Bundestag zu assistiertem Suizid So soll das freiwillige Sterben möglich werden


Kaum jemand möchte alleine sterben: Eine Frau hält die Hand einer älteren Dame. (Symbolbild)
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Manche Themen sind zu groß für parteipolitische Konflikte: Am Donnerstag entscheidet der Bundestag über zwei Vorschläge für eine geregelte Sterbehilfe - frei von Fraktionszwängen. Kommt eines der Gesetze, wird der Suizid für Schwerkranke möglich. Das bereitet Kritikern Sorge.
Praktisch alle Themen werden im Bundestag entlang von Partei- und Fraktionslinien verhandelt und beschlossen. Weichen die Meinungen einzelner Abgeordneter von denen ihrer Partei ab, stimmen sie meist dennoch mit der Mehrheit ihrer Fraktion. Nur selten wird der so genannte Fraktionszwang explizit aufgehoben, zuletzt war das unter anderem in der Debatte über eine Impfpflicht oder der Organspende der Fall. Am Donnerstag muss das Parlament erneut über eine derartige Gewissensfrage entscheiden: die teilweise oder vollständige Legalisierung der Sterbehilfe.
Den Abgeordneten liegen zwei fraktionsübergreifend ausgearbeitete Vorschläge vor, über die sie ohne Fraktionsdisziplin abstimmen. Ein Gesetzentwurf sieht generelle Straffreiheit bei Suizidhilfe vor, der andere eine begrenzte Strafbarkeit. Das Ergebnis der Abstimmung ist völlig offen. Beide Gesetze haben gleich viele Unterstützer im Parlament, zu beiden werden je acht Redner sprechen. Auch beide Gesetzentwürfe könnten durchfallen.
Wie ist die Sterbehilfe zurzeit geregelt?
2020 kippte das Bundesverfassungsgericht ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, da Karlsruhe das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzt sah. Dabei hat "geschäftsmäßig" nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet "auf Wiederholung angelegt". Das wegweisende Urteil öffnete eine Tür für organisierte Sterbehilfe - ausdrücklich auch mit Regulierungsmöglichkeiten wie Beratungspflichten oder Wartefristen.
Warum soll ein neues Gesetz kommen?
Seit dem Urteil der Karlsruher Richter ist Sterbehilfe zwar nicht verboten, aber eben auch nicht geregelt. Der Bundestag als Gesetzgeber musste daher eine Regelung erarbeiten, was die Abgeordneten in verschiedenen Interessensgruppen ganz unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gemacht haben. Am Ende haben sich hinter zwei Vorschlägen genügend Abgeordnete versammelt, die nun zur Abstimmung gestellt werden.
Was bedeutet der Vorschlag "begrenzte Strafbarkeit"?
Der Vorschlag hält im Grundsatz an einer Strafbarkeit der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" fest. Verstöße sollen mit Haft- oder Geldstrafen geahndet werden können. Nicht rechtswidrig soll demnach die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn der suizidwillige Mensch "volljährig und einsichtsfähig" ist, sich mindestens zwei Mal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat untersuchen lassen und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.
Zudem soll eine Wartezeit vorgeschrieben werden: Zwischen den beiden Untersuchungsterminen sollen mindestens drei Monate liegen. Nach der abschließenden Untersuchung soll dann noch eine "Wartefrist" von mindestens zwei Wochen bis zur Selbsttötung liegen. Der Entwurf sieht zudem einen neuen Strafrechtsparagrafen 217a gegen die "Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung" vor. Demnach soll sich strafbar machen, wer "seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise" Sterbehilfe anbietet.
Was bedeutet der Vorschlag "generelle Straffreiheit"?
Sollte der Vorschlag einer begrenzten Strafbarkeit am Donnerstag keine Mehrheit im ersten Anlauf bekommen, wird das zweite Konzept einer Straffreiheit zur Abstimmung gestellt. Dieses sieht weniger Einschränkungen vor und will die Sterbehilfe grundsätzlich aus dem Strafrecht herausnehmen. Die Regelung soll die individuellen Motive für den Sterbewunsch nicht bewerten, sondern lediglich "Leitplanken" für den Weg eines erwachsenen und einsichtsfähigen Menschen zur Selbsttötung aufstellen. Auch diese Leitplanken sehen Vorgaben zu Beratung und Wartezeiten vor - allerdings weniger strikt als beim anderen Vorschlag. Voraussetzung für die Verschreibung von Medikamenten zur Selbsttötung soll in der Regel eine Beratung bei einer fachlich qualifizierten Stelle sein, in der auch Alternativen zur Selbsttötung angesprochen werden. Die Verschreibung soll dann frühestens drei Wochen nach der Beratung - und maximal zwölf Wochen danach - möglich sein.
Die Länder sollen ein "ausreichendes Angebot an Beratungsstellen" sicherstellen. Der Bundesrat müsste dem Gesetz daher zustimmen. In Härtefällen soll ein Arzt die Mittel nach eigenem Ermessen auch ohne Beratung verschreiben können. Ein solcher Härtefall soll dann vorliegen, wenn sich jemand "in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen" befindet.
Was spricht für eine Legalisierung der Sterbehilfe?
"Der Zugang zum assistierten Suizid sollte ermöglicht und klar geregelt werden, ohne daraus ein Modell zu machen. Kein Mensch ist überflüssig", argumentiert SPD-Politiker Lars Castellucci, Co-Autor des Vorschlags einer begrenzten Strafbarkeit. Einen wirksamen Schutz des freien Willens aller Menschen biete nur der Gesetzentwurf seiner Gruppe. Die Caritas Deutschland unterstützt den Vorschlag von Castellucci und weiteren Abgeordneten.
Den Autoren des weitergehenden Vorschlags genügt das dagegen nicht. Ihr Gesetz solle "eine unwürdige, unzumutbare und nicht von freiem Willen getragene Umsetzung des Sterbewunsches verhindern". Der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben geht auch diese Liberalisierung nicht weit genug. Sie fordert, eine Medikamentenabgabe an erwachsene Sterbewillige ohne Pflichtberatung zu ermöglichen. "Was für die Menschen tatsächlich wichtig ist, dass sie sich auf einen Notausgang verlassen können", sagte Präsident Robert Roßbruch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Was sagen Kritiker?
- Bei Suizidgefahr: Notruf 112
Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33
- Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
- Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
- In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
- Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, fordert, "eine Kultur der Lebensbejahung und gegenseitige Fürsorge zu erhalten". Bätzing warnt davor, dass "ein älterer oder kranker Mensch oder ein Mensch in einer existenziellen Krise" eher Zugang zu assistierter Sterbehilfe erhalte als eine gute Pflege. Die Katholische Kirche befürchtet, dass "sich der assistierte Suizid als selbstverständliche Form der Lebensbeendigung durchsetzt". Die Evangelische Kirche ist in ihrer Ablehnung weniger absolut, doch sei ein Suizidwunsch "ein menschliches Leid, das - wenn irgend möglich - abzuwenden ist".
Die Stiftung Patientenschutz lehnt die assistierte Sterbehilfe ebenfalls ab. Es gehe nicht um ein Verbot der Selbsthilfe. Kommerzielle Tötungsangebote müssten aber verhindert werden und stattdessen die Suizidprävention gefördert werden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, warnt vor einer "gesellschaftlichen Normalisierung des Suizids". Der Psychiatrie-Fachverband DGPPN fordert eine bessere Suizidprävention statt leichterer Sterbehilfe - denn häufig seien suizidale Menschen aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung überhaupt nicht in der Lage, "diese Entscheidung frei und selbstbestimmt zu treffen".
Auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie fordert, der Suizidprävention Vorrang einzuräumen. Häufig blieben die psychosozialen Krisen hinter einem Sterbewunsch unentdeckt. Der Paritätische Gesamtverband lehnt beide Vorschläge ab: Menschen mit Suizidabsicht würden durch die Vorschläge nicht ausreichend vor "privatwirtschaftlichen Profitinteressen Einzelner" geschützt. Die Autoren beider Gesetzentwürfe nahmen die Kritik auf und wollen stellen ebenfalls am Donnerstag einen Antrag zur Abstimmung, der die Bundesregierung auffordert, bis zum 31. Januar 2024 ein Konzept für eine nationale Suizid-Präventionsstrategie vorzulegen.
Quelle: ntv.de, mit AFP und dpa