Politik

Ostdeutsche als Demokratiefeinde "Sollten das Herrn Döpfner nicht durchgehen lassen"

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Döpfner war bis Herbst 2022 Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), trat aber im Zuge der Affäre um "Bild"-Chef Julian Reichelt vorzeitig zurück.

(Foto: picture alliance/dpa)

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"Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig", zitiert die "Zeit" aus der Privatkommunikation des Springer-Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner. Die Sächsin Paula Piechotta, Co-Sprecherin der Landesgruppe Ost der Grünen-Bundestagsfraktion, findet das nicht hinnehmbar. Döpfners Vorurteile seien exemplarisch dafür, wie Teile Westdeutschlands weiter auf den Osten blicken, sagt Piechotta im Gespräch mit ntv.de.

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Die 36-jährige Ärztin Paula Piechotta ist 2021 in den Bundestag über einen Listenplatz eingezogen. Sie hatte im Wahlkreis Leipzig II kandidiert und kümmert sich unter anderem um Gesundheitspolitik, die neuen Bundesländer und klimaneutrale Mobilität.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

ntv.de: Der Springer-Vorsitzende Mathias Döpfner hält ausweislich einer von der "Zeit" verbreiteten Privatnachricht Ostdeutsche wahlweise für Faschisten oder Kommunisten. Warum muss sich die Öffentlichkeit damit befassen, was Herr Döpfner privat denkt?

Paula Piechotta: Weil er so unglaublich mächtig ist. Er ist der Vorstandsvorsitzende eines großen Presseimperiums in diesem Land, das auch global sehr große Medienhäuser sein Eigen nennt. Und deswegen ist es relevant, wenn dieser Mann gegenüber bestimmten Teilen der deutschen Bevölkerung starke Vorurteile hegt - die übrigens insgesamt in der Bevölkerung weitverbreitet sind. Hinzukommt, dass er in Zusammenhang mit den Ostdeutschen das Wort "eklig" verwendet hat. Diese emotional aufgeladene Abwertung hat viele Menschen getroffen.

Döpfner bestreitet, tatsächlich so tumb über Ostdeutschland zu denken. Sie nehmen ihm das nicht ab?

Ich halte die Recherchen der "Zeit" für sehr glaubwürdig. Wir sollten das Herrn Döpfner deshalb auch nicht durchgehen lassen, sondern darüber reden. Fast jeder zweite Westdeutsche ist der Überzeugung, dass es Unterschiede zwischen Ost und West gibt und von denen, die diese Unterschiede als groß erachten, bewertet die Mehrheit Ostdeutsche negativ. Zu diesen Menschen gehört vermutlich auch Mathias Döpfner. Unter den Ostdeutschen sind 70 Prozent der Meinung, dass es Unterschiede gibt. Über diese gegenseitige Wahrnehmung müssen wir sprechen, um Vorurteile zu überwinden. In Städten wie Berlin, Leipzig oder Dresden, wo Menschen aus Ost und West miteinander leben, gelingt das bereits.

Sind das Vorurteile, wenn man sich darüber ärgert, dass die Menschen im Osten demokratieferner sind und deutlich öfter AfD wählen? Oder hat Döpfners Kritik nicht einen wahren Kern?

Die Wahlergebnisse von rechtsextremen Parteien sind in Ostdeutschland extrem hoch. In meinem Bundesland Sachsen ist das das größte Problem vor der Landtagswahl im kommenden Jahr. Aber auch in den ostdeutschen Bundesländern wählt eine Mehrheit regelmäßig demokratische Parteien. Döpfners Behauptung, dass die Menschen hier allesamt entweder Faschisten oder Kommunisten seien, lässt das unter den Tisch fallen. AfD und Linkspartei einen Alleinvertretungsanspruch für Ostdeutschland zuzuschreiben, macht diese Parteien nur noch stärker.

Sie haben Döpfner auf Twitter als das "hässliche Gesicht Westdeutschlands" bezeichnet. Wie haben Sie das gemeint?

Döpfner ist ein besonders mächtiges Beispiel für die teilweise eklatanten Vorurteile, die in Teilen Westdeutschlands fortbestehen. Das habe ich gemeint. Befragungen zeigen ja, welche Vorurteile in Ost und West weiter existieren. Ansichten wie Döpfners sind mutmaßlich auch in anderen westdeutschen Chefetagen weit verbreitet. Ostdeutsche haben daher eben nicht die gleichen Karriereoptionen wie Westdeutsche mit gleicher Ausbildung, weil ihnen immer noch Misstrauen entgegenschlägt.

33 Jahre nach der Wiedervereinigung lässt uns die Debatte über das Ost-West-Verhältnis nicht los. Aber ist es klug, wegen der Privatkommunikation eines Konzernmanagers das ganze Fass noch weiter aufzumachen?

Aber es wird keine neue Debatte aufgemacht. Wir hatten in den vergangenen Wochen bereits die Aufregung um das Buch des Leipziger Literaturwissenschaftlers Dirk Oschmann, in dem er mit dem Vorschlaghammer die 20. Runde der Ost-West-Debatte eröffnet hat. Ich kann alle verstehen, die von diesem Thema genervt sind. Es wir nur nichts besser, wenn man nicht darüber spricht. Deswegen verstehe ich auch, dass der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, so deutlich in die Debatte reingegangen ist.

Schneider forderte Springer auf, Döpfner vom Vorstandvorsitz abzuberufen. Sollte sich Politik in die Personalien von Medienkonzernen einmischen?

Das ist Carsten Schneiders gutes Recht. Es ist ein Ausdruck von Demokratie, wenn der Ostbeauftragte der Bundesregierung das fordern kann, Springer es aber nicht machen muss. Umgekehrt können Medien den Rücktritt von Politikern fordern, ohne dass Parteien oder Regierungen dem nachkommen müssen.

Laut "Zeit" hat Döpfner versucht, die "Bild"-Berichterstattung zugunsten der FDP zu beeinflussen. Im Osten sind besonders viele Menschen medienskeptisch. Wird deren Bild einer von oben gesteuerten Medienlandschaft durch die Causa Döpfner bestärkt?

Diese Gefahr besteht auf jeden Fall. Andererseits ist Skepsis gegenüber der Presseberichterstattung sowie gegenüber demokratischen Institutionen jetzt schon groß. Da ist nicht viel Luft nach oben. Aber man muss jetzt sehr genau schauen, ob Deutschlands größtes Verlagshaus versucht hat, die Bundestagswahl maßgeblich zu beeinflussen.

Sehen Sie denn Anzeichen dafür, dass die FDP vor der Wahl hochgeschrieben worden ist?

Ich habe nicht ausreichend Zeit, um mir die gesamte Springer-Berichterstattung vor der Bundestagswahl noch einmal genauer anzuschauen. Das müssen andere machen. Zumindest hat die FDP nicht das Ergebnis erzielen können, das Herr Döpfner sich offenbar gewünscht hat. Man kann daraus vielleicht den Schluss ziehen, dass selbst die Macht des Springer-Verlages in Deutschland inzwischen begrenzt ist.

Mit Paula Piechotta sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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