De Maizière und Schäuble stören Warum Merkel trotzdem bleibt
13.11.2015, 13:11 Uhr
Angela Merkel verliert Freunde in der Union, behält aber ihre Mehrheiten.
(Foto: REUTERS)
In der Union positionieren sich einflussreiche Politiker gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Keiner von ihnen hat eine Chance, Merkel zu stürzen.
Lange hat er geschwiegen, dann zögerlich Kritik geäußert, nun taucht er plötzlich auf aus der Masse der Schweigenden in der CDU. Finanzminister Wolfgang Schäuble mischt sich in die Flüchtlingsdebatte ein. Der Ex-Parteichef, Politik-Veteran und das älteste Mitglied der Bundesregierung kritisiert keine Sachentscheidung der Kanzlerin. Er setzt ihrem "Wir schaffen das!" das Bild einer Lawine entgegen, von der er noch nicht einmal wisse, ob sie schon im Tal sei – die Gefahr also gebannt ist. Das ist mehr als ein anderer Zungenschlag, es ist ein alarmistischer Gegenentwurf zu Merkels Zweckoptimismus.
Als "Ersatzkanzler" wurde er schon bezeichnet. Schäuble könnte, sollte es zur Revolution in der CDU kommen, den Übergang organisieren, bis die Union einen neuen Kanzlerkandidaten gefunden hat. Denn Schäuble gilt als harter Verhandler, als einer, der den Überblick behält, als Realist. In der Eurokrise hat er gezeigt, dass er ohne Sentimentalitäten sogar den Integrationsprozess der Europäischen Union zurückdrehen würde, um das Gesamtgebilde zu retten. Damals wollte er Griechenland pleitegehen lassen und somit aus dem Euro werfen, um die Kosten der Staatsrettung nicht noch weiter ausufern zu lassen. Nun könnte er es sein, der die Reisefreiheit innerhalb der EU beschränkt, um Flüchtlinge loszuwerden.
Merkel will das nicht. Sie hofft, dass der Patient EU auch ohne Amputation überlebt. Und sie will es später nicht gewesen sein, die den oft bejubelten Integrationsprozess Europas gestoppt hat. Damit steht sie am linken Rand ihrer Partei. Kann sie diesen Kurs halten ohne gestürzt zu werden? Neben Schäuble gibt es weitere Gegenspieler mit Einfluss.
Mag sein, dass Schäuble Kanzler werden möchte
Innenminister Thomas de Maizière nutzt derzeit alle seine Kompetenzen, um Flüchtlingspolitik nach seinen Vorstellungen zu machen. Damit liegt er oft gar nicht weit entfernt von dem, was sich die Kanzlerin vorstellen würde. Aber er missachtet die Hierarchien. Merkel hatte de Maizière degradiert, als sie ihren Kanzleramtsminister Peter Altmaier zum Flüchtlingskoordinator ernannte. Doch de Maizière scheint das zu ignorieren. Seine jüngsten Entscheidungen zum Familiennachzug von Syrern und zu den Dublin-Regeln hatte er mit Altmaier nicht abgesprochen.
De Maizière will Merkel eigentlich nicht demontieren. Dass die Koalition ihren Streit über Transitzonen und Obergrenzen beigelegt hatte, bezeichnete er tags drauf als "Wert an sich". De Maizière hätte auch keinen persönlichen Nutzen davon, wenn die Regierung zusammenbricht. Er selbst hat sich in der Flüchtlingskrise zu viele Fehler erlaubt, als dass man ihn nun für höhere Ämter vorsehen würde.
Und Schäuble? Eigentlich hat er mit de Maizière gemein, dass er dazu in der Lage ist, auch solche Politikvorgaben umzusetzen, die er eigentlich ablehnt. Aber es ist gut möglich, dass ihn nun der Gedanke umtreibt, seine Karriere doch noch mit dem Amt zu krönen, für das er schon vor Jahrzehnten ein Anwärter war. Schäuble galt schon zu Zeiten Helmut Kohls als nächster Kanzlerkandidat der CDU.
16 Sitze fehlen
Und dann wäre da noch CSU-Chef Horst Seehofer, der so sehr wie kein anderer darauf setzt, die Kanzlerin vor sich her zu treiben. Doch das ist ihm zuletzt kaum gelungen – seine Forderungen nach Transitzonen und Obergrenzen liefen ins Leere. Außerdem bezieht sich Seehofers Kalkül eher darauf, seine eigene Machtbasis zu erhalten. Die CSU ist instabil geworden, seit man sich dort um die Nachfolge Seehofers streitet. Seehofer schwächt Merkel nicht, weil er ihr schaden möchte. Er schwächt sie, weil er seine eigene Position stärken möchte.
Hätte die Union bei der Wahl 2013 ein paar Mandate mehr erzielt, wäre die Situation eine andere. Dann könnten sich die Abgeordneten jederzeit auf einen neuen Kanzler einigen. Doch CDU und CSU haben nur 311 der 631 Bundestagssitze. Zur absoluten Mehrheit fehlen noch 16, deswegen sind sie auf einen Koalitionspartner angewiesen. Und ob der nun SPD heißt oder gegen die Grünen ausgewechselt wird: Keine dieser Parteien wäre bereit, einen Kanzler zu wählen, der für Obergrenzen, Transitzonen, Grenzzäune oder eine Aussetzung des Familiennachzugs steht.
Damit blieben bei einem Scheitern Merkels nur Neuwahlen. Aber wäre das eine Option für die Abgeordneten von CDU und CSU? In den Umfragen steht die Union derzeit nur knapp unter den Werten, die sie bei der Bundestagswahl erzielte. Dennoch würde sie viele Sitze verlieren: Erstens, weil wohl die AfD und vielleicht auch die FDP in den Bundestag einziehen würde. Und zweitens, weil das gute Ergebnis und die noch höheren Umfragewerte in der Zeit danach ganz klar auf die Kanzlerin zurückzuführen sind. Merkel stand für Verlässlichkeit und Sicherheit. Das war es, was sich die Wähler wünschten. Eine zerstrittene Union ohne diese Führungsfigur wäre für die Wähler wesentlich weniger attraktiv. Das eigene Mandat aufs Spiel setzen um Grenzzäune in Europa bauen zu können? Das widerspräche nicht nur der Staatsräson der CDU, sondern auch ihrem Machtbewusstsein.
Quelle: ntv.de