"Zu klein und eng gedacht" Vorschläge zu Sondervermögen und Schuldenbremse fallen durch
04.03.2025, 09:47 Uhr Artikel anhören
In Deutschland gibt es einen hohen Sanierungsbedarf in der Infrastruktur.
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Wie können die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft finanziert werden? In Deutschland werden aktuell sowohl Sondervermögen als auch eine Reform der Schuldenbremse diskutiert. Wirtschaftsweise Schnitzer mahnt: "Es braucht ein klares Signal an Moskau und Washington."
Die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger hat die Überlegungen von Union und SPD zurückgewiesen, die Bundeswehr mit einem erneuten Sondervermögen zu stärken. "In unfriedlichen und rauen Zeiten ist nichts so teuer wie unser Land und unsere Gesellschaft nicht zu schützen", sagte Brugger den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Es ist klar, dass ein oder auch zwei gedeckelte Sondervermögen völlig unzureichend und zu klein und eng gedacht sind."
Die Grünen-Politikerin warnte: "Was überfällig ist und nach wie vor fehlt, sind Geld, Personal und der entschlossene politische Wille, um unsere Gesellschaft ausreichend zu schützen." Das gehe nur mit einer umfassenden Reform der Schuldenbremse, sagte Brugger. "Wir erleben historische Zeiten und einen dramatischen Umbruch auf der Weltbühne, das haben nicht alle und offensichtlich auch die beiden Sondierungsteams bisher noch nicht in voller Tragweite erfasst."
Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Sven-Christian Kindler, äußerte sich ähnlich: "Neue Sondervermögen wären Stückwerk und Flickschustereien", sagte Kindler dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform der Schuldenbremse. Denn wir müssen die großen Bedarfe beim Klimaschutz, der Erneuerung der Infrastruktur, der wirtschaftlichen Transformation, der Bildung sowie der inneren und äußeren Sicherheit verlässlich und dauerhaft finanzieren." Kindler fügte hinzu: "Es geht jetzt nicht nur darum, sich über die nächste Legislaturperiode zu retten. Nach ein paar Jahren sind die Sondervermögen wieder aufgebraucht. Dann haben wir die gleiche Situation." Eine Reform der Schuldenbremse sei gesetzestechnisch im Übrigen nicht komplizierter.
Die grüne Außenpolitikerin Jamila Schäfer sagte: "Spätestens seitdem sich Donald Trump auf Putins Seite gestellt hat, ist klar: Wir können uns diese Schuldenbremse nicht mehr leisten. Ich glaube, alle vernünftigen Leute in den demokratischen Parteien von CDU bis Linke sind in der Lage, das zu verstehen", so die Grünen-Abgeordnete. "Damit gibt es jetzt eine historische Chance, mit einer verfassungsändernden Mehrheit aus Union, SPD, Grünen und Linken die Demokratie und Sicherheit in Deutschland und in Europa zu stärken."
Wirtschaftsweise Schnitzer fordert Einschnitte bei Rente
Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, mahnt angesichts der laufenden Debatte: "Es braucht ein klares Signal an Moskau und Washington, dass Europa, dass Deutschland, die Ukraine nicht alleine lassen und dass wir unsere Verteidigungsbereitschaft schnell und massiv stärken. In der aktuellen Situation wird dies nur über ein neues Sondervermögen Verteidigung (oder ein Aufstocken des Sondervermögens Bundeswehr) im alten Bundestag schnell genug rechtssicher umzusetzen zu sein", sagte Schnitzer der "Rheinischen Post". "Wenn man damit Straßen, Häfen und Brücken im großen Umfang sanieren will, und auch das gehört zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft, dann reden wir nicht mehr von 300 Milliarden bis 2030, die notwendig wären, um drei Prozent Verteidigungsausgaben zu sichern, sondern von viel mehr."
Ergänzend fordert Schnitzer eine dauerhafte Reform der Schuldenbremse: "Wir brauchen eine dauerhafte Lösung und deswegen eine stabilitätsorientierte Reform der Schuldenbremse, wie wir sie als Sachverständigenrat vorgeschlagen haben. Nur so haben wir dauerhaft mehr Spielraum für schuldenfinanzierte Ausgaben. Verknüpft werden sollte dies mit verbindlichen Vorgaben für Verteidigung, Infrastruktur und Bildung, um sicherzustellen, dass die Kredite nicht für Wahlgeschenke genutzt werden."
Die Münchener Ökonomin mahnte: "Neue Verschuldungsspielräume für Rentenerhöhungen zu nutzen, wäre grundverkehrt." Im Gegenteil fordert sie Einschnitte bei der Rente: "Wir kommen um strukturelle Reformen bei der Rente und Krankenversicherung nicht umhin. Das ist sowieso angezeigt und würde nachhaltig die Sozialversicherungen und die Staatsfinanzen stützen."
Bundesbank bringt eigenen Reformvorstoß vor
Die Bundesbank schlägt derweil eine Aufweichung der Schuldenbremse vor, mit der Bund und Länder bis 2030 mehr als 220 Milliarden Euro zusätzlich an Krediten aufnehmen könnten. Konkret soll der Kreditspielraum des Bundes von 0,35 Prozent auf 1,4 Prozent des BIP erhöht werden, sollte die Schuldenquote unter 60 Prozent liegen. Das geht aus einem Entwurf für einen Beschluss des Vorstands der Bundesbank hervor, der im Laufe des Tages beschlossen werden soll und Table.Briefings vorliegt.
Dabei dürfen 0,9 Prozent des BIP nur für Investitionen verwendet werden. Es gehe um einen "stabiliätsorientierten Weg für höhere staatliche Investitionen", heißt es in dem Text. Mit dem Reformvorstoß wären notwendige Maßnahmen zur Stärkung von Infrastruktur und Verteidigung möglich, aber zugleich stabile Staatsfinanzen im Einklang mit den europäischen Regeln abgesichert. Liegt die Schuldenquote über der 60-Prozent-Marke, sind dem Text zufolge nur noch 100 Milliarden Euro an zusätzlicher Kreditaufnahme bis 2030 möglich. Die Bundesbank spricht sich in dem Entwurf auch für eine grundsätzliche Reform der Schuldenregel aus, diese sei wegen der besseren Planbarkeit einem Sondervermögen vorzuziehen, heißt es.
Ökonom Feld verweist auf Länderspielraum
Der Freiburger Ökonom Lars Feld lehnt unterdessen ein Sondervermögen für die Infrastruktur ab. "Von einem weiteren Sondervermögen für die Infrastruktur halte ich nichts. Schon in der mittelfristigen Finanzplanung von Christian Lindner waren genug Mittel für die Infrastruktur eingeplant", sagte Feld der "Rheinischen Post". Feld war Berater von FDP-Chef Lindner in dessen Zeit als Finanzminister.
Zugleich betonte der frühere Chef der Wirtschaftsweisen: "Die Bundesregierung muss hinsichtlich der Infrastrukturausgaben die föderale Aufgabenteilung im Blick haben. Die Städte und Gemeinden sind nicht durch die Schuldenbremse gebunden und können sich in Höhe ihrer Investitionen verschulden, tun dies aber zu wenig, weil sie mit Aufgaben im Sozialbereich und konsumtiven Aufgaben von Bund und Ländern überlastet werden. Das muss sich ändern."
Auch bei den Ländern sieht Feld Spielraum: "Es wäre zudem ganz gut, wenn CDU/CSU den Ländern in Sachen Schuldenbremse nicht auf den Leim gingen. Die Länder haben mehr Spielräume, als die strukturelle Null des Grundgesetzes andeutet. Sie haben die Möglichkeit zur Konjunkturbereinigung und mehr Spielraum bei Sondervermögen als der Bund."
Quelle: ntv.de, fzö