Zwei-Stufen-Plan für Umsiedlung? UN-Hilfswerk wirft Israel Vertreibung vor
10.12.2023, 15:58 Uhr Artikel anhören
Wenn sich die Entwicklungen fortsetzen, wird Gaza kein Land mehr für Palästinenser sein, schreibt der Leiter des UN-Hilfswerks.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die heftigen Kämpfe zwischen dem israelischen Militär und der Hamas im Gazastreifen treiben Hunderttausende Palästinenser in die Flucht. Die Flüchtlingsorganisation der UN sieht darin den ersten Schritt eines Kriegsverbrechens der Israelis realisiert. Eine Reaktion aus Jerusalem kommt prompt.
Der Leiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini, hat Israel vorgeworfen, bei seinem militärischen Vorgehen gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen die massenhafte Vertreibung der dort lebenden Bevölkerung nach Ägypten voranzutreiben. Die von der UNO wahrgenommenen Entwicklungen deuteten darauf hin, "dass versucht wird, Palästinenser nach Ägypten umzusiedeln, unabhängig davon, ob sie dort bleiben oder anderswo angesiedelt werden", schrieb Lazzarini in einem Meinungsartikel für die "Los Angeles Times".
Die weitreichenden Zerstörungen im Norden des von der Hamas beherrschten Palästinensergebietes und die daraus resultierenden Fluchtbewegungen seien "die erste Stufe eines solchen Szenarios", erklärte der UNRWA-Chef. Die Vertreibung von Zivilisten aus der näher an der Grenze zu Ägypten gelegenen Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens sei dann der nächste Schritt.
Wenn sich dieser Weg fortsetze und zu dem führe, was viele bereits als eine "zweite Nakba" bezeichneten, "wird Gaza kein Land mehr für Palästinenser sein", erklärte Lazzarini unter Verwendung des arabischen Begriffs "Nakba" für "Katastrophe", der sich auf die Vertreibung von rund 760.000 Palästinensern nach Israels Staatsgründung im Jahr 1948 bezieht.
Israel: "Das ist einfach nicht wahr"
Ein Sprecher des israelischen Verteidigungsministeriums, das auch für die palästinensische Zivilbevölkerung zuständig ist, wies den Vorwurf entschieden zurück. "Es gibt, gab und wird nie einen israelischen Plan geben, die Bewohner des Gazastreifens nach Ägypten umzusiedeln. Das ist einfach nicht wahr." Bereits vergangene Woche hatte ein israelischer Regierungssprecher gesagt, Israel richte seinen Fokus darauf, "Zivilisten innerhalb des Gazastreifens in Sicherheit zu bringen".
Knapp drei Wochen nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der darauf folgenden israelischen Militäroffensive im Gazastreifen war der Grenzübergang Rafah zwischen dem Palästinensergebiet und Ägypten erstmals für Menschen geöffnet worden. Unter den Ausreisenden waren sowohl verletzte Palästinenser, die zur medizinischen Behandlung nach Ägypten gebracht wurden, als auch Ausländer.
Nach UN-Angaben sind inzwischen mehr als die Hälfte der Häuser im Gazastreifen zerstört. Rund 1,9 Millionen Menschen, etwa 85 Prozent der Bevölkerung, mussten demnach ihr Zuhause verlassen. Die südliche Region Rafah entlang der Grenze zu Ägypten wurde zu einem riesigen Flüchtlingslager. Hilfslieferungen können seit Freitag wegen der anhaltenden Kämpfe in den anderen Gebieten nur noch dort verteilt werden.
Hamas meldet knapp 18.000 getötete Palästinenser
Auslöser des Gaza-Kriegs war der Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas waren vom Gazastreifen aus nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt, darunter viele Frauen und Kinder. Nach Angaben der israelischen Behörden wurden 1200 Menschen getötet und rund 240 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Israel erklärte der Hamas daraufhin den Krieg und greift seither den Gazastreifen fast ununterbrochen an - nur eine Feuerpause von einer Woche gab es bisher. Nach nicht überprüfbaren Angaben der Hamas wurden bisher mindestens 17.700 Menschen im Gazastreifen getötet, die meisten davon Frauen und Kinder. Den Bewohnern im Gazastreifen ist es weitgehend verwehrt, den Küstenstreifen zu verlassen.
Quelle: ntv.de, spl/AFP