Politik

Truppe mit To-do-Liste "Überdehnt Pistorius die Bundeswehr, Herr Masala?"

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Boris Pistorius auf Besuch bei einer Truppenübung im litauischen Pabrade.

Boris Pistorius auf Besuch bei einer Truppenübung im litauischen Pabrade.

(Foto: IMAGO/photothek)

Die To-do-Liste der Bundeswehr hat es in sich: Bis Ende des Jahres noch 10.000 Ukrainer ausbilden, bis 2025 eine Heeresdivision für die NATO an den Start bringen und neuerdings auch noch eine 4000 Leute umfassende Brigade in Litauen stationieren. Kann das gelingen oder sind das schlicht zu viele Herausforderungen für eine Truppe, die seit Jahren notorisch unterfinanziert ist und kaum genug funktionierendes Gerät zum Üben hat? Sicherheitsexperte Carlo Masala gibt ntv.de Antworten.

ntv.de: Herr Masala, überdehnt der Verteidigungsminister die Bundeswehr?

Carlo Masala: Letzten Endes hat die Bundeswehr immer gezeigt, dass jeder Auftrag, den sie bekam, machbar war. Die Frage ist: Wie hoch ist der Preis? Klar ist, dass auch schon vor der Frage der permanent präsenten Brigade in Litauen die Division für die NATO ein extremes Problem darstellte. Diese materiell und personell auszustatten, ist eine riesige Herausforderung für das deutsche Heer. Nun kommen die anderen Aufgaben noch dazu. Und jetzt haben wir ja zum Beispiel auch diese Übung in Australien.

Ab heute übt dort Militär der USA, Australiens, aus Fidschi, Indonesien, Japan, und auch einige Europäer sind dabei. Die Bundeswehr nimmt mit etwa 240 Personen teil.

Man sagt, das sei so eine kleine Übung. Aber logistisch ist es eine Herausforderung, auch einen nur kleinen Teil des deutschen Heeres nach Australien zu verlegen, um dort zu üben. Das heißt nicht, dass man all diese Aufgaben nicht meistern kann. Aber letzten Endes bleibt die Frage: Wie hoch ist der Preis für den Rest der Bundeswehr, also für den Rest des deutschen Heeres? Deshalb würde ich nicht davon sprechen, dass Pistorius die Bundeswehr überdehnt. Aber vielleicht sollte man sagen: Lasst uns doch erstmal die Division auf die Beine stellen. Das ist eine Hauptverpflichtung, die wir haben.

Der renommierte Sicherheitsexperte Carlo Masala ist Professor an der Universität der Bundeswehr in München und Co-Host des Podcasts "Sicherheitshalber", der Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik für Laien verständlich bespricht.

Der renommierte Sicherheitsexperte Carlo Masala ist Professor an der Universität der Bundeswehr in München und Co-Host des Podcasts "Sicherheitshalber", der Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik für Laien verständlich bespricht.

Als der Bundeskanzler vor einem Jahr die Brigade für Litauen zugesagt hat, war sie noch gedacht als halb dort und halb in Deutschland stationiert. Dann hat die litauische Seite viel Druck gemacht. Hätte man dem standhalten müssen?

Mal ganz ehrlich: Es ist Litauen. Dort war ich des Öfteren, und ich kann den Wunsch der Litauer verstehen, diese Brigade in permanenter Präsenz zu haben. Nur letzten Endes ist es ja so: Wenn man die ursprünglichen Verteidigungspläne der NATO, die sogenannten "regional defence plans" mal durchschaut, vor allem den für das Baltikum, dann hätten die Litauer ihre Brigade ja bekommen, sie hätten sie nur nicht permanent bekommen.

Sondern wie würde es nach NATO-Verteidigungsplan ablaufen?

Der "regional defence plan" sieht folgendes vor: Wir erwarten - als Beispiel - einen Angriff auf das Baltikum am 4. August. Dann wird zwölf Tage vorher aktiviert und damit ist am 4. August eine Brigade in Litauen. Das ist die NATO-Idee. Wir schaffen Material nach vorn und die Verlegung erfolgt zwölf Tage vor dem Datum, zu dem nach unseren Kenntnissen ein Angriff stattfinden wird. Das heißt, in dem Moment, wo ein Angriff erfolgt, ist auch eine Brigade da. Diese NATO-Planungen, in die die Litauer natürlich auch eingebunden waren, sahen eine größere Flexibilität für den SACEUR vor, den Oberbefehlshaber für alle NATO-Operationen.

Eine fest stationierte Brigade ist nun genau das nicht: Sie ist nicht flexibel. Wie sehr muss dieses Abkommen zwischen Deutschland und Litauen also die NATO stören?

Rob Bauer, der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses hat letzten Endes gesagt: Na gut, dann sollen die Deutschen das machen. Er hat es diplomatisch ausgedrückt, ich sage es mal in meinen Worten: Happy sind wir nicht, aber okay, was sollen wir tun? Es konterkariert ein bisschen die Idee dieser regionalen Verteidigungspläne. Es ist ein bilaterales Ding. Natürlich räumt Pistorius da etwas aus dem Weg, kommt vielleicht auch den Polen zuvor, die ja lauthals angekündigt hatten, sie seien bereit, in Litauen zu stationieren. Allerdings sind die Polen bislang nicht dadurch hervorgetreten, dass sie eine Präsenz außerhalb der polnischen Grenzen haben. Das hätte ich ganz gern mal gesehen. Die jetzige Lösung mit der ständigen Brigade der Bundeswehr ist meines Erachtens suboptimal. Die NATO hat grünes Licht dafür gegeben, dann ist das in Ordnung. Aber es hätte nicht sein müssen.

Kann man noch etwas konkreter fassen, wie stark die Bundeswehr durch diese Brigade in Litauen belastet wird?

Wir müssen 4000 Leute bewegen und permanent dort stationieren. Eine Brigade plus ihre Familien. Das ist etwas, das die Bundeswehr so noch nie gemacht hat. Aber vor allem: Die Kräfte sind dort gebunden und fehlen woanders. Das macht unflexibel. Darum geht es.

Aber die üben ja dort auch. Ist es für uns so entscheidend, ob sie das in Litauen oder in Munster tun?

Natürlich üben die dort, aber nochmal: Flexibilität. Die grundsätzliche Idee der NATO war, im Verteidigungsfall mehr Flexibilität für den SACEUR zu erreichen. Wenn der entscheidet, dass diese Brigade besser in Polen stationiert wird zur Abwehr eines Angriffes, dann ist sie nicht da. Dann steht sie in Litauen, gebunden mit ihrem Auftrag. Das ist schon groß, das ist eine enorme Belastung.

Die Stationierung ist auf freiwilliger Basis geplant, man bräuchte also 4000 Kräfte, die bereit sind, ihren Lebensmittelpunkt nach Litauen zu verlegen. Kann das klappen?

Das auf freiwilliger Basis zu machen, halte ich für Quatsch, weil es hier nicht um einen Auslandseinsatz geht, sondern um Landes- und Bündnisverteidigung, also die Kernmission der Bundeswehr. Ich habe ein Problem, mir vorzustellen, wie man das auf freiwilliger Basis macht. Außerdem müssen sie ja auch irgendwie versuchen, im Kern einen generischen Verband dahin zu verlegen und nicht irgendeine zusammengewürfelte Truppe, die sich dort erst über Übungen zusammenfindet. Die Frage ist, wie viele Leute würden kündigen, weil sie keine Lust hätten, drei Jahre nach Litauen zu gehen.

Wir erleben nun seit Februar 2022 einen Paradigmenwechsel mit neuer Bedeutung der Bundeswehr, auch neuer Verantwortung. Wird das für die Soldatinnen und Soldaten auch konkret, wie ist Ihr Eindruck?

Im Rahmen der NATO entwickeln wir wieder Verteidigungspläne, die von einem russischen Angriff ausgehen. Letzten Endes, glaube ich, ist jedem bewusst, dass Landes- und Bündnisverteidigung nun wieder Realität wird. Die ganze Bundeswehr richtet sich darauf aus. Nehmen Sie die letzte Rede des Generalinspekteurs.

Carsten Breuer sagte, "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen", sei nicht mehr genug. Für glaubwürdige Abschreckung müsse die Bundeswehr vor allen Dingen "gewinnen wollen. Weil wir gewinnen müssen".

Kämpfen können. Der Wille, Kriege zu gewinnen. Das ist ein Paradigmenwechsel, natürlich. Da gibt es viele Probleme, das nach unten zu vermitteln, aber letztlich ist das mittlerweile jedem in der Bundeswehr bewusst.

"Gewinnen wollen" ist ein wichtiger Faktor, es geht aber auch um "gewinnen können". Wie passt das zum Wehretat, der bei 50 Milliarden eingefroren ist? Wenn die 100 Milliarden Sondervermögen in drei Jahren aufgebraucht sind, müsste der Etat aus dem Stand auf 70 bis 80 Milliarden steigen, wenn wir das NATO-Minimum, zwei Prozent der Wirtschaftskraft, schaffen wollen. Ist das vorstellbar?

Der Punkt ist folgender: Sie werden mit dem Sondervermögen Sachen anschaffen, die hohe Folgekosten verursachen werden. All diese neuen Geräte, die F-35 Kampfjets etwa, müssen betrieben werden, gewartet werden, untergestellt werden, betankt werden. Und wenn Sie dann 2025 bei den 50 Milliarden Etat bleiben, dann wird das ohnehin schon existierende Delta zwischen dem, was Sie an Geld brauchen, um das Level zu halten, und dem, was an Geld zur Verfügung steht, noch größer. Das ist das Problem.

Und wie ist dem beizukommen?

Ganz einfach gesprochen: Entweder gibt es in der nächsten Legislatur nochmal ein Sondervermögen oder der Verteidigungsetat muss deutlich erhöht werden. Falls das nicht möglich ist, muss die Truppe verkleinert werden. Die Bundeswehr gibt zwei Fünftel ihres Etats für Personalkosten aus. Also das Delta im Verteidigungshaushalt kann man niemals schließen, auch in den USA besteht das, aber es muss zumindest verkleinert werden, es darf nicht noch wachsen.

Ist es dann vielleicht eine schlaue Strategie von Boris Pistorius, jetzt möglichst viele Verpflichtungen einzugehen, mit denen er in Zukunft argumentieren kann, wenn es um mehr Geld für den Wehretat geht?

Er ist ja gescheitert, er wollte zehn Milliarden mehr haben vom Bundesfinanzminister und bekommt nun nur zwei Milliarden mehr, um die gestiegenen Personalkosten auszugleichen. Immerhin - kann man sagen, andere Minister bekommen gar keine Erhöhung und haben dieselbe Steigerung bei den Personalkosten, die gilt schließlich für alle Bedienstete des Bundes. Aber Verpflichtungen als Argument - das ist keine gute Strategie. Nicht, dass ich meine, dass es überhaupt eine Strategie wäre. Aber sie wäre auch nicht gut, weil sie davon ausginge, dass man sich in der nächsten Legislatur durch Sachargumente breitschlagen lässt. Wir haben aber in den vergangenen 15 Jahren gesehen, dass Sachargumente nie geholfen haben. Das Sachargument, dass die Bundeswehr unterfinanziert ist, gibt es seit 20 Jahren. Das hat keinen Finanzminister und keine Bundeskanzlerin interessiert. Falls es eine Strategie ist, viel Glück. Ich bin mir nicht sicher, dass sie aufgeht.

Gäbe es aus Ihrer Sicht eine gute Strategie?

Keine Strategie, aber das einzig Sinnvolle ist, dass der Bundeskanzler zum Finanzminister sagt: Geld her!

Mit Carlo Masala sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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