China steht bereit Europa droht in Südostasien den Anschluss zu verlieren
19.05.2024, 13:01 Uhr Artikel anhören
China knüpft immer engere Verbindungen in die ASEAN-Staaten: Im südchinesischen Nanning fand im April bereits zum zweiten Mal eine China-ASEAN-Woche zum immateriellen Kulturerbe statt.
(Foto: picture alliance / Sipa USA)
In den Hauptstädten Südostasiens wird die Europäische Union als moralisch überheblich wahrgenommen. Das schadet europäischen Interessen massiv. Nötig ist, Handelsverhandlungen nicht länger mit handelsfremden Forderungen zu überfrachten.
Die Diversifizierung von Lieferketten ist eine entscheidende Säule des De-Risking in der EU, also der europäischen Bemühungen, die eigene wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren. Gerade für Deutschland ist die stärkere Ausdifferenzierung der eigenen Außenwirtschaftsbeziehungen von besonderer Bedeutung, denn die deutsche Wirtschaft ist so eng wie keine andere in Europa mit China verflochten. Eine entscheidende Frage ist: In welche Länder und Regionen sollen deutsche und europäische Unternehmen diversifizieren, um weniger abhängig von China zu werden?
Der Blick geht dabei häufig nach Südostasien. Schließlich bilden die aufstrebenden Volkswirtschaften der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN mit ihren teils hohen Wachstumsraten derzeit die weltweit dynamischste Wirtschaftsregion. Zwar beträgt die gesamte Wirtschaftskraft der Region nur einen Bruchteil der chinesischen Wirtschaft. Doch sie bietet aufgrund relativ niedriger Löhne, junger Bevölkerungen sowie großer Märkte und einer aufstrebenden und konsumfreudigen Mittelschicht zahlreiche Chancen für europäische Unternehmen. Südostasien kann China für die europäische Wirtschaft nicht ersetzen, aber sehr wohl sinnvoll ergänzen.
Trotz dieses Potenzials ist der wirtschaftliche Handel zwischen EU und ASEAN in den vergangenen Jahren nur relativ schwach gewachsen. Dagegen hat sich das Handelsvolumen Chinas mit der Region in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt. China hat seinen Einfluss in Südostasien zuletzt massiv ausgebaut. Das Land ist nicht nur der größte Handelspartner der ASEAN-Staaten, sondern dominiert zunehmend wichtige Lieferketten in der Region. Die Folge: Der europäischen Wirtschaft droht bei einer Standortverlagerung aus China nach Südostasien eine Pseudo-Diversifizierung, bei der eine weiterhin vorwiegend chinesisch dominierte Wertschöpfungskette schlicht außerhalb der chinesischen Staatsgrenzen stattfindet.
Handelsverträge nicht überfrachten
Damit europäische Unternehmen im Wettbewerb mit der staatlich massiv geförderten chinesischen Konkurrenz bestehen können, muss die EU endlich ihre Handelsverhandlungen in der Region abschließen. Während die EU im Jahr 2019 ein Freihandelsabkommen mit Vietnam unterzeichnen konnte, kommen die teils seit Jahren stagnierenden Verhandlungen mit Indonesien, Malaysia, Thailand und den Philippinen kaum voran.
Haupthindernis für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluss sind die Bemühungen der EU, im Rahmen der Verhandlungen handelsferne Forderungen durchzusetzen, etwa weitreichende Arbeits- und Umweltstandards. Staaten wie Indonesien lehnen dies ab und werfen der EU Protektionismus unter dem Denkmantel von Klimaschutz und Menschenrechten vor. Mit Blick auf das weltweit steigende wirtschaftliche Interesse an der Region sind die aufstrebenden ASEAN-Staaten zunehmend in einer Position, Verhandlungen mit der EU scheitern zu lassen. Für die EU wäre das ein erheblicher Rückschlag - sowohl im Hinblick auf die europäischen Diversifizierungsbemühungen als auch mit Blick auf den ohnehin deutlich zurückgehenden geopolitischen Einfluss Europas in der Region. Denn für ihre ambitionierten Ziele braucht die EU die Staaten der ASEAN, zum Beispiel beim weltweiten Klimaschutz, der Reform der multilateralen Handelsregeln oder dem Schutz freier Handelsrouten.
Die EU sollte die Handelsverhandlungen daher nicht länger mit handelsfremden Forderungen überfrachten und vielmehr solche Fragen dort, wo sie nicht unmittelbar handelsrelevant sind, von den handelspolitischen Themen entkoppeln. Die EU hat andere Instrumente, um die soziale Entwicklung oder den Klimaschutz in den ASEAN-Staaten zu unterstützen. Wichtigstes Instrument ist dabei die Global Gateway Initiative, in deren Rahmen die EU in den nächsten Jahren Investitionen von 10 Milliarden Euro in den Bereichen Grüne Transformation und nachhaltige Konnektivität in der Region plant. Doch auch mit Blick auf Global Gateway gilt, dass die EU mögliche Investitionsvorhaben in den ASEAN-Staaten nicht ausbremsen sollte, indem sie übermäßige Bedingungen stellt. Denn China steht mit seiner "Belt and Road"-Initiative als Investitionspartner in Südostasien bereit und legt deutlich weniger Wert auf Fragen von Arbeits- und Umweltschutz.
Mit Zeigefinger wird die EU in der Region nicht erfolgreich sein
Wichtig ist zudem, dass die Europäische Kommission und auch die Bundesregierung die europäischen beziehungsweise deutschen Unternehmen bei ihren Diversifizierungsbemühungen in Südostasien noch stärker unterstützen. Die Einführung von vergünstigten Konditionen durch die Bundesregierung im Oktober 2023 für die Übernahme von Investitionsgarantien in Ländern mit hohem Diversifizierungspotenzial war ein richtiger Schritt in diese Richtung. Darüber hinaus sollte die politische Flankierung des Engagements europäischer Unternehmen in der ASEAN-Region ausgebaut werden. Die bisher relativ geringe Anzahl hochrangiger politischer Besuche aus der EU in den Ländern der ASEAN ist deutlich ausbaufähig. Und wie bei vergleichbaren Besuchsreisen nach China oder Indien sollten hochrangige politische Delegationen aus Deutschland und Europa in der Region von hochrangigen Wirtschaftsvertretern begleitet werden.
Die aufstrebenden Schwellenländer Südostasiens treten international zunehmend selbstbewusst auf. Von der EU erwarten sie eine echte, partnerschaftliche Politik auf Augenhöhe. Für die ASEAN-Staaten ist Europa heute nur noch eine Option von vielen und in den Hauptstädten der Region schwindet zunehmend die Geduld mit einer EU, die als moralisch überheblich wahrgenommen wird. Die EU sollte deshalb gegenüber den ASEAN-Staaten eine pragmatischere Politik einschlagen. Mit erhobenem Zeigefinger und dem Bestehen auf europäischen Standards wird Europa in der Region nicht erfolgreich sein. Im Gegenteil, China und die USA, aber auch Australien, Japan, Südkorea oder Indien bieten sich den Südostasiaten als attraktive Partner an. Europa droht den Anschluss zu verlieren.
Der Autor: Dr. Denis Suarsana ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Jakarta, Indonesien. Der Text basiert auf den Ergebnissen der im April 2024 veröffentlichten Studie De-Risking, aber wohin? Die Schwellenländer der Emerging ASEAN als Alternative zu China.
Quelle: ntv.de