Politik

Scheitern an den fünf Prozent? Warum das BSW nur im Osten strahlt

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"Das BSW hat im Westen wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren", sagt Politologe Thomeczek.

"Das BSW hat im Westen wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren", sagt Politologe Thomeczek.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

Das Bündnis Sahra Wagenknecht startet 2024 furios, landet zweistellig in drei ostdeutschen Landtagen. Bei der kommenden Bundestagswahl aber muss die Partei die 5-Prozent-Hürde fürchten. Wie ist das möglich? Und was bedeutet das für die Zukunft des Bündnisses?

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat vergangenes Jahr einen bemerkenswerten Einstand gefeiert: 6,2 Prozent bei der Europawahl im Sommer, mit zweistelligen Ergebnissen zog die Partei in drei ostdeutsche Landtage ein. Großer Jubel, staunende Konkurrenz, Koalitionsverhandlungen; die potenziellen Partner erwiesen Sahra Wagenknecht die Ehre, reisten ins Saarland, bekannten sich zum Frieden. Nun droht bei der Bundestagswahl im Februar ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde. Wie kann das sein? Warum ist das BSW im Osten so viel erfolgreicher als im Westen - und was bedeutet das für seine Zukunft?

Dass das BSW in den ostdeutschen Bundesländern so viel mehr Zuspruch erfährt, dafür hat der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek im Gespräch mit ntv.de eine simple Erklärung: "Die Positionen, für die das BSW steht, sind in Ostdeutschland einfach deutlich weiter verbreitet als in Westdeutschland." Da sei etwa die außenpolitische Haltung, die Offenheit gegenüber Russland, die Skepsis gegenüber den Waffenlieferungen in die Ukraine. "Da gibt es große Ost-West-Unterschiede", sagt Thomeczek.

Hinzu komme die Kombination aus linker Sozialpolitik und rechter Gesellschaftspolitik, die das BSW im deutschen Parteienspektrum einzigartig macht. Für Thomeczeks Kollegen Daniel Seikel von der Hans-Böckler-Stiftung macht diese Kombination den Unterschied: "In Ostdeutschland gibt es offensichtlich mehr Menschen als in Westdeutschland, die entsprechende politische Einstellungen haben."

BSW bevölkert verwaisten Teil der Parteienlandschaft

Maik Herold von der TU Dresden schreibt in einer Studie mit seinem Kollegen Cyrill Otteni, das BSW habe mit seiner Kombination aus wirtschaftlich linken und kulturell konservativen Positionen einen Teil der politischen Landschaft Deutschlands besetzt, der zuvor größtenteils verwaist gewesen sei. Im Gespräch mit ntv.de fügt Herold hinzu, das BSW mache damit all denjenigen Unzufriedenen ein Angebot, die nicht bereit seien, rechtsradikal zu wählen.

Dieses Wählerpotenzial ist laut Herold im Osten wesentlich größer: Viele Menschen seien unzufrieden mit Parteien, Medien, Staat oder der Migrationspolitik. Sie seien zugänglich für eine populistische Protestpartei, würden aber nicht im Traum daran denken, die AfD zu wählen. Für sie komme das BSW wie gerufen. Das habe man bei den Landtagswahlen gut beobachten können, sagt Herold: Das BSW knöpfte nicht der AfD, sondern vielmehr Linkspartei und SPD Stimmen ab, konnte zudem ehemalige Nichtwählerinnen und Nichtwähler mobilisieren.

Der Zuspruch für links-autoritäre Positionen wie die des BSW habe sicher auch etwas mit der Sozialisation vieler Menschen in der DDR zu tun, sagt der Potsdamer Politologe Thomeczek. Das hätten auch schon PDS und Linke gezeigt, die im Westen ähnliche Probleme hatten wie das BSW.

Daran habe sich in den vergangenen Monaten nichts geändert, schon das Ergebnis der Europawahl habe die Schwäche des BSW im Westen offenbart, sagt Thomeczek. Dass die Partei zuletzt von Erfolg zu Erfolg geeilt war, habe einen einfachen Grund: den Wahlkalender - die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg boten ideale Startbedingungen für das BSW.

Der Wahlkalender sieht nun die Feuerprobe des BSW vor: Sollte die Partei den Einzug in den Bundestag verfehlen, wäre das eine "strategische Katastrophe", sagt Herold - auch, wenn es noch so knapp ausgeht. Thomeczek sieht das ähnlich: "Die fünf Prozent sind eine brutale Schwelle." Am Ende entscheide möglicherweise das Wetter. Ein Scheitern würde die Partei in den westlichen Bundesländern weiter schwächen, so Thomeczek. Ohne die Bühne des Bundestags drohe das BSW als rein ostdeutsches Phänomen abgestempelt zu werden.

Sich mehr auf den Westen zu fokussieren, könne aber keine Option sein, sagt Thomeczek: Man riskiere, nicht mehr als die Partei wahrgenommen zu werden, die die Interessen des Ostens vertritt. Zudem sei es sehr aufwendig, im Westen Fuß zu fassen. "Das BSW hat im Westen wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren", sagt Thomeczek.

"Je nachdem, was mit der Linkspartei passiert ..."

Der Politikwissenschaftler Herold ist sich da nicht so sicher. Er hält die weitere Entwicklung für schwer absehbar - auch, weil es nur wenige vergleichbare Phänomene in Europa gebe. Aber es sei davon auszugehen, dass die Zielgruppe des BSW auch in Westdeutschland wachsen dürfte: die Unzufriedenen. Herold denkt kurz nach und fügt an: "Je nachdem, was mit der Linkspartei passiert, könnte es natürlich sein, dass das BSW sich als linke Kraft am linken Rand auch in Westdeutschland etablieren wird."

Sollte das BSW bei dieser Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, heiße das aber nicht, dass die Partei in der Versenkung verschwinde, betont Seikel. "Auch die AfD verpasste bei ihrer ersten Bundestagswahl knapp den Einzug, etablierte sich aber langfristig."

Sicher ist: Das BSW steht vor einer strategischen Herausforderung. Der Osten ist zur soliden Basis geworden, der Westen bleibt vorerst schwieriges Terrain. Ein Erfolg bei der Bundestagswahl könnte den Weg in eine gesamtdeutsche Zukunft ebnen. Ein Scheitern wäre allemal ein schwerer Rückschlag - mindestens.

Quelle: ntv.de

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