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ESC-Atmosphäre gegen Drohungen Taiwans neuer Präsident demonstriert Unbeugsamkeit gegen China

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Die Amtseinführung von Lai Ching-te war ein buntes und lautstarkes Spektakel.

Die Amtseinführung von Lai Ching-te war ein buntes und lautstarkes Spektakel.

(Foto: dpa)

Bei der Feier zum Amtsantritt von Lai Ching-te präsentiert Taiwan sich frei, bunt und unbeirrt. Doch die Demokratie des Landes steht vor neuen Problemen - nicht nur wegen der Kriegsdrohungen aus Peking.

Taiwans neuer Präsident hat in seiner ersten Rede im Amt China aufgerufen, sein Land nicht mehr zu bedrohen und mit der demokratisch gewählten Regierung Gespräche zu führen. Die Volksrepublik solle mit politischer und militärischer Einschüchterung aufhören, um Frieden und Stabilität zu sichern, sagte Lai Ching-te nach seiner Vereidigung. Für solche demonstrativ unbeugsamen Aussagen erntete Lai besonderen Jubel in Taiwans Hauptstadt Taipeh. Der bisherige Vizepräsident im Januar die Präsidentenwahl gewonnen.

Die Feier der Amtseinführung vor tausenden Zuschauern war über weite Teile ein buntes, heiteres und lautstarkes Spektakel mit Rappern, Akrobaten und tanzenden Fantasiegestalten. Doch das Fest der Demokratie fand vor dem Hintergrund scharfer Drohungen aus Peking statt. Die kommunistische Führung dort bezeichnet Politiker der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), der auch Lai angehört, als "Separatisten". Nach der Wahl seiner Vorgängerin Tsai Ing-wen 2016 hatte Peking die Kontakte zu Taiwans Regierung abgebrochen - obwohl die Präsidentin stets betonte, sie wolle den Status Taiwans nicht verändern und sei offen für Gespräche. Tsais selbstbewussten, auch angesichts von Drohungen unbeirrten Kurs, der Taiwan auf der Suche nach Unterstützung fester im Westen verankerte, wird Lai aller Voraussicht nach fortsetzen wollen. Taiwan müsse "Seite an Seite mit anderen demokratischen Ländern" stehen, um "Frieden durch Stärke" zu erreichen, sagte er.

Auch ein blaues Pferd mit Regenbogenmähne zog am neuen Präsidenten vorbei.

Auch ein blaues Pferd mit Regenbogenmähne zog am neuen Präsidenten vorbei.

(Foto: REUTERS)

Als nach der Rede des 64-Jährigen mehrere Kampfjet-Geschwader von Taiwans Luftwaffe über das Regierungsviertel donnerten, war das eine Demonstration der eigenen Stärke - es erinnerte aber auch daran, dass China an Plänen für Luftangriffe und eine Invasion der Insel arbeitet. Falls es mit seiner Aggression Ernst macht, könnte um Taiwan ein Konflikt ausbrechen, der - neben Tod und Zerstörung hier vor Ort - für die Weltwirtschaft laut Prognosen schlimmere Folgen hätte als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und sogar die Corona-Pandemie.

China will sich Taiwan einverleiben

Die beiden Großmächte China und USA könnten aufeinanderprallen, weil Washington kaum tatenlos zusehen würde. Dass Taiwans Status nicht gegen den Willen seiner Bewohner verändert werden darf, ist auch ohne diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern seit Jahrzehnten die erklärte Politik der inoffiziellen Schutzmacht USA. Unter den Ehrengästen in Taipeh war der frühere US-Außenminister Mike Pompeo. Auch eine Gruppe deutscher Bundestagsabgeordneter war angereist.

"Frieden ist die einzige Option", kam Lai in seiner Antrittsrede vor dem Präsidentenpalast schnell auf den Elefanten im Raum zu sprechen. Peking solle die Existenz des taiwanischen Staates anerkennen und "Dialog statt Konfrontation, Austausch statt Eindämmung" wählen, sagte der frühere Arzt.

Lai Ching-te, der bisherige Vizepräsident, hatte im Januar die Präsidentenwahl gewonnen.

Lai Ching-te, der bisherige Vizepräsident, hatte im Januar die Präsidentenwahl gewonnen.

(Foto: dpa)

Die Führung in Peking bezeichnet Taiwan seit jeher als Teil des chinesischen Territoriums und will die eigenständig regierte Insel kontrollieren, obwohl sie nie zur Volksrepublik gehörte und die 23 Millionen Taiwaner mit überwältigender Mehrheit keine Vereinigung zu Pekings Bedingungen wollen. Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping trägt China seinen Machtanspruch immer unverhohlener vor, schließt einen Militäreinsatz ausdrücklich nicht aus und will Taiwan mit Drohungen, Desinformationskampagnen und anderen Methoden der Einflussnahme mürbe machen.

Selbstbewusstsein soll die Taiwaner dagegen wappnen. Zwischen Lais Amtseid und seiner Antrittsrede marschierten nur kurz Militärkapellen mit blitzenden Helmen auf. Dann sorgten BMX-Fahrer und Baseballspieler, A-Capella-Chöre und Street-Dance-Gruppen zu wummernden Bässen für einen krassen Kontrast zur steifen Förmlichkeit der Vereidigungszeremonie. Ein Blick in die Aufzeichnung des offiziellen Livestreams ab der Eine-Stunden-Marke lohnt sich - einiges würde man sich eher beim ESC als bei einem Staatsakt vorstellen. Das Showprogramm sollte Taiwan so zeigen, wie die DPP und ihre Anhänger es am liebsten darstellen: eine vielfältige Gesellschaft, die ihre Freiheiten feiert.

"Es werden keine leichten Jahre für Lai"

Freiheit, Respekt und Demokratie, Taiwan als Teil der Welt, statt isoliert von ihr - solche Begriffe wiederholten die Moderatoren des Programms so oft, dass wirklich niemand ihre Bedeutung verpassen konnte. Auch hier lauerte Chinas Bedrohung stets im Hintergrund. Bei der Nationalhymne sangen auf der Bühne Schüler mit, deren Schule bei einem heftigen Erdbeben Anfang April beschädigt worden war. Sie seien ein Beispiel für Taiwans Widerstandsfähigkeit, betonten die Moderatoren - ein Begriff, den die Regierung auch angesichts der chinesischen Einschüchterungen gern benutzt. Denn tatsächlich tun die Taiwaner Chinas Regierung nicht den Gefallen, kollektiv in Panik zu verfallen, sondern leben ihr normales Leben weiter - auch angesichts von Kampfflugzeugen, die fast täglich Richtung Taiwan fliegen, und chinesischen Schiffen, die die Insel immer öfter umkreisen.

Die Kampfjet-Geschwader waren eine Demonstration der Stärke - sie erinnerten aber auch daran, dass China an Plänen für eine Invasion arbeitet.

Die Kampfjet-Geschwader waren eine Demonstration der Stärke - sie erinnerten aber auch daran, dass China an Plänen für eine Invasion arbeitet.

(Foto: REUTERS)

"Es werden auf jeden Fall keine leichten vier Jahre für Lai sein", sagt Angela Stanzel ntv.de über den Amtsantritt des neuen Präsidenten. Für die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik hat sie vor Kurzem mehrere Monate in Taiwan geforscht. Als konkretes Angebot für erste Gesten der Entspannung schlug Lai China vor, den gegenseitigen Tourismus sowie die Aufnahme chinesischer Studierender an Taiwans Universitäten wieder möglich zu machen. Möglicherweise werde die andere Seite darauf eingehen, sagt Stanzel - es aber so darstellen, als sei die Initiative nicht von Lai ausgegangen, sondern von Peking.

Lai werde weiterhin zunehmendem Druck aus China ausgesetzt sein und müsse einen "Weg der Balance" gehen, um die Stabilität aufrechtzuerhalten, so Stanzel. "Es wird größtenteils so weitergehen wie bisher, und das ist keine gute Nachricht."

Am Freitag kam es im Parlament zu Rangeleien

Erschwert wird die Politik des Präsidenten durch Taiwans parteipolitische Spaltung. Es sei Aufgabe aller Parteien, die Souveränität zu schützen und sich einer Annexion durch China entgegenzustellen, betonte Lai in seiner Rede. Damit spielte er darauf an, dass Taiwans Abgeordnete am vergangenen Freitag ein denkbar schlechtes Bild von Taiwans Demokratie in die Welt gesendet hatten - sie rangelten im Plenarsaal miteinander, rissen sich von den Beinen und warfen politische Gegner vom Rednerpult.

Hintergrund der peinlichen Bilder, über die China sich gefreut haben dürfte: Bei den Wahlen im Januar hatte die DPP trotz Lais Präsidentschafts-Wahlsieg ihre Mehrheit im Parlament verloren. Ihre Anliegen kann die Regierung nun viel schwieriger durchbringen. Tonangebend im Parlament ist die Kuomintang-Partei (KMT), die Taiwan einst autoritär beherrschte und sich und den Staat, anders als die DPP, als grundsätzlich chinesisch definiert - wenn auch nicht im Sinne der Volksrepublik. Anlass des Streits waren Gesetzesvorhaben der KMT mit dem Ziel, die Stellung des Parlaments zu stärken und den Abgeordneten Untersuchungsbefugnisse zu geben. Die DPP traut der KMT nicht über den Weg und beschwert sich vor allem, diese wolle Gesetzgebungsverfahren unzulässig abkürzen. Die handgreifliche Blockadetaktik der DPP am Freitag hat in Taiwans Parlament durchaus Tradition als letztes Mittel einer Minderheit, bei besonders kontroversen Vorhaben die Entschlossenheit der Mehrheit auf den Prüfstand zu stellen. Doch wer die Hintergründe nicht kennt, sieht vor allem Unreife und ein fragwürdiges Demokratieverständnis.

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Parteien müssten auch kooperieren, statt nur zu streiten, wandte der neue Präsident sich gleich zu Beginn seiner Rede an die Abgeordneten. "Die Taiwaner haben hohe Erwartungen an vernünftige Führung", nur so könne das Land sich stabil entwickeln. Lai habe hier "gute Worte gefunden", sagt Taiwan-Expertin Angela Stanzel. Er wünsche Kompromisse "zumindest bei den wirklich wichtigen Themen, sowohl innen- als auch außenpolitisch".

Am Dienstag plant das Parlament die Beratungen über die kontroversen Gesetze fortzusetzen. Draußen sind Demonstrationen angekündigt. Es wird sich zeigen, ob Lais Appelle Wirkung haben. Die meisten Oppositionspolitiker haben sie gar nicht vor Ort zu hören bekommen - sie hatten die Antrittsfeier boykottiert.

Quelle: ntv.de

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