schröder steht seit Langem wegen seiner Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin und zur russischen Öl- und Gaswirtschaft in der Kritik.

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Erwartet wird nach einem Besuch Selenskyjs in der Hafenstadt Odessa, dass der lange Zeit behinderte Export von Millionen Tonnen Getreide mit Schiffen über das Schwarze Meer beginnt. Der Staatschef hatte angekündigt, dass das erste Schiff bald starten solle.

Alle weiteren Entwicklungen können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.

Quelle: ntv.de, ghö/dpa

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