US-Eklat bei Miosga "Trump ist an Putin gescheitert - und das Bauernopfer ist Selenskyj"


Die Gäste bei Caren Miosga sind an diesem Abend geschlossen besorgt um die Sicherheit Europas.
(Foto: ARD/Thomas Ernst)
Ursprünglich wollen Trump und Selenskyj einen Deal über Rohstoffe unterzeichnen. Stattdessen kommt es vor versammelter Weltpresse zum diplomatischen Eklat. Sicherheitsexpertin Major macht darin eine eklatante Niederlage für den US-Präsidenten aus - und eine immens gestiegene Gefahr für Europa.
"Durch die Entscheidung der Amerikaner, sich zurückzuziehen und ein Russland, das lernt, dass es mit Kriegführen durchkommt, ist das Risiko für einen weiteren Krieg in Europa gestiegen." Der Satz von Sicherheitsexpertin Claudia Major klingt drastisch. Doch er trifft die Stimmung bei Caren Miosga an diesem Abend im Kern. Die Sorge um die Sicherheit dieses Kontinents zieht sich wie ein roter Faden durch die Talkrunde. Nach dem Eklat im Weißen Haus am vergangenen Freitagabend müsse Europa nicht nur anerkennen, dass sein wichtigster Verbündeter weggefallen ist, sondern dass er selbst "zum Sicherheitsrisiko wird". Widerspruch gibt es dabei nicht, im Gegenteil. Für Grundsatzdebatten, gar politische Forderungen gibt es weder Raum noch Zeit. Nicht an diesem Abend im Studio und vor allem nicht - das machen die Gäste deutlich - in dem sich gerade neu konstituierenden politischen Berlin.
Was am Freitag in Washington passierte, war beispiellos: US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance gingen vor der versammelten Weltpresse verbal auf Wolodymyr Selenskyj los. Sie bezichtigten den ukrainischen Präsidenten, "einen dritten Weltkrieg zu riskieren", warfen ihm etliche Male fehlende Dankbarkeit vor, schmissen ihn am Ende aus dem Oval Office. Vor allem aber setzte Trump Selenskyj die Pistole auf die Brust: Entweder Kiew akzeptiert einen von Washington diktierten und stark umstrittenen Deal - "oder wir sind raus".
Was diese Eskalation auf dem diplomatischen Parkett und Trumps Drohung für Konsequenzen haben, möchte Caren Miosga an diesem Abend von ihren Gästen wissen. So drohen nicht nur der Ukraine verheerende Folgen. Das Szenario, dass sich die USA von ihrer führenden politischen und militärischen Rolle im Westen zurückziehen, ist konkreter denn je. Steht Europa nun also allein da? Und: Welche Rolle kann - und muss - Deutschland in der neuen Sicherheitsarchitektur dieses Kontinents übernehmen?
Für Trump "ist alles Business"
Sie habe die Aufnahmen aus dem Weißen Haus zweimal unterbrechen müssen, sagt Außenministerin Annalena Baerbock. Kaum zu ertragen sei der Umgang der US-Regierung mit dem ukrainischen Präsidenten gewesen. Die Szene unterstreiche alles, "was wir aus Trump eins wissen", sagt die Grünen-Politikerin mit Blick auf Trumps erste Amtszeit. "Eine Politik, die bewusst auf Disruption setzt." Gerade deswegen dürfe man jedoch nicht den Fehler machen, das Geschehen von Freitagabend mit den seit Jahrhunderten geltenden Regeln der Außenpolitik erklären zu wollen. Denn, so Baerbock, "der amerikanische Präsident spielt ein ganz anderes Spiel".
Eines, in dem vor allem Geschäfte zugunsten der eigenen Interessen im Mittelpunkt von Außenpolitik stehen, wie Frederik Pleitgen deutlich macht. "Für ihn ist alles Business." Der Journalist und CNN-Korrespondent erwähnt den geplanten und nun vorerst geplatzten Deal zwischen Washington und Kiew. Selenskyj war ursprünglich in die USA gereist, um eine Vereinbarung über Rohstoffe wie Lithium, Titan und seltene Erden im Gegenzug für geleistete militärische US-Hilfe zu unterzeichnen. Das Problem: Von Sicherheitsgarantien, wie sie die Ukraine zur Absicherung gegen Russland dringend benötigt und einfordert, war in der Vereinbarung keine Rede. Selenskyj hatte aus diesem Grund bereits eine erste Version des Deals verweigert. Im Oval Office eskalierte die Situation, als Selenskyj das Thema erneut anriss.
"Die USA wollen einen schnellen Deal und Ruhe, und Selenskyj will eine Lebensversicherung", sagt Sicherheitsexpertin Claudia Major in diesem Zusammenhang. Das amerikanische Argument, mit amerikanischen Arbeitern, die zur Förderung seltener Erden auf dem Gebiet der Ukraine sind, sei das Land sicher, reiche Kiew mit Blick auf den Aggressor Putin kaum aus. Im Grunde hätte das Vorhaben "gar nicht gut gehen können", bilanziert die Expertin. Zu fundamental sei der Unterschied beider Interessen.
"Selenskyj, dem Tyrann, die Stirn geboten"
Major sieht in dem diplomatischen Eklat vor allem eine eklatante Niederlage für den amerikanischen Präsidenten. So könnte man überspitzt formuliert sagen: "Trump ist an Putin gescheitert." Sein Versprechen aus dem Wahlkampf, den Krieg in der Ukraine innerhalb von 48 Stunden zu beenden, habe er nicht einlösen können. "Und das Bauernopfer, das dafür herhalten muss, ist Selenskyj." Major erklärt: Trump habe keinen Hebel, um den Druck auf Putin weiter zu erhöhen. "Wenn er aber nicht als Versager dastehen will, dann muss jemand schuld sein. Das ist de facto Selenskyj."
Genau diese Botschaft trage das Weiße Haus nach Freitag mit aller Kraft an die US-amerikanische Bevölkerung, sagt Pleitgen. Trump-Verbündete pochen in Talkshows, Podcasts und sozialen Medien auf eine Entschuldigung, gar einen Rücktritt von Selenskyj. Die Message in den USA sei eindeutig, so der Experte: "Donald Trump hat Selenskyj, dem Tyrannen aus der Ukraine, die Stirn geboten" - ein Ausdruck seiner harten Außenpolitik zugunsten der Amerikaner.
Im Gegensatz zum ukrainischen Präsidenten kommt der Aggressor Russland in den Darstellungen des Weißen Hauses weitgehend gut weg. Und nicht nur das: Forderungen an den Kreml gibt es aus Washington bisher so gut wie nicht, stattdessen stellt Trump Moskau die Rückkehr an den internationalen Verhandlungstisch in Aussicht. Pleitgen erinnert an die russisch-amerikanischen Treffen in Riad und Istanbul vor wenigen Wochen, bei denen die USA mit Wirtschaftsbeziehungen, Investitionen und einem gemeinsamen Projekt in der Arktis lockten. Die Russen "konnten ihr Glück kaum glauben", berichtet der Experte. Schon nach dem ersten Telefonat zwischen Trump und Putin seien sie hinsichtlich der weitreichenden Einlassungen aus Washington "komplett von der Rolle" gewesen. All dies sei auch Ausdruck einer gewissen "Hochachtung", die Trump vor Putin und seiner Art der Regierungsführung habe.
USA "auf der richtigen Seite halten"
Vor allem aber werde Trumps generelles Verständnis von internationalen Beziehungen deutlich - und damit auch die Gefahr für Europa, erklärt Major. "Die Großmächte, Russland und die USA, setzen sich an einen Tisch und klären die wichtigen Fragen." Das bedeute: "Nicht nur die Ukrainer, auch wir Europäer sind Verhandlungsmasse." Europa müsse nun jene schmerzhafte Schlussfolgerung ziehen, die es lange nicht sehen wollte. "Die USA sind kein Verbündeter mehr". Sie entfernen sich von gemeinsamen demokratischen Werten, nähern sich stattdessen Russland an. Der einstige Anführer der westlichen Welt "ist keine Schutzmacht mehr", betont Major. "Es ist eher ein Gegner."
Ist Trump der Autokratie tatsächlich bereits näher als der Demokratie, als Basis der transatlantischen Beziehungen, will Miosga von Armin Laschet wissen. Man müsse zumindest "alles tun, ihn auf der richtigen Seite zu halten", betont der CDU-Außenpolitiker. Ihm zufolge sind die Amerikaner als Verbündete schon wegen Trumps Opportunismus nicht verloren. Sollten die Pläne der US-Regierung nicht aufgehen, könnte sich die Lage schnell wieder drehen. Auch müsse es das Ziel sein, "mit Trump wieder in den Dialog zu kommen". Entwarnung für Europa bedeute dies jedoch keineswegs. Vielmehr müsse Europa endlich unabhängiger werden. Das habe man sich bereits vor 25 Jahren versprochen, allerdings nur spärlich umgesetzt.
Laschet beschreibt einen Zweiklang: Zunächst brauche es "konkrete Angebote" aus Europa für einen Waffenstillstand - etwa so, wie es jüngst durch den britisch-französischen Vorstoß geschehen ist. Gemeinsam schlagen Emmanuel Macron und Keir Starmer einen einmonatigen Waffenstillstand vor. Eine "Koalition der Willigen" nannte der britische Premier das Vorhaben, das die europäische Antwort auf Trumps Ukraine-Politik sein soll.
"Hoffen" ist keine Option mehr
Anschließend, fährt Laschet fort, gehe es um die Verteidigungsfähigkeit des Landes - "weit über die Ukraine hinaus". Dem Außenpolitiker schwebt etwa eine europäische Verteidigungsunion vor. Am Ende ließe die Lage nur folgendes Vorgehen zu, fasst der CDU-Politiker zusammen: Europa müsse sich darauf vorbereiten, seine Probleme künftig selbst zu lösen. Gleichzeitig müsse man "darauf hoffen und daran arbeiten, dass die Amerikaner dabei bleiben".
Wie heikel die geopolitische Situation ist, wie bedrohlich die Lage um den einstigen Freund aus Übersee, zeigt Baerbocks Reaktion auf Laschets Wortwahl. Für einen kurzen Moment wird es an diesem Abend laut, die Außenministerin empört sich über den Begriff "hoffen" hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit Washington oder gar Moskau. Das sei in der Vergangenheit "sowas von schief gegangen", wie Projekte wie Nordstream 1 und 2 zeigen. "Das hat die Ukraine auf brutalste Weise erfahren und nun verteidigen sie unsere Freiheit." Länder wie Russland und nun auch die USA setzten auf Ruchlosigkeit. Dazu gehöre der jüngste Eklat im Weißen Haus - aber auch die Tatsache, dass Trump die Grenzen zum Nachbarstaat und Nato-Mitglied Kanada infrage stellt.
Die Außenministerin wird deutlich: "Wir stehen an einer Wegscheide, wie die Weltordnung künftig sortiert wird." Den "Luxus", zu schauen und zu hoffen, was dabei herauskommt, könne sich Europa nicht leisten. "Dann schaffen andere Fakten." Europa dürfe diesen "Schlüsselmoment" nicht verpassen, müsse sich "komplett neu sortieren".
"Jetzt wird Geschichte geschrieben"
Bleibt die Schlüsselfrage, wie das gelingen kann. Baerbock sieht den Hebel dafür in Washington selbst, ist die neue US-Regierung doch vor allem von eigenen, wirtschaftlichen Interessen getrieben. So müsse sich Europa fragen: Was ist für den US-Präsidenten besonders wichtig? Dies könnten etwa fragile Wirtschaftsbeziehungen sein. Anschließend müsse man Trump klarmachen, dass "auch er etwas zu verlieren hat" und auch Europa ausreichend Möglichkeiten hat, Amerika zu schaden. Es gehe darum, Trump "in seiner Logik" etwas entgegenzustellen - das bessere Angebot zu machen. "Wir können das auch Deal nennen", fügt Baerbock hinzu. "Da muss man in der Diplomatie sehr flexibel sein."
Das sei Schritt eins. Die Außenministerin stimmt Laschet in der Beschreibung des Zweiklangs zu. Im Zweifel müsse Europa sich selbst verteidigen können und mit entsprechendem Druck an seiner Verteidigungsfähigkeit arbeiten sowie die Ukraine weiter unterstützen. Als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land der EU müsse Deutschland dabei eine zentrale Rolle spielen und Teil der "Koalition der Willigen" sein. "Jetzt wird Geschichte geschrieben."
Was auf dem Spiel steht, wenn das Vorhaben scheitert, skizziert Major. So gehen die russischen Ziele weit über die Ukraine hinaus. Das hieße, so die Expertin, wenn Russland die Lehre zieht, dass sich Krieg lohnt, "dann ist nach der Ukraine das nächste Ziel dran." Genau das müsse Europa durch eigene stabile Verteidigungsfähigkeit und die langfristige Absicherung eines möglichen Waffenstillstands in der Ukraine verhindern. Dabei gehe es nicht um drei bis vier Jahre, sagt Major. Sondern so lange "bis die russischen Ziele nicht mehr imperialistisch sind".
Wer zahlt?
Doch all das kostet. Wo die benötigten Milliarden hernehmen? Bereits die scheidende Bundesregierung stand vor dieser Herausforderung, der wahrscheinlich neue Kanzler Friedrich Merz macht nach der Wahl ebenfalls deutlich, dass es für die Verteidigung "sehr viel mehr Geld" brauche. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz beim jüngsten Notfall-Treffen westlicher Spitzenpolitiker in London lediglich von "weiterer Unterstützung für die Ukraine" sprach, im Gegensatz zu Großbritannien aber keine konkreten Zusagen machte, dürfte vor allem an der ungeklärten Finanzierung liegen.
Ob die Grünen das von Merz vorgeschlagene Sondervermögen mittragen würden, will Miosga daher von Baerbock wissen. Die Außenministerin macht zwar deutlich, dass sie eine Reform der Schuldenbremse für deutlich effektiver hält. Klar wird aber auch: Welchen Titel die Finanzierung am Ende trägt, spielt derzeit kaum noch eine Rolle. "Wir brauchen jetzt das Geld", mahnt Baerbock. Dafür müsste die neue mit der alten Bundesregierung zusammenarbeiten.
Wie schnell dies gelingen kann? "Wir haben die Zeitenwende damals über das Wochenende geschafft", sagt Baerbock. Auch Laschet betont die Eilbedürftigkeit. Streitpunkte dürfe es bei diesem Thema nicht mehr geben. So findet am kommenden Donnerstag ein weiterer EU-Gipfel statt. "Und dann muss Deutschland sprechfähig sein."
Quelle: ntv.de