Last Exit Covid? Wenn Biden aussteigen will, dann muss er sich beeilen


Öffentlich hat Biden bislang nicht erkennen lassen, dass ein Rückzug für ihn infrage kommt.
(Foto: AP)
US-Präsident Biden könnte seine Corona-Infektion als Vorwand nehmen, um Platz zu machen für Vizepräsidentin Harris. Genug Druck gibt es - aber kaum Hinweise, dass er einen Rückzug auch nur in Erwägung zieht. In zwei Wochen könnte es bereits zu spät sein.
Der Gedanke ist naheliegend: US-Präsident Joe Biden könnte seine Corona-Infektion nutzen, um gesichtswahrend aus dem Wahlkampf auszusteigen. Am Mittwoch musste der 81-Jährige seinen Wahlkampf unterbrechen, nachdem er positiv auf Covid getestet worden war. In ein paar Tagen könnte er also sagen: Leute, die Krankheit macht mir mehr zu schaffen, als ich anfangs dachte. Ich glaube, den stressigen Wahlkampf gegen Donald Trump sollte sich jemand anders antun - zum Beispiel Vizepräsidentin Kamala Harris.
Die Debatte über Biden hat seit dem katastrophalen TV-Duell und verstärkt nach dem Anschlag auf Trump Fahrt aufgenommen. Viele Demokraten befürchten, dass sie die Wahlen mit Biden an der Spitze verlieren werden - nicht nur die Präsidentschaftswahl, auch die Kongresswahlen, die ebenfalls am 5. November abgehalten werden. Derzeit erscheint ein Rückzug Bidens jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Zwar ist der Präsident einem Bericht der "New York Times" zufolge in den vergangenen Tagen "empfänglicher" für Argumente geworden, die für einen Rückzug sprechen. Aber Anzeichen für einen Kurswechsel gebe es nicht, schreibt die Zeitung.
Für einen Austausch des Kandidaten wäre es höchste Zeit. Denn schon an diesem Wochenende beschließt die Parteispitze der Demokraten möglicherweise, Biden in einer Art Umlaufverfahren offiziell zum Präsidentschaftskandidaten zu nominieren. Diese virtuelle Wahl könnte schon Anfang August stattfinden - also zwei Wochen vor Beginn des Parteitags, auf dem das normalerweise hätte passieren sollen.
"Ich traue denen in Ohio nicht"
Der Grund für die Eile ist vor allem ein Gesetz im Bundesstaat Ohio: Das legt fest, dass Präsidentschaftskandidaten bis zum 7. August nominiert sein müssen, wenn sie in Ohio auf dem Wahlzettel stehen sollen. Das republikanisch regierte Ohio hat diesen Termin zwar im Juni auf den 1. September verschoben. Aber das neue Gesetz soll erst am 1. September in Kraft treten. Tritt es nicht in Kraft, hätten die Demokraten die Frist versäumt. "Ich traue denen in Ohio nicht", sagte der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, dem Sender CBS News. Walz ist bei den Demokraten für die entsprechenden Regeln verantwortlich.
Der Plan der Parteispitze ist bei den Demokraten umstritten: Der Abgeordnete Jared Huffman aus Kalifornien etwa äußerte den Verdacht, eigentlich gehe es darum, die Debatte über Biden zu unterdrücken. Vertreter des Biden-Wahlkampfteams streiten das ab.
Tatsächlich gibt es Anlass für die Demokraten, beim Nominierungsprozess auf Nummer sicher zu gehen: Im April wurde bekannt, dass die konservative Heritage Foundation bereits Pläne hat, in umkämpften Bundesstaaten zu klagen, wenn die Demokraten Biden als Kandidaten ersetzen sollten. Ein Erfolg solcher Klagen gilt als unwahrscheinlich, schreibt die "Washington Post". Aber die Pläne deuten darauf hin, dass die Demokraten besser keine juristische Angriffsfläche bieten sollten.
Ohio war früher ein Swing State, ist mittlerweile aber republikanisch dominiert. Heißt: Die Wahlmänner und -frauen aus diesem Bundesstaat werden den Umfragen zufolge ohnehin an Trump gehen. Trotzdem ist kaum vorstellbar, dass die Demokraten freiwillig darauf verzichten, Biden hier zur Wahl zu stellen. Zumal dies die Chancen der Demokraten bei den zeitgleich stattfindenden anderen Wahlen schmälern würde.
Nur noch zwei Wochen bis zum 1. August
Je nachdem, ob man das Gesetz von Ohio oder den demokratischen Nominierungsparteitag als Stichtag sieht, muss die Frage bis zum 7. oder bis zum 19. August geklärt sein - dann beginnt der Parteitag. Anders gesagt: Wenn die Demokraten sich am kommenden Wochenende darauf festlegen, dass sie Ohio misstrauen, dann könnte Biden schon sehr bald zum Präsidentschaftskandidaten gemacht werden. Die virtuelle Nominierung, wenn es sie gibt, soll nicht vor dem 1. und nicht nach dem 5. August stattfinden, haben Walz und seine Kollegin Leah Daughtry in einem Brief an Parteitagsdelegierte mitgeteilt. Sie bestreiten zugleich, dass es ihnen darum geht, den Prozess zu beschleunigen. Es gehe darum, dass "unser Kandidat in allen Staaten auf dem Stimmzettel" steht.
Biden müsste dem Druck aus seiner Partei also nur noch zwei Wochen widerstehen, danach wäre die Entscheidung endgültig. Selbst ein freiwilliger Rückzug wäre dann keine echte Option mehr, weil völlig unklar ist, wie ein Ersatzkandidat oder eine Ersatzkandidatin dann nominiert werden sollte.
Auch wenn er "empfänglicher" für Argumente geworden sein sollte: Öffentlich hat der Präsident mehrfach klargemacht, dass er der Kandidat bleiben will. Biden habe den Fraktionschefs der Demokraten im Senat und im Repräsentantenhaus, Chuck Schumer und Hakeem Jeffries, gesagt, "dass er der Kandidat der Partei ist, dass er gewinnen will und sich darauf freut, mit beiden zusammenzuarbeiten, um seine 100-Tage-Agenda zu verabschieden und den arbeitenden Familien zu helfen", sagte ein Sprecher des Weißen Hauses laut "New York Times".
"Ich fühle mich gut"
In einem am Mittwoch ausgestrahlten Interview mit dem Sender BET sagte Biden auf die Frage, was ihn zu einem Sinneswandel bewegen könnte: "Wenn sich herausstellen würde, dass ich eine Krankheit habe, wenn jemand - wenn Ärzte zu mir kämen und sagen würden: Sie haben dieses und jenes Problem." Allerdings gibt es bislang keinen Hinweis, dass die Covid-Infektion ein solches Problem sein oder auch als solches Problem genutzt werden könne. Ebenfalls am Mittwoch wurde Biden positiv getestet. Auf dem Weg zum Flugzeug, mit dem er von Las Vegas nach Hause in Delaware flog, sagte er umstehenden Reportern: "Ich fühle mich gut."
Anfang Juli sagte Biden in einem TV-Interview, er steige nicht aus dem Wahlkampf aus - es sei denn, seine Mitarbeiter zeigten ihm Umfragen, die beweisen: "Es gibt keinen Weg für dich zum Sieg."
Das ist mittlerweile passiert: Biden wurden solche Umfragen gezeigt. Nancy Pelosi, die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses, sagte Biden nach einem CNN-Bericht, sie habe Umfragen gesehen, die zeigten, dass er Trump nicht besiegen könne. Mehr noch, diese Umfragen würden darauf hindeuten, dass sein Festhalten an der Präsidentschaftskandidatur die Chancen der Demokraten auch für den Senat (wo die Demokraten derzeit eine Mehrheit haben) und das Repräsentantenhaus (wo sie in der Minderheit sind) ruinieren würden. CNN zufolge holte Pelosi sogar einen langjährigen Biden-Berater mit in das Telefonat, damit dieser ihm die Umfragedaten erkläre. Bidens Antwort: Er habe andere Umfragen gesehen. Die zeigten, er könne gewinnen.
Das klingt, als komme ein Ausscheiden für Biden keinesfalls infrage. Aber es gibt auch andere Indizien, nicht nur den Bericht der "New York Times". CNN gegenüber beschrieb ein Biden-Berater die Entwicklung so: Anfangs habe Biden gesagt: "Kamala kann nicht gewinnen." Mittlerweile frage er: "Glaubt ihr, dass Kamala gewinnen kann?" Es sei immer noch unklar, wohin die Reise gehe, "aber er scheint zuzuhören".
Quelle: ntv.de