Blockade der Ukraine-Hilfen Mike Johnson ist Trumps Torwächter
22.03.2024, 16:12 Uhr Artikel anhören
Schlüsselperson für Ukraine-Hilfen: der Republikaner Mike Johnson.
(Foto: AP)
Ein Weg ist sichtbar, doch der US-Kongress bewegt sich nur in Trippelschritten. Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses, möchte Putin aufhalten. Zugleich verhindert er neue Ukraine-Hilfen. Weshalb?
Mike Johnson wird ständig nach neuen Ukraine-Hilfen gefragt. Dann sagt der Sprecher des US-Repräsentantenhauses immer, dass Russland gestoppt werden müsse. Eine Entscheidung schiebt der Republikaner zugleich seit Monaten in die Zukunft. Schon als er im Oktober an die Spitze der Kongresskammer gewählt worden war, sagte er: "Wir dürfen es nicht zulassen, dass Putin in der Ukraine gewinnt." Die Abstimmungen über Hilfspakete, die vom Senat längst verabschiedet worden sind, blockierte er trotzdem.
Auch in dieser Woche ließ sich Johnson nicht hetzen. Erst den Haushalt verabschieden, alle Optionen prüfen, Ende der Woche in die parlamentarische Pause fahren - und nach der Rückkehr über mögliche Ukraine-Hilfen reden; das ist der von ihm verkündete Fahrplan. Währenddessen wird Russlands militärischer Druck größer. Seit Monaten schon rationieren die ukrainischen Verteidiger notgedrungen ihre Munition. Russland produziert etwa dreimal so viel Artilleriemunition wie die USA und Europa gemeinsam.
Was ist eigentlich das Problem? Warum macht Johnson seit Monaten das eine, sagt aber etwas anderes? Zunächst einmal: Er kann als einzelner Politiker den ganzen Betrieb aufhalten, da er als Sprecher darüber entscheiden darf, ob ein Gesetzespaket zur Abstimmung gestellt wird oder nicht. Die Antwort ist auch nicht ganz einfach, zeigt aber, wie verfahren die Verhältnisse in Washington geworden sind. Und wie viel Macht eine Minderheit im Kongress ausüben kann.
Hochriskante Taktiererei
Oberste Priorität für Johnson ist, "unsere eigene Grenze zu sichern". Also sagt er, mögliche Ukraine-Hilfen müssten an neue Maßnahmen im Süden gekoppelt sein, wo über Mexiko so viele Menschen wie nie ins Land kommen. Der Haushalt, in dieser Woche im Repräsentantenhaus verhandelt, ging ebenfalls vor. Johnson kauft sich damit auch Zeit, denn er muss einen Drahtseilakt vollführen, um seinen Job zu behalten. Andernfalls fällt er auf die hinteren Bänke zurück.
Der Sprecher muss die Demokraten ins Boot holen, die ihre Vorstellungen eines Hilfspakets schon lange präsentiert haben. Johnson muss Trump zufriedenstellen, für den die Situation an der Südgrenze eine Wahlkampfhilfe gegen Biden ist. Johnson muss zudem eine mögliche Revolte im eigenen Lager verhindern und solche Republikaner umwerben, die der Ukraine gar keine Hilfen zur Verfügung stellen wollen - oder nur in Verbindung mit neuen Grenzmaßnahmen, die aber aus Rücksicht auf Trump nicht allzu wirksam sein dürfen.
Die für Europa hochriskante Taktiererei des Sprechers lässt US-Präsident Joe Biden und seine Regierung wie Phrasendrescher aussehen. Auch der Sprecher der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, hat genug: "Wir haben dafür keine Zeit", sagte der lapidar über die von Johnson angekündigten Beratungen aus der anderen Kongresskammer. Johnson gab sich stur, stellte neue Ukraine-Hilfen nach Intervention von Trump komplett infrage. Als dieser sinnierte, man könne ja über einen Kredit statt bedingungsloser Hilfe nachdenken, äußerte sich der Sprecher wenig später ebenfalls optimistischer.
Wird Johnson tatsächlich einen eigenen, mit allen Lagern abgestimmten Vorschlag zur Abstimmung bringen, wird dies dauern. Nach dem Repräsentantenhaus müsste der Senat ohne Beanstandungen folgen und Biden im Weißen Haus unterschreiben. Heißt: Vor Mitte April wird es aus Washington keine neuen Hilfen für Kiew geben; wahrscheinlich dauert es noch länger. Bis Waffen und Munition die Verteidiger erreichen, vergeht weitere Zeit.
Zeit, welche die Ukraine möglicherweise nicht hat. Aus dem US-Verteidigungsministerium heißt es, die Verteidiger seien Russland auf dem Schlachtfeld bereits jetzt waffentechnisch deutlich unterlegen. Moskau könne die derzeitige Schwäche innerhalb "von Wochen oder Monaten" ausnutzen, sagte ein hochrangiger Mitarbeiter zu CNN. Die Lage ist demnach fragil und kann sich jederzeit verschlechtern.
Enormer Einfluss des Trump-Flügels
Vieles deutet darauf hin, dass es den Republikanern im Wahljahr darum geht, die legislativen Muskeln zu zeigen und Biden den Wählern als gescheiterten Präsidenten verkaufen zu können. Johnson geht es um seinen Job. Ginge er eigenmächtig vor, wären die Mehrheiten für neue Hilfen zwar nahezu sicher. Aber die Rache könnte auf dem Fuße folgen. Hält er als Sprecher durch und Trump gewinnt die Wahl im November, dürfte der Druck aus der eigenen Partei auf ihn nachlassen.
Seit dem vergangenen Jahr kann ein einzelner Abgeordneter ein Misstrauensvotum über den Sprecher erzwingen. Trumps Flügel hat so enormen Einfluss, obwohl nur etwa zehn Prozent der Abgeordneten radikale Gefolgsleute des Ex-Präsidenten sind. Um Johnson abzusetzen, würde eine einfache Mehrheit und damit eine Handvoll von Rebellen im eigenen Parteilager reichen, die mit der Opposition stimmt. So wie bei Johnsons Vorgänger Kevin McCarthy: Der Trump-Flügel hatte die Neuregelung des Misstrauensvotums durchgedrückt und danach McCarthy gemeinsam mit den Demokraten abgesetzt.
Das Verteidigungsministerium hat bereits die letzten Restreserven zusammengekratzt. In der vergangenen Woche hatte die US-Regierung Militärhilfe in Höhe von 300 Millionen US-Dollar "gefunden", wie der Sprecher des Pentagon, General Patrick Ryder, auf der Luftwaffenbasis Ramstein in Deutschland sagte: "Wir können nicht damit rechnen, dass dies noch einmal geschieht". Der zusätzliche Betrag sei bei bereits verhandelten Rüstungsverträgen übrig geblieben.
Die USA haben die entsprechenden Lagerbestände bereits in die Ukraine geschickt. Noch halten dort die Soldaten weitestgehend ihre Frontlinien. Doch mit jedem vergangenen Tag wachse das Risiko, dass Waffen und Munition den Verteidigern nicht mehr reichen, sagte Ryder: "Wir sind uns der miserablen Situation vollkommen bewusst." Sein Chef, Verteidigungsminister Lloyd Austin, versprach an gleicher Stelle, die USA und ihre Verbündeten würden die Ukraine "nicht scheitern lassen". Zu Hause im Kongress geht das Versteckspiel trotz der Durchhalteparolen weiter.
Quelle: ntv.de