US-Wahl 2024

Presseschau zu Wahl-Rückzug "Bidens Entscheidung macht ihn zur lahmen Ente"

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"Die Amerikaner haben Präsident Biden viel zu verdanken", schreibt der "Boston Globe" nach dessen Ankündigung, sich aus dem Wahlkampf zurückzuziehen.

"Die Amerikaner haben Präsident Biden viel zu verdanken", schreibt der "Boston Globe" nach dessen Ankündigung, sich aus dem Wahlkampf zurückzuziehen.

(Foto: dpa)

Durch seinen Rückzug verbessere US-Präsident Joe Biden die Chancen seiner Partei, die Nation vor den Gefahren einer Rückkehr Donald Trumps ins Präsidentenamt zu bewahren, schreibt die "New York Times". "Eine Mehrheit der Amerikaner hat ein ums andere Mal gesagt, dass sie nicht glaube, dass Biden die Nation eine weitere Amtszeit führen könne und verwiesen dabei auf seit Langem bestehende Befürchtungen wegen seines Alters und seiner Fitness, die sich zuletzt nur noch verstärkt haben. Wäre er Spitzenkandidat geblieben, hätte er die Wahrscheinlichkeit stark vergrößert, dass Trump die Präsidentschaft zurückgewinnen und möglicherweise auch beide Kammern des Kongresses kontrollieren könnte. Biden hat immer wieder gewarnt, dass dieses Schreckgespenst eine tiefe Bedrohung für die Nation und ihre demokratischen Werte darstellt. Biden hat jetzt getan, was Trump niemals tun wird: Er hat das nationale Interesse über seinen eigenen Stolz und Ehrgeiz gestellt. Bidens Abschied gibt den Demokraten eine Gelegenheit, das öffentliche Interesse neu zu fokussieren - weg von Fragen zur Tauglichkeit des Präsidenten hin zu der ganz offensichtlich moralischen und gemütsmäßigen Untauglichkeit Trumps - und den Gefahren, ihn wieder mit der beträchtlichen Macht des Präsidentenamtes auszustatten."

Auch der "Boston Globe" lobt Bidens Entscheidung, seine Kandidatur zurückzuziehen. "Die Amerikaner haben Präsident Biden viel zu verdanken. Künftige Generationen werden sich an ihn erinnern, dass er nach den turbulenten Jahren der Trump-Regierung den Anstand ins Weiße Haus zurückbrachte, dass er die Demokratie daheim und in Übersee verteidigte, dass er eine parteiübergreifende Gesetzgebung zur Infrastruktur zuwege brachte, die in einem so gespaltenen Washington unmöglich schien, und dass er die größte Anstrengung unter allen bisherigen amerikanischen Präsidenten unternahm, den Klimawandel anzugehen. Dieses Vermächtnis, das er in nicht einmal vier Jahren erreichte, würde viele Präsidenten mit zwei Amtszeiten blass aussehen lassen. Und mit seiner Ankündigung vom Sonntag, dass er keine zweite Amtszeit anstrebt, tat Biden einen wichtigen Schritt, um dieses Vermächtnis zu sichern. Indem er aus dem Rennen ausstieg, gibt er seinen demokratischen Parteifreunden eine Kampfgelegenheit, um das Weiße Haus zu sichern, und den früheren Präsidenten Donald Trump, der versuchen würde, alles, was Biden erreicht hat, rückgängig zu machen, an der Rückkehr zur Macht zu hindern."

Die "Neue Zürcher Zeitung" bezeichnet Bidens Rückzug als "gute Nachricht für die amerikanischen Wähler" und geht auf Kamala Harris als mögliche Ersatzkandidatin ein. "Biden unterstützt nun seine Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin. Er geht damit den Weg des kleinsten Widerstandes. Aus rechtlichen und technischen Gründen ist es am einfachsten, wenn sie kandidiert. Ihr Name steht bereits auf dem Biden/Harris-Ticket, für welches Geldgeber bisher insgesamt 231 Millionen US-Dollar gespendet haben. Doch trotz des 'Endorsement' von Joe Biden ist die Kandidatur von Kamala Harris nicht in Stein gemeißelt; Biden kann den von ihm freigelassen Delegierten nicht vorschreiben, für wen sie am Demokratischen Parteitag stimmen sollen. Wenn es den Demokraten gelingt, eine valable Kandidatur in nützlicher Frist aufzustellen, dann werden die Karten in diesem Wahlkampf neu gemischt. Vor einem Monat sah es aus, als ob zwei alternde Erzfeinde nochmals gegeneinander antreten würden. Die Demokraten müssen nun, unfreiwillig, eine Alternative suchen. Insbesondere für die amerikanischen Wähler der jüngeren Generation sind das gute Nachrichten."

Die vor Ort ansässige "Washington Post" schreibt zu Harris' Erfolgschancen: "Harris ist die große Favoritin, um aus dem Parteitag der Demokraten in Chicago nächsten Monat als Standartenträgerin hervorzugehen. Die Delegierten mögen womöglich der ersten Frau als Vizepräsidentin die Nominierung nicht verweigern. Das ist der Grund, warum viele mögliche Spitzenbewerber signalisiert haben, sie nicht herauszufordern. Ein offener Prozess, um Bidens Ersatz als demokratischer Kandidat und einen neuen Mitstreiter als Vize zu ermitteln, läuft Gefahr, unschön zu werden. Er könnte die Aufmerksamkeit auf demokratische Streitereien lenken zu Themen, die die Demokraten spalten wie Bidens Nahostpolitik (...) Dennoch bietet Bidens Entscheidung die Chance für einen Neustart, nicht nur für seine Partei, sondern für die US-Politik im Allgemeinen, durch einen Wettbewerb um die Nominierung zwischen künftigen nationalen Führern. (...) Umfragen zeigen, dass Harris die bekannteste unter den potenziellen demokratischen Bewerber ist, aber sie hat zugleich eine Bilanz in der Biden-Regierung aufzuweisen, die Menschen mit gutem Recht unter die Lupe nehmen können (...) Und vielleicht noch wichtiger, sie ist nicht die einzige Option."

Die niederländische Zeitung "De Telegraaf" warnt, dass die Republikaner davon profitieren könnten, wenn Harris als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wird. "Donald Trump und sein Wahlkampfteam werden hoffen, dass tatsächlich Vizepräsidentin Kamala Harris als neue Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wird, wie es Joe Biden empfohlen hat. Die Republikaner könnten davon profitieren. Und zwar nicht so sehr, weil Wähler im linken Lager veranlasst werden könnten, für Trump zu stimmen, sondern weil dies ihre eigenen Anhänger noch stärker mobilisieren würde. Harris wirkt auf das konservative Amerika wie ein rotes Tuch auf einen Stier. In einem Land, in dem normalerweise die Hälfte der Wähler zu Hause bleibt, kann das den Unterschied ausmachen."

Das "Wall Street Journal" sieht die Vereinigten Staaten durch Bidens Rückzug in einer geschwächten Position, was Gefahren mit sich bringe. "Die Entscheidung von Joe Biden, sich aus dem Rennen um die Präsidentschaft zurückzuziehen, macht ihn praktisch zur lahmen Ente. Die Chancen standen ohnehin gut, dass er diesen Status am 5. November erreichen würde, aber Amerika steht nun ein fast 100 Tage längeres Interregnum bevor als in früheren Übergangszeiten. Wir konzentrieren uns zwar auf den Wahlkampf, aber die Welt macht sich Sorgen, welche Rolle Washington in den nächsten sechs Monaten spielen wird. Die Geschichte gibt darauf keine klare Antwort. Die in der Verfassung verankerte Regel, dass es immer nur einen Präsidenten gibt, ist für Amerikaner, geschweige denn für Ausländer, oft schwer zu begreifen. Die Gefahren, die sich aus der Ungewissheit darüber ergeben, wer das Sagen hat, werden durch einen schwachen Amtsinhaber, der nicht mehr zur Wiederwahl antritt, noch verschärft. Die Gegner der USA und sogar einige Verbündete werden Möglichkeiten sehen, ihre Interessen durchzusetzen. Auch können wir nicht ausschließen, was eine ansonsten verantwortungsbewusste, aber enttäuschte und möglicherweise verbitterte 'lame duck' mit dem Ende ihrer Amtszeit tun könnte."

Quelle: ntv.de, lar/dpa

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