Politik

Frank Sauer zum Ramstein-Treffen "Viel mehr Druck als derzeit geht nicht"

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Wenn man sich in Ramstein doch noch auf "Leopard"-Lieferungen einigt, habe Olaf Scholz bis dahin maximal viel Porzellan zerschlagen, sagt Sicherheitsexperte Frank Sauer.

(Foto: IMAGO/photothek)

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Zum Start des Treffens der Ukraine-Unterstützer in Ramstein hat Berlin sich in eine schwierige Lage manövriert. "Keine Alleingänge" war des Kanzlers Mantra. Doch mit der "Leopard"-Blockade stehe er nun tatsächlich allein da, stellt Frank Sauer im Gespräch mit ntv.de fest. Der Sicherheitsexperte, der an der Universität der Bundeswehr in München lehrt, kann sich Olaf Scholz' Blockade nur mit einem Motiv erklären: dass im Falle einer - womöglich nuklearen - Eskalation möglichst nichts auf Deutschland lastet.

ntv.de: Wie stark ist Deutschland in Ramstein unter Druck?

Frank Sauer: Viel mehr Druck als derzeit geht gar nicht. Aber da sich die Sachlage dauernd ändert, muss man stets die nächste Wendung erwarten. Stand jetzt wirkt es jedenfalls so, als hätte sich Olaf Scholz ins Abseits manövriert. Am Mittwoch hieß es, dass Berlin Lieferungen des "Leopard 2" und auch Exportgenehmigungen für andere Länder davon abhängig machen würde, dass die USA Abrams-Panzer liefern. Das allein war schon verwunderlich, aber vielleicht noch zu erklären, wenn man die Maxime, Alleingänge zu vermeiden, konzeptionell wirklich sehr weit fasst. Nur haben die USA das eben abgelehnt. Sie werden - das ist der aktuelle Stand - keine Abrams liefern.

Wenn ich kurz einhaken darf: Diese Bedingung, die Olaf Scholz den USA gestellt hat, ist die seinem Verständnis von "Abstimmung mit den Partnern" geschuldet? Dass unbedingt alle dasselbe liefern müssen? Heißt Abstimmung nicht eigentlich, dass man tut, was man für richtig hält, aber eben miteinander abgestimmt und nicht allein?

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Frank Sauer forscht an der Universität der Bundeswehr in München und ist Experte für Sicherheitspolitik, über die er regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" diskutiert.

Schon vor Monaten haben die USA damit begonnen, klar zu sagen, dass wir in Europa gerne eigenständig tätig werden können und natürlich nicht immer alle exakt dasselbe tun müssen. Abstimmung würde bedeuten: Alle sind sich einig, dass jeder im vereinbarten Rahmen etwas tut. Man kann eigentlich inzwischen nur noch zu dem Schluss kommen, dass das Diktum, Alleingänge vermeiden zu wollen, nicht die eigentliche Motivation hinter den Entscheidungen im Kanzleramt ist.

Woraus schließen Sie das?

Daraus, dass Olaf Scholz nun eben doch einen Alleingang macht. Polen sagt seit Tagen ganz eindeutig, "Wir wollen liefern", aus Finnland kommen schon eine Weile Signale, "Wir wollen liefern", die Briten haben am Wochenende erklärt, "Wenn es gar nicht anders geht, suchen wir noch 14 Challenger zusammen". Und auch Frankreich prüft die Lieferung von 12 Leclerc. Gestern dann die Tallin-Erklärung, in der Estland, Großbritannien, Polen, Lettland und Litauen sowie die Vertreter von Dänemark, der Tschechischen Republik, der Niederlande und der Slowakei klar sagen: Wir müssen gemeinsam auch Kampfpanzer liefern. Das heißt: Alle agieren jetzt, und viele beknien den deutschen Kanzler um Exportgenehmigungen für "Leopard 2", und Scholz sagt, "keine Alleingänge", während er durch seine Verweigerung exakt das macht: einen Alleingang.

Wenn "keine Alleingänge" also gar nicht als Motiv hinter seinem Alleingang stehen kann, was steht da stattdessen?

Die Master-Variable zur Erklärung von Scholz' Verhalten ist die Sorge vor Eskalation. Scholz zielt darauf ab, dass die Verantwortung für eine Eskalation - womöglich gar Putins Einsatz einer Nuklearwaffe - im Nachhinein möglichst nicht auf Deutschland lastet. Alle anderen Begründungen, den "Leopard" nicht zu liefern, sind ja inzwischen auch in sich zusammengefallen: Verfügbarkeit, Logistik, Instandsetzung, Ausbildung, das ist alles widerlegt. Bei anderen Waffensystemen klappt es auch längst. Übrig blieb stets: Wir machen keine Alleingänge - und auch das stimmt jetzt nicht mehr.

Viel bleibt wirklich nicht mehr übrig.

Natürlich gibt es auch einen erklecklichen Anteil in der deutschen Bevölkerung, die Scholz' Vorgehen als Besonnenheit wahrnehmen und gutheißen. In der Frage der Kampfpanzer ist die deutsche Bevölkerung laut aktueller Umfragedaten ziemlich exakt gespalten. Dieses innenpolitische Motiv spielt natürlich auch eine Rolle. Das ist komplett nachvollziehbar und in einer Demokratie richtig.

Reicht aber nicht aus?

Als deutscher Kanzler muss Scholz natürlich auch die Folgen seines Verhaltens auf der internationalen Bühne beachten. Was heißt das für das transatlantische Bündnis und für die Beistandsverpflichtung in der NATO? Was bedeutet es für die europäische Sicherheitsarchitektur? Welchen Flurschaden richten wir in Mittel- und Osteuropa an? Ist die aktuelle Situation vereinbar mit dem Führungsanspruch in Europa, den er für das Zeitenwende-Deutschland formuliert hat?

Könnte das Interesse an "Leopard"-Lieferungen für Deutschland auch von Nutzen sein?

Würde man mal sehr kaltschnäuzig strategisch denken, dann wären die "Leopard"-Panzer für Deutschland ein guter Hebel, bezogen auf Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik und die europäische Sicherheit. Aus dieser Perspektive wäre es ein Glücksfall, dass alle, die das Gerät nutzen und es jetzt weggeben wollen, neue "Leopards" nachkaufen müssen. Deutschland könnte mit Rüstungskooperation Einfluss geltend machen. Aber ob nach dieser Woche viele Nachbarländer zukünftig noch "Leopard" kaufen wollen?

Wie viel Musik ist in Ramstein noch drin, bezogen auf die Kampfpanzer-Frage?

Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Dinge sich, sollten wir heute Abend wieder telefonieren, erneut gedreht haben werden. Dass der Konflikt in diesem Zustand verharrt, ist nur schwer vorstellbar. Man muss nochmal klar sagen: Olaf Scholz hat gesagt: "Ich biete 'Leopard'-Panzer nur unter einer Bedingung", und die USA haben zu dieser Bedingung "Nein" gesagt. Die Leidtragende ist die Ukraine. Es wird eine Lösung gefunden werden.

Polen deutet an, dass es "Leopards" auch ohne Genehmigung liefern würde. Denkbar?

Nach meinem Kenntnisstand hat Polen keinen Exportantrag gestellt. Zudem wird in Polen auch Wahlkampf mit dem Thema gemacht. Andererseits kann niemand im Extremfall Polen daran hindern, die Panzer wirklich auf Waggons zu laden und in die Ukraine zu fahren. Politisch wäre das ein Eklat, und die deutsch-polnische Rüstungskooperation wäre im Eimer. Mir ist nicht klar, was damit gewonnen ist; dass wir es überhaupt so weit kommen lassen, dass solche Aktionen im Raum stehen. Das Thema hätte man längst abräumen können.

Anfang der Woche konnte man noch damit rechnen, dass der "Leopard" in Ramstein durchgewunken wird.

Und wenn das dann am Ende passieren wird, hat Deutschland es geschafft, auf dem Weg dahin ohne Not maximal viel Porzellan zu zerdeppern. Ich verstehe es nicht, ehrlich.

Wird dieses Thema Ramstein dominieren? Die Munitionsfrage wäre es ja auch wert, erörtert zu werden.

Dass Deutschland das Notwendige immer erst dann tut, wenn es absolut nicht mehr anders geht, kostet viel politische Bandbreite, wodurch die langfristige Planung auf der Strecke bleibt. Der Munitionsverbrauch der Ukraine ist exorbitant, darum wäre es dringend notwendig, in der Koalition abzustimmen, wie wir in den nächsten sechs Monaten den Nachschub sichern können. Wir müssten also mehr darüber reden, was wir für die Hilfe der Ukraine in einem halben Jahr oder einem Jahr zu tun gedenken. Ich rechne damit, dass die USA in Ramstein die Lieferung von Stryker-Radschützenpanzern ankündigen werden und die "Ground-Launched Small Diameter Bomb" (GLSDB). Schweden liefert Haubitzen und überraschend auch 50 Schützenpanzer mit 40 mm-Kanone. All das bringt der Ukraine dringend benötigte Fähigkeiten. Aber überschattet wird das Ganze von der "Leopard"-Frage sein.

Mit Frank Sauer sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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