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Scharfe anti-deutsche Töne Warschau macht Berlin im Wahlkampf zur Zielscheibe

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Kämpfen um den Wahlsieg: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (r.) von der Regierungspartei PiS und Oppositionsführer Donald Tusk (l.) von der PO.

Kämpfen um den Wahlsieg: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (r.) von der Regierungspartei PiS und Oppositionsführer Donald Tusk (l.) von der PO.

(Foto: picture alliance/dpa/AP/dpa)

Mit provokanten Aussagen macht Polens regierende Partei PiS Stimmung gegen Deutschland. Schuld daran sind die anstehenden Wahlen im Land. Doch das ist nicht der einzige Grund für die immer schlechter werdenden deutsch-polnischen Beziehungen.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Montag Kritik an der Visa-Affäre der polnischen Regierung übte, die das Durchwinken von Migranten nach Deutschland erleichtert, schoss Polens Außenminister Zbigniew Rau ungewöhnlich scharf zurück: "Die Kompetenzen des deutschen Bundeskanzlers betreffen offensichtlich nicht in Polen laufende Verfahren." Die spitze Bemerkung ist dabei nur das jüngste Beispiel in einer Reihe von anti-deutschen Tönen, die gerade aus Warschau zu hören sind.

Die Attacken auf Berlin kommen nicht von ungefähr: Am 15. Oktober wählt Polens Bevölkerung ein neues Parlament. Das Land steckt mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs. Die seit 2015 unter Jarosław Kaczyński regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) droht die Wahlen zu verlieren, - ausgerechnet gegen die größte Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), dessen Vorsitzender Donald Tusk ist. Seinem Aufruf folgten am Sonntag rund eine Million Menschen, um in Warschau gegen die Politik der nationalkonservativen PiS zu demonstrieren - die größte Kundgebung in der Geschichte Polens.

Tusk war von 2007 bis 2014 Ministerpräsident Polens, danach ging er nach Brüssel und wurde EU-Ratspräsident. Dieses ehemalige Amt macht ihn in der Rhetorik der jetzigen Regierungspartei bis heute zum verlängerten Arm der EU-Kommission, die aus PiS-Sicht von Frankreich, vor allem aber Deutschland gelenkt wird. Warschau wirft Berlin deshalb sogar vor, Tusk als gesteuerten Agenten einzusetzen, um die Regierung in Polen nach ihren Vorstellungen zu manipulieren. Ganz konkret stecke der CSU-Abgeordnete Manfred Weber dahinter, der seit 2004 dem Europäischen Parlament angehört.

"Viel an Porzellan zerschlagen worden"

"Polen spielt mit anti-deutscher Rhetorik", sagt der Leiter des polnischen Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), David Gregosz, gegenüber ntv.de. Die PiS versuche, Donald Tusk eine extreme Deutschlandnähe zuzuschreiben. "Das funktioniert bei weiten Teilen der Wählerschaft auch" so Gregosz. Die "scharfen anti-deutschen Töne" seien aber auch möglich, "weil Deutschland sich nicht wehrt." Und weil es teilweise mit Desinteresse abgetan werde.

Trotzdem: Die politische Ebene in Berlin sowie Diplomaten seien alarmiert, sagt Gregosz. "Der Ton, der hier im Wahlkampf gesetzt wird, ist schon sehr problematisch." Der Wahlkampf werde vor allem mit emotionalen Themen geführt, wie Migration, nationale Sicherheit, Abtreibung oder eben Beziehungen zu Deutschland und der EU. Die Stimmung im Land ist dementsprechend aufgeheizt. "Schlussendlich muss man sagen, Polen befindet sich in einem Wahlkampf, wie er polarisierender und zugespitzter nicht sein könnte", so der Experte.

Die Risse in der deutsch-polnischen Beziehung sind aber nicht erst durch den Wahlkampf entstanden. "Da ist so viel Porzellan zerschlagen worden in den letzten Wochen und Monaten, dass Polen sicherlich an Vertrauen in Deutschland und andere Partner in Europa verloren hat", sagt Gregosz. Es herrsche mittlerweile erhebliches Misstrauen zwischen der Bundesregierung und der polnischen Regierung. Außenminister Rau hatte Kanzler Scholz sogar vorgeworfen, sich in den Wahlkampf einzumischen.

Europawahlen werden zur Probe

Zwar seien beide Staaten bemüht, auf Fachebene Lösungen zu finden. Etwa im Bereich der Grenzkontrollen oder auch bei der Wartung deutscher Leopard-Panzer auf polnischem Gebiet, die der Ukraine zur Verfügung gestellt werden. Doch die Kontakte beschränkten sich auf ein Minimum, so Gregosz. Vielmehr entwickelt sich Polen zunehmend nach Werten entgegen der europäischen Linie. Der polnische Premierminister, Mateusz Morawiecki, sprach mehrmals von einer Bedrohung von Ost und West: "Einmal von der Wagner-Gruppe und einmal von der 'Weber'-Gruppe."

Deutschland sucht deshalb zunehmend den Schulterschluss mit anderen EU-Partnern. Ein Vorteil für Polen oder eine Stärkung Europas ergibt sich daraus nicht - "im Gegenteil", sagt Experte Gregosz. "Die Europawahlen, die im nächsten Jahr stattfinden, werden in Polen sicherlich dazu führen, dass man einen unbequemen Partner hat, der viele Dinge, die in Brüssel geplant oder angedacht sind, infrage stellt."

In aktuellen Umfragewerten führt die nationalkonservative Regierungspartei PiS mit 33 bis 37 Prozent. Tusks liberalkonservative Oppositionspartei PO kommt derzeit auf 27 bis 30 Prozent. Letztlich kommt es darauf an, wer eine Koalition bilden kann. Die Rechtsaußen-Partei Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit (Konfederacja), die im Schnitt bei knapp 10 Prozent liegt, hatte in der Vergangenheit zwar eine Koalition mit der PiS ausgeschlossen. Um zu verhindern, dass die linksgerichtete PO mit anderen Parteien eine Koalition formt und an die Macht kommt, könnte sich dies jedoch ändern.

Steiniger Weg für Warschau und Berlin

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Sollte tatsächlich Tusks PO die Wahl gewinnen, liege ein Berg von Aufgaben vor ihm, sagt Gregosz. "Sicherlich bedarf es dann eines Neustarts im Verhältnis zu Deutschland und Brüssel". Doch das dürfte ein langer, steiniger Weg werden, denn selbst bei einem Wahlsieg der Oppositionellen werden wichtige Institutionen in den Händen von PiS-Vertretern bleiben. Der Staatssender TVP ist mit Journalisten besetzt, die eine Nähe zum Regierungslager haben, Staatsunternehmen und Justiz wurden ebenfalls in der Ära der PiS geprägt.

Will die EU künftig gegenüber Russland und China als geschlossene Einheit auftreten, bleibt der neuen Regierung in Polen aber kaum eine andere Wahl, als eine solide Nachbarschaftsbeziehung zu Deutschland wiederherzustellen. Für Gregosz ist es deshalb nicht ohne Grund "die bedeutendste Wahl seit 1989".

Quelle: ntv.de

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