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Kiew und Warschau im Zwist Bröckelt Polens Unterstützung für die Ukraine?

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Verbunden durch den eigenen Feind: Russland.

Verbunden durch den eigenen Feind: Russland.

(Foto: picture alliance / Photoshot)

Polen zählt seit dem russischen Überfall zu den größten Unterstützern der Ukraine. Zuletzt gab es zwischen Warschau und Kiew aber ungewohnte Spannungen. Das hat nicht nur mit dem Wahlkampf im Land zu tun.

Zwischen Polen und der Ukraine kriselt es. Die beiden Staaten haben sich in die Haare gekriegt, nachdem Polen die Einfuhr von ukrainischem Getreide gestoppt hat. Die Verärgerung Kiews darüber wurde vom polnischen Staatssekretär Marcin Przydacz mit dem Vorwurf abgestraft, der Ukraine fehle es an Dankbarkeit. Eskaliert ist der Streit dann in die gegenseitige Einberufung der jeweiligen Botschafter.

Die Differenzen zwischen beiden Staaten sind ungewöhnlich, zählt Polen seit Beginn der großangelegten russischen Invasion doch eigentlich zu den größten Unterstützern der Ukraine. Sind die Verstimmungen der Beginn einer politischen Krise zwischen Warschau und Kiew? Zumindest sei es der Beginn einer neuen Phase im Umgang miteinander, sagt Osteuropa-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Bislang stand die Interessengemeinschaft beider Länder im Mittelpunkt, nun ändert sich der Diskurs in Polen, das Eigeninteresse rückt in den Vordergrund."

Das liegt vor allem daran, dass sich Polen derzeit in der heißen Phase des Wahlkampfs befindet. Im Oktober wählt die Bevölkerung ein neues Parlament. Dadurch rücken vor allem innenpolitische Interessen in den Fokus - und die konkurrieren teilweise mit den Interessen der Ukraine. Insbesondere beim Thema Landwirtschaft liegen die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der beiden Länder weit auseinander. Durch die Einfuhr von ukrainischem Getreide und den Weiterverkauf in die EU fallen die Preise für polnische Produkte. Deren Produzenten, die Bauern, geraten dadurch in finanzielle Nöte und gehen auf die Barrikaden.

Konkurrenz auch von rechts

Für die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) ist das ein Problem: "Die PiS hat ihre Hochburgen im ländlichen Raum und gegen die Bauern in der Landwirtschaft kann man in Polen generell schlecht Wahlen gewinnen", sagt Experte Lang. Hinzu komme, dass die nationalkonservative Partei ihren Wählern versprochen hat, immer die polnischen Bedürfnisse gegen internationale Einflüsse zu verteidigen. Dazu gehört auch, gegenüber der Ukraine harte Kante zu zeigen, wenn es um die Interessen im eigenen Land geht.

Doch die PiS, die seit 2015 unter der Parteiführung von Jarosław Kaczyński regiert, kämpft noch gegen eine andere Bedrohung: Die Rechtsaußen-Partei Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit (Konfederacja Wolność i Niepodległość, kurz: Konfederacja) macht in Umfragen eine immer bessere Figur. "Die Konfederacja ist für die PiS eine ernstzunehmende Konkurrenz von rechts", erklärt Lang. Als Oppositionspartei kritisiert sie die Regierungspartei regelmäßig, wirft ihr vor, sie sei gegenüber der Europäischen Union zu weich und vertrete die polnischen Interessen nach außen hin nicht stark genug.

In Bezug auf die Ukraine werden dadurch sozialpolitische Themen ausgeschlachtet und für den Wahlkampf genutzt. Die Konfederacja behauptet beispielsweise, dass ukrainische Flüchtlinge gegenüber der polnischen Bevölkerung privilegiert seien. "Die PiS muss daher den Spagat hinkriegen, auf der einen Seite ihre bisherige sicherheitspolitische, geopolitische Linie beizubehalten, aber auf der anderen Seite sich gegen die Stimmungsmache der harten Rechten zu behaupten", so Lang.

Spuren der Kriegsmüdigkeit

Selbst Polen ist vor einer schleichenden Kriegsmüdigkeit nicht gefeit. Durch den Zuzug von Ukrainern und die geleisteten Unterstützungen habe bei der polnischen Bevölkerung Ernüchterung eingesetzt, sagt der Leiter des polnischen Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), David Gregosz. "Polen befindet sich in einem Wahlkampf, wie er polarisierender und zugespitzter nicht sein könnte." Grundsätzlich sei die Solidarität mit der Ukraine zwar nach wie vor sehr groß. Gleichzeitig sei Polen in den vergangenen Jahren aber in ökonomisch schwierigeres Fahrwasser geraten. "Zahlungen müssen auf den Prüfstand und die Ukraine spielt hier natürlich eine große Rolle."

Doch nicht nur der Wahlkampf sorgt für Spannungen zwischen Polen und der Ukraine. Es gebe "schon seit längerem kleinere Turbulenzen", sagte der polnische Parlamentsabgeordnete Radoslaw Fogiel vergangene Woche. Welche das sind, erwähnte er nicht. Allerdings war die geschichtspolitische Beziehung der beiden Länder nicht immer so von Einigkeit geprägt wie seit dem russischen Überfall im Februar 2022.

"Wenn wir in die Jahre vor der Invasion zurückschauen, lief es nicht immer so rosig zwischen Warschau und Kiew", sagt Osteuropa-Experte Lang. Am 11. Juli erst jährte sich der Gedenktag des ukrainischen Massakers an der polnischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg 1943. Polen wirft der Ukraine vor, nie ausreichend Aufarbeitung betrieben zu haben. Diese historischen Problematiken wurden mit Beginn des Krieges allerdings für das übergeordnete geopolitische Ziel beider Länder - den Kampf gegen Russland - beiseitegeschoben.

"Krise der gegenseitigen Erwartungen"

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Die aktuellen Spannungen zwischen Warschau und Kiew wecken deshalb Erinnerungen an eine Phase während der letzten Jahre, in der bilaterale Zwistigkeiten die großen geopolitischen Fragen überlagerten. "Gerade für Polen ist es sehr wichtig, Anerkennung und Würdigung für sein Engagement zu bekommen", so Lang. Zu Recht sehe sich Polen als Vorreiter des Westens in Sachen Solidarität mit der Ukraine. "Man möchte aber, dass diese Hilfe wertgeschätzt wird." Andersherum sei die ukrainische Seite der Auffassung, dass die Unterstützung per se auch im polnischen Eigeninteresse liege, da das Land nicht nur die eigenen Grenzen verteidige, sondern auch die Sicherheit Polens. "Es herrscht eine Art Krise der gegenseitigen Erwartungen beider Länder", fasst Lang die Problematik zusammen.

Dass diese Krise einen ernsthaften Bruch in der Unterstützung Polens für die Ukraine auslösen könnte, glaubt KAS-Vertreter Gregosz allerdings nicht. "Schuld an der hitzigen Debatte ist in erster Linie der Wahlkampf", sagt er. Die Partei PiS, die laut Umfragen bei den Wahlen im Oktober gute Chancen hat, betont, dass sie immer zur Ukraine stehen werde. Und auch Präsident Selenskyj hat bereits versöhnliche Töne angeschlagen: Der gemeinsame Feind sei und bleibe Russland. Daran ist auch Polen in erster Linie interessiert.

Quelle: ntv.de

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