Interview mit Natascha Strobl Taugt Kurz' Rechts-Kurs für die Union?
04.10.2021, 20:55 Uhr
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz - erfolgreich aber auch umstritten. Das Regierungsbündnis mit den Grünen bietet ihm Schutz, sagt Natascha Strobl.
(Foto: imago images/Alex Halada)
Die Junge Union hätte gern einen wie ihn: Sebastian Kurz, seit 2017 Bundeskanzler Österreichs. Kritiker halten ihm jedoch vor, die konservative ÖVP nach Rechtsaußen geführt zu haben - dorthin, wo Jörg Haider das Feld bestellt hat. Die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl stellt diesen Rechtsruck in ihrem Buch "Radikalisierter Konservatismus" in eine Reihe mit der Entwicklung der Republikaner unter Trump und der Tories unter Boris Johnson. Warum das Modell Kurz für die CDU attraktiv ist, und was ihn mit Trump verbindet, erklärt Strobl im ntv.de-Interview.
ntv.de: Frau Strobl, wie kommt man darauf, so unterschiedliche Typen und Politiker wie Donald Trump und Sebastian Kurz zu vergleichen?
Natascha Strobl: Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als mir der Vergleich gekommen ist. Gerade war das Ibiza-Video herausgekommen, Sebastian Kurz beendet die Koalition mit der FPÖ live im Fernsehen, und ich dachte: Ich kenne das. Seine Strategie, wie er redet, wie er mit Sprache manipuliert - das war ich alles gewohnt, allerdings von der extremen Rechten und Donald Trump.

Die Wiener Politologin Natascha Strobl hat jahrelang zur extremen Rechten in Europa geforscht und zwei Bücher über die „Neue Rechte“ und die Identitäre Bewegung geschrieben. Auf Twitter beleuchtet sie unter dem Hashtag #NatsAnalyse Politikerstrategien.
(Foto: picture alliance/dpa/Natascha Strobl)
Kurz hat seine Koalition mit den Rechtsaußen um Heinz-Christian Strache damals mit dem berühmten Satz aufgekündigt: Genug ist genug.
Genau. Er hat sich als Opfer dargestellt, als hätte man ihn gezwungen, mit der FPÖ zu koalieren. Er hat eine Krisensituation genutzt, um eine alternative Erzählung der Realität zu etablieren. Das war die Basis, um Trump und Kurz gegenüberzustellen. Auch, weil in Österreich immer diese Vorstellung geherrscht hat: Bei uns ist es nicht so schlimm. Damit wollte ich brechen.
Was sind denn die größten Gemeinsamkeiten zwischen Trump und Kurz?
Die bewussten Grenzüberschreitungen. Ich nenne es einen Bruch der informellen Spielregeln - also alles, was unter Etikette und Moral läuft. Bei Trump ist das evident, aber auch bei Kurz und seiner ÖVP sehen wir das. Da setzt sich der Innenminister nach der Abschiebung eines Teenagers, die selbst vom Koalitionspartner kritisiert wurde, ins Fernsehen, und gibt der Mutter die Schuld. Das ist selbst für Österreich etwas Neues. Diese Härte, diese Niedertracht kennen wir von extremen Rechten, aber nicht von konservativen Parteien.
Die ÖVP war immer eine konservative Volkspartei, katholisch geprägt, vor allem auf dem Land verankert, traditionell EU-freundlich. Sebastian Kurz bezeichnet seine Wurzeln als christlich, sozial, liberal. Jetzt sagen Sie: Das ist kein normaler, sondern radikalisierter Konservatismus. Was soll das sein?
Im Nachkriegseuropa hat es immer zwei große systemstabilisierende Parteien gegeben: Konservative und Sozialdemokraten. Sie waren staatstragend, auf Ausgleich und Konsens bedacht. Der radikalisierte Konservatismus, wie ihn etwa Kurz' ÖVP, Teile der Tories, die SVP in der Schweiz und Fidesz in Ungarn vertreten, will diesen Ausgleich nicht mehr, sondern ganz radikal sein Programm durchsetzen. Diese Parteien lassen den Status Quo hinter sich, und sehen sich nicht mehr als Erhalter des Systems.
Warum radikalisieren sich diese konservativen Parteien?
Es ist ein Krisenphänomen, und auch kein neues. Es wiederholt sich, wenn man draufkommt, dass der Status Quo nicht zu erhalten ist - in diesem Fall der Wohlfahrtsstaat der Nachkriegsära. Teile des konservativen Bürgertums wollen dann ein neues System, deutlich hierarchischer, autoritärer. In Ideologie, Gestus und Sprache nähern sie sich der extremen Rechten an. Warum? Weil sie zu der Erkenntnis kommen: Wer sich ans alte System klammert, geht damit unter.
Sebastian Kurz sagt im Hinblick auf seine strikte Antimigrationspolitik immer: Das, was ich 2015 schon gesagt habe, wurde damals als rechtsradikal abgetan, jetzt ist es Mainstream. Wer hat sich hier eigentlich wohin bewegt?
Einerseits ist das Koketterie, um sich als Avantgarde darzustellen, tatsächlich war er nicht allein auf weiter Flur. Aber er hat schon auch recht, nur nicht so, wie er es meint, also dass er die Gesellschaft von weit links in die Mitte geholt hätte, sondern: Er hat dazu beigetragen, dass rechtsextreme Diskurse populär geworden sind. Nicht er allein, auch die Massenmedien spielen eine Rolle. Aber ein Faktor ist sicher, dass konservative Parteien rechtsextreme Diskurse normalisiert haben, siehe die Verschwörungstheorie vom "Großen Austausch": Dass linke Parteien Flüchtlinge ins Land holen, um die Mehrheiten zu verschieben, das sagt mittlerweile auch die ÖVP.
Sie schreiben in Ihrem Buch: "Es sind die Strategien des Rechtspopulismus Haiderscher Prägung". Ist es nicht ein etwas zu weiter Bogen von Jörg Haider zu Sebastian Kurz, allein schon zeitlich?
Zu sagen: Erst kam Haider, dann nichts, dann Kurz - das wäre Blödsinn. Aber die Art, wie Haider Politik gemacht hat, war lange auf die FPÖ beschränkt. Kurz ist in diese Tradition eingetaucht, hat sich Versatzstücke genommen, ohne die Plumpheit und Derbheit eines Heinz-Christian Strache oder Herbert Kickl. Schauen Sie sich an, wie er auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen sich reagiert: Er behauptet, es gebe "rote Netzwerke" in der Justiz. Darauf muss man erstmal kommen. Dieses Geraune, das ist klassischer Haider.
Haider hätte aber wohl kaum mit den Grünen koaliert, oder?
Nein. Deswegen würde ich den radikalisierten Konservatismus nie deckungsgleich sehen mit der extremen Rechten. Der ÖVP konnte übrigens nicht besseres passieren als die Grünen. Die Freiheitlichen waren Schmuddelkinder, international nicht herzeigbar, die Grünen geben Schutz. Solange Kurz mit Ihnen koaliert, kann er kein Trump sein.
Aber warum funktioniert das Bündnis?
Die ÖVP bedient die Machtebene. Sie greift die unabhängige Justiz an, drangsaliert kritische Medien - wie etwa mit ihrer Klage gegen den "Falter", baut den Sozialstaat ab, indem sie zum Beispiel die Mindestsicherung - das Gegenstück zu Hartz IV - senkt. So etwas geschieht nicht mit 80-Seiten-Papieren, sondern mit Kampagnen, Stimmungsmache, Polarisierung. Die Grünen agieren auf Sachebene, die wollen gute Politik machen. So kommt man sich nicht in die Quere.
In Deutschland hat sich gerade eine quasi ideale Situation für den "radikalisierten Konservatismus" ergeben: Die CDU hat das schlechteste Wahlergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg eingefahren. Einige CDU-Politiker fordern schon, mal nach Österreich zur Schwesterpartei zu schauen.
Das wird auf jeden Fall diskutiert werden, weil es einer der einfachsten und verständlichsten Ansätze ist, aus der Krise herauszukommen. Das Bizarre ist: Das Wahlergebnis gibt einen rechteren Kurs gar nicht her, wen wollte man damit auch zurückholen? Nicht die AfD hat gewonnen, sondern FDP und Grüne. Aber weil es die eigene Identität und eine Art Winner-Mentalität stärkt, werden es Leute versuchen wollen.
Ein Friedrich Merz würde auch sagen: Halt Stopp, wir wollen ja gar keinen "radikalisierten Konservatismus", sondern einfach nur unsere alte Union zurück, die Angela Merkel zu weit liberalisiert hat. Haben Sie das in Ihrer Analyse nicht etwas unterschätzt?
Die Preisfrage ist doch: Was ist Konservatismus im 21. Jahrhundert? Vielleicht wurde man Opfer des eigenen Erfolgs, weil man sich für manche Dinge geöffnet hat. Andererseits: Wenn etwas gesellschaftlich akzeptiert ist, warum sollte ich mich jetzt dagegen stellen? Ich bin weit entfernt davon, der CDU Tipps zu geben, aber: Es wäre ahistorisch zu glauben, man könnte an einen fiktiven Punkt zurückkehren, als man die idealkonservative Partei war.
Was das Modell Kurz attraktiv macht, ist der Erfolg. Der Wähler goutiert den "radikalisierten Konservatismus". Muss man das nicht Kurz zugute halten? Sind da nicht einfach mal wieder Linke unzufrieden, dass die Leute "falsch" wählen?
Klar macht Sebastian Kurz ein Angebot. Man spürt doch, dass es irgendwie knackt und nicht läuft. Und dann kommt einer und bietet eine Erklärung und einen Ausweg, mit Stärke und Kälte, die es angeblich braucht in harten Zeiten. "Wenn Ihr mit mir seid, dann seid Ihr auf der Gewinnerseite" - das ist ein Angebot. Es ist eben nicht alles Sachpolitik. Es geht auch um Emotionen, das Gefühl von Ordnung und Sicherheit. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Böse zu sein auf Wähler, ist ein elitärer und falscher Ansatz. Linke Parteien müssen sich fragen, wo sie selbst stehen und was sie wollen.
Mit Natascha Strobl sprach Christian Bartlau
Quelle: ntv.de