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Trudeaus Öl-Problem Wie Kanada den Klimaschutz vermasselt

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Kanadischer Premierminister beim G7-Gipfel in Cornwall.

(Foto: picture alliance / empics)

Kanada hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt - und versucht, international eine führende Rolle in der Klimapolitik zu spielen. Doch das ölreiche Land hat seine letzten Ziele bereits verfehlt, und Wissenschaftler halten die Pläne von Justin Trudeau für utopisch.

Zu seinem diesjährigen Hochzeitstag postete der kanadische Premierminister Justin Trudeau auf Instagram ein Foto von sich und seiner Frau Sophie. Das junge Paar steht in den Bergen, hält Händchen und schaut sich tief in die Augen. Im Hintergrund sind die Rocky Mountains von Alberta zu sehen. Weißer Schnee, blauer Himmel und grüne Bäume: Dafür ist Kanada bekannt. Und das ist es, was Trudeau dem Rest der Welt stolz zeigt. Doch die Gletscher, vor denen er auf dem Bild mit seiner Frau steht, gibt es vielleicht bald nicht mehr. Obwohl sich Kanada und Trudeau gerne als Vorreiter im Klimaschutz verkaufen, sieht die Klimabilanz des Landes erschreckend aus: Das Land erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt.

Dennoch nimmt Trudeau international oft eine führende Rolle ein, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen geht. Beim Pariser Klimagipfel warb er für ein 1,5-Grad-Ziel, während andere Länder sich auf 2 Grad festlegen wollten. Nach dem jüngsten G7-Gipfel, betonte Trudeau "wie wichtig es ist, dass die G7 weiterhin eine Führungsrolle bei Klima und Energie einnimmt, um bis 2050 Netto-Null zu erreichen." Im vergangenen Jahrzehnt hatte Kanada allerdings keine Führungsrolle dabei. Der nördliche Nachbar der USA ist das einzige G7-Land, dessen Emissionen seit dem Pariser Abkommen dramatisch angestiegen sind: zwischen 2016 und 2019 um 3,3 Prozent - im gleichen Zeitraum verzeichneten die USA einen Sprung von 0,6 Prozent. Alle anderen G7-Länder haben es geschafft, ihre Emissionen zu reduzieren - Deutschland sogar um 10 Prozent.

Auch im jährlich veröffentlichten CCPI Klimaschutz-Index schneidet Kanada schlecht ab. Darin wird die Klimaschutzleistung von 58 Ländern beurteilt, die für 90 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind. Kanada landet im diesjährigen Bericht auf Platz 58 - die ersten drei Plätze sind unbesetzt. Bislang gebe es kein Land, das eine 1+ im Klimaschutz verdient hat, so die Autoren der Studie. Den höchsten Platz nimmt Schweden ein, Deutschland landet auf Platz 19. Sogar China, das Sorgenkind des Klimawandels, schafft es auf Platz 33.

Dass Trudeau seine Klimaziele nicht erreichen kann, hat vor allem eine Ursache: die Ölsande von Alberta. Weniger als 900 Kilometer - für kanadische Verhältnisse "um die Ecke" - von Trudeaus Instagram-Foto entfernt, sieht die Landschaft ganz anders aus. Dort werden die borealen Nadelwälder, die einst ein riesiges Gebiet bedeckten, nun Stück für Stück abgeholzt, um an die Athabasca-Ölsande zu gelangen.

Die dortigen Ölvorkommen können nur mit teuren Abbaumethoden - meist im Tagebau - gewonnen werden. Das Endprodukt der Ölsande ist konventionelles Öl, aber der Weg dorthin ist im Vergleich zu anderen Methoden sehr viel teurer und umweltschädlicher. Dabei handelt es sich mit 170 Milliarden Barrel um die drittgrößten nachgewiesenen Ölreserven der Welt. Wäre Alberta mit seinen vier Millionen Einwohnern ein Land, wäre es die fünftgrößte Öl produzierende Nation. Insgesamt produziert Kanada sechs Prozent des weltweiten Rohöls - nur aus den USA, Saudi-Arabien und Russland kommt noch mehr.

Das Trudeau-Paradox

Die Ölsande hindern Trudeau aber nicht daran, entscheidende Worte für den Klimaschutz zu finden. So rief er am 18. Juni 2019 den nationalen Klimanotstand aus. Keine 24 Stunden später genehmigte dieselbe Regierung jedoch den Ausbau einer Pipeline, die fast 600.000 Barrel Öl pro Tag von Alberta zum Hafen an der Westküste transportieren könnte. Damit könnte innerhalb von vier Tagen ein Großtanker gefüllt werden. Die Trans Mountain Pipeline befand sich zum Zeitpunkt der Genehmigung bereits in Staatsbesitz. Sie wurde 2018 von der kanadischen Regierung für 4,5 Milliarden kanadische Dollar (rund 3 Milliarden Euro) gekauft. Nun plant die Regierung, weitere 12,6 Milliarden Dollar (8,5 Milliarden Euro) in die Pipeline zu investieren, um ihre Produktion fast zu verdreifachen. Das entspricht einer Steigerung von 14 Prozent der gesamten Ölausbeute Kanadas.

Trudeau hatte die Entscheidung wirtschaftlich begründet: "Wir müssen heute Wohlstand schaffen, damit wir in die Zukunft investieren können", sagte er. "Dieses Projekt hat das Potenzial, Tausende von sicheren Arbeitsplätzen für Kanadier zu schaffen". Der Premierminister versprach, die Einnahmen aus der Pipeline in saubere Energie und grüne Technologie zu investieren.

Doch die Fakten geben das nur bedingt her. Seit 2014 hat die Öl- und Gasindustrie in Kanada mehr als 50.000 Arbeitsplätze abgebaut - durch den technischen Fortschritt der Branche wird immer weniger menschliche Arbeitskraft gebraucht. Auch die Steuereinnahmen, die eigentlich in erneuerbare Energien und Technologie fließen sollten, schwinden. So stellte ein Bericht des Canadian Center for Policy Alternatives (CCPA) fest, dass die kanadische Regierung immer weniger von der Branche profitiert. Trotz eines Anstiegs der Öl- und Gasproduktion um 47 Prozent gingen die eingenommenen Lizenzgebühren zwischen 2000 und 2019 um 45 Prozent zurück.

Inzwischen haben erneuerbare Energiequellen in Kanada massiv an Bedeutung gewonnen. So zeigt ein Bericht, dass der emissionsfreie Energie-Sektor schneller wächst als der Rest der Wirtschaft. Trudeaus Versprechen, immer mehr in grüne Energie zu investieren, wurde also umgesetzt. Erst vor wenigen Monaten hat die Regierung 960 Millionen Dollar (etwa 650 Millionen Euro) in Projekte für erneuerbare Energien investiert.

Viel beeindruckender sind jedoch die milliardenschweren Subventionen für die Öl- und Gasindustrie. Laut dem Thinktank IISD sind es 4,8 Milliarden Dollar pro Jahr. Hier ist Trudeau nicht der Einzige, der die klimaschädliche Energiewirtschaft durch Subventionen künstlich am Leben hält. In der EU fließen jedes Jahr 137 Milliarden Euro an klimaschädlichen Subventionen in die fossile Energiewirtschaft - in Deutschland sind es 37,5 Milliarden Euro.

Mit der Pipeline wird es nicht funktionieren

Trudeau versucht jedoch, die Kluft zwischen Klimazielen und Pipelineausbau zu überbrücken. Erst im April dieses Jahres hat die Regierung beschlossen, die Emissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren, verglichen mit dem Stand von 2005. Trotz des Anstiegs zwischen 2016 und 2019 sind sie insgesamt seit 2005 gesunken. Allerdings nur minimal: in den vergangenen 15 Jahren nur um 1,2 Prozent. Wenn Trudeau also sein Ziel erreichen will, muss das Land seine Emissionen um weitere 39 Prozent senken - innerhalb von neun Jahren.

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Wissenschaftler halten Trudeaus Wettlauf zur Emissionsreduktion für utopisch. Wenn Kanada den Öl- und Gassektor weiter so ausbauen würde wie bisher, könne das Land seine Emissionsreduktionsziele unmöglich erreichen, schreiben die Autoren des CCPA-Berichts. Selbst wenn die Emissionen aus allen anderen Wirtschaftssektoren auf null reduziert würden, würden die Emissionen aus der Öl- und Gasproduktion allein zum Scheitern führen.

Die nächsten Jahre sind für den Klimawandel entscheidend. Schmerzhafte Entscheidungen müssen getroffen werden, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen. Im Englischen gibt es dazu ein wunderbares Sprichwort: "You can't have your cake and eat it too." Grob übersetzt bedeutet es: "Man kann nicht alles haben im Leben." Genau das versucht Trudeau zu tun. Doch wenn er auch in 20 Jahren schöne Bilder vor den Rocky Mountains machen will, ist eines klar: Mit Pipelines und Ölsanden wird er seine Klimapolitik nicht durchsetzen können.

Quelle: ntv.de

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