Politik

Geheime Gründe für Scholz' Nein? Was Taurus mit der "nationalen Sicherheit" zu tun hat

Der Marschflugkörper Taurus - von der Ukraine begehrt, um russische Nachschubwege zu zerstören.

Der Marschflugkörper Taurus - von der Ukraine begehrt, um russische Nachschubwege zu zerstören.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach einer Sitzung des Verteidigungsausschusses sprechen Teilnehmer anonym, aber öffentlich über die Bedeutung von Taurus. Demnach sei es eine Frage der "nationalen Sicherheit", den Marschflugkörper nicht an die Ukraine zu liefern. Sie ernten viel Widerspruch, und nun droht noch Ärger - wegen möglichen Geheimnisverrats.

Selten sorgt eine Regierungsbefragung für so viel öffentlichen Wirbel wie der Streit am Dienstag im Bundestag zum Taurus-Marschflugkörper. Was weiß der Bundeskanzler, was der Rest der Republik nicht weiß? So fragten sich viele, da Olaf Scholz in einer Antwort andeutete, es gebe geheime Fakten, die eine Lieferung der Präzisionswaffe an die Ukraine unterbinden würden.

FDP-Sicherheitsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zog am Donnerstag im Gespräch mit ntv.de die Aussage des Kanzlers in Zweifel: Sie wisse nicht, "was Herr Scholz da gemeint haben könnte". Es gebe nur Fakten, "und die liegen glasklar auf dem Tisch", so die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses.

Ausgerechnet in diesem Ausschuss sollen jedoch laut einem Bericht des Portals T-Online als geheim eingestufte Fakten zum Taurus am Dienstag besprochen worden sein. Eingeladen zum Thema war der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer. Der Bericht zitiert eine anonyme, aber "mit dem Vorgang vertraute Person", die berichtet, bei Breuers Vortrag in der Ausschusssitzung seien manchen Abgeordneten "die Kinnladen runtergeklappt". Ein Taurus-Befürworter, ebenfalls nicht namentlich genannt, soll anschließend Zweifel an seiner Position eingestanden haben. Er wolle sie überdenken.

Worum aber ging es bei diesen Informationen, die nach Darstellung der beiden anonymen Quellen im Ausschuss so eingeschlagen haben sollen? Zusammengefasst braucht demnach das Zielprogrammierungssystem von Taurus derart große Datenmengen, dass dafür spezielle Systeme notwendig seien, die es nur in begrenzter Anzahl gebe. Bei Lieferung von Taurus an die Ukraine sieht eine anonyme Quelle eine "Fähigkeitslücke" für die Bundeswehr entstehen, eine "technische Engstelle, die für eine lange Zeit nicht ersetzt werden könne". Es gehe um "elementare Fragen der nationalen Sicherheit", wird eine "mit der Angelegenheit vertraute Person" zitiert.

Für ihre Aussagen werden die zwei anonymen Quellen von einem weiteren Mitglied des Verteidigungs-Ausschusses gerügt. "Hier plaudert jemand mit sehr offensichtlichen Eigeninteressen aus einer Sitzung, die als geheim eingestuft war & behauptet Dinge, die freundlich gesagt sehr verzerrt sind", bilanziert die Verteidigungsexpertin der Grünen, Agnieszka Brugger, die an derselben Sitzung teilnahm, auf X. Auch in Abwägung "aller eingestuften Informationen, (so viele neue waren für mich nicht dabei), finde ich eine Lieferung von Taurus nach wie vor überfällig", so Brugger.

Das Problem "halte ich für absolut lösbar"

Ähnlich kritisch sieht der Sicherheitsexperte Fabian Hoffmann die Aussagen der anonymen Sitzungsteilnehmer - allerdings eher aus technischer Sicht. Dass die großen Datenmengen, die für die Zielprogrammierung notwendig sind, ausschließlich auf den Servern der Bundeswehr verarbeitet werden könnten, erscheint ihm nicht logisch. "Der Taurus wurde 2006 an die Bundeswehr ausgeliefert und war programmierbar mit Rechenleistung, die vor 18 Jahren zur Verfügung stand. Eine solche Rechenleistung sollte die Ukraine selbst aufbauen können. Dieses Problem halte ich für absolut lösbar", so Hoffmann im Gespräch mit ntv.de.

Auch mit Bezug auf die Zieldaten selbst hat Kiew aus Hoffmanns Sicht genug eigene Kapazitäten, um die Waffe unabhängig von der Bundeswehr zu programmieren. "Die ukrainischen Streitkräfte haben ein eigenes Marschflugkörper-Programm. Das heißt, sie benötigen solcher Art Infrastruktur und Zieldaten auch selbst und bekommen bereits jetzt Daten von einem finnischen Satellitenanbieter."

Die Einschätzung des einen anonym zitierten Ausschussmitglieds, es handle sich bei der Debatte um Taurus-Lieferungen um eine "elementare Frage der nationalen Sicherheit", da die Waffen "nahezu an strategische Fähigkeiten heranreichen", erstaunt insoweit, als erst in dieser Woche Verteidigungsminister Boris Pistorius laut einem Bericht der "Welt" ankündigte, die Taurus-Bestände der Bundeswehr ertüchtigen zu wollen. Einer der Gründe für die umfassende Modernisierung: Bei der Hälfte der Marschflugkörper, etwa 300 Stück, sei die Zertifizierung abgelaufen. Geht man so mit einer Waffe um, auf der die deutsche Verteidigungsfähigkeit in dem Maße ruht, wie es die anonymen Quellen darstellen?

Experte Hoffmann teilt die Auffassung, dass eine Taurus-Lieferung Deutschland vor gewisse Herausforderungen stellen würde. "Dass es Probleme mit einer technischen Engstelle geben würde, mag durchaus sein", so der Wissenschaftler. "Aber für jedes dieser technischen Probleme gibt es auch eine technische Lösung", davon sei er überzeugt. "Taurus nicht zu liefern, bleibt eine Entscheidung aus politischen Motiven."

Neben fachlichem Widerspruch erwarten die beiden gesprächigen Ausschussmitglieder nun womöglich auch noch schlimmere Konsequenzen. FDP-Politikerin Strack-Zimmermann, die dem Verteidigungsausschuss vorsitzt, kündigt in der "Süddeutschen Zeitung" Schritte wegen eines möglichen Geheimnisverrats an. "Aus einer geheimen Sitzung Informationen preiszugeben, ist ein No-Go", sagte Strack-Zimmermann. Sie hoffe, "dass wir die entsprechende Person ermitteln und diese dann die Konsequenzen zu spüren bekommt".

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen