Erst Belgorod, dann Moskau? Wie die Legion "Freiheit Russlands" Putin stürzen will


Erst will die Partisanen-Gruppe "Freiheit Russlands" die Ukraine, dann ihr eigenes Zuhause von den Zwängen Putins befreien.
(Foto: REUTERS)
Viel ist über die Partisanen-Gruppe "Freiheit Russlands" nicht bekannt - außer, dass sie es geschafft haben, auf russischem Grenzgebiet anzugreifen, und bis nach Moskau wollen. Dafür will die Miliz "Tausende" Kämpfer rekrutieren. In einem Interview spricht der Chef der Gruppe über seinen "Befreiungsplan".
Spätestens als Partisanen-Gruppen mit ihrem Überfall auf die russische Stadt Belgorod vor rund einer Woche ein Überraschungsangriff gelingt, ist der Name der Angreifer vielen bekannt. Scheinbar ohne Mühe nimmt die Legion "Freiheit Russlands" gemeinsam mit einer anderen pro-ukrainischen Miliz mehrere Dörfer ein, bis die russische Armee sie schließlich stoppt und zurückdrängt. Es war der erste bewaffnete Einmarsch in russisches Gebiet seit 1969, als chinesische Truppen gegen sowjetische Soldaten kämpften. Ein Angriff, der viele überrascht hat - vor allem Moskau, wie die langsame Reaktion der Verteidigung zeigte.
Die Miliz "Freiheit Russlands" bezeichnet sich selbst als eine Gruppe von "Partisanen", die "ein neues, freies Russland" aufbauen wolle. Das Ziel der Legion war schon vor den Angriffen auf Belgorod klar: Putin und sein Regime zu stürzen. Das gaben die Kämpfer bereits im vergangenen Jahr bekannt, als sie sich kurz nach Kriegsbeginn 2022 formierten. Wie sie das machen wollen, war lange ein Mysterium. Auf ihrer Website heißt es, die Gruppe organisiere Anschläge auf die russische Militär- und Eisenbahninfrastruktur. In einem Interview mit der britischen "Times" verriet der Kommandeur der Gruppe nun, welcher Plan hinter dem Vorhaben stecke.
"Caesar" zufolge - so sein Deckname - hat die Partisanen-Gruppe bereits "Tausende" Bewerber, die sich ihnen anschließen wollten. Die Angriffe auf russisches Territorium sollten mit den rekrutierten und ausgebildeten Kämpfern fortgesetzt werden, bis ihre Streitkräfte groß genug seien, um Moskau anzugreifen. "Wir verfügen über ernsthafte Fähigkeiten", sagte "Caesar" der Zeitung. Seine Truppe habe gepanzerte Fahrzeuge, Mörser-Geschütze, Panzerabwehrsysteme und eine hochwirksame Drohnen-Aufklärungseinheit.
"Könnten in einer einzigen Schlacht sterben"
Viele Fotos und Videos von Kämpfern der "Freiheit Russlands" gibt es nicht. Ihre genaue Zahl ist unklar. "Caesar" selbst sagt, seine Einheit habe die Stärke eines Bataillons. Das besteht normalerweise aus 500 bis 1000 Soldaten. Der Anführer der Gruppe behauptet, dass sie sich noch um einiges vergrößern könnten, da immer mehr Russen erkennen würden, dass es möglich sei, gegen Präsident Putin zu kämpfen und zu gewinnen.
"Wir werden diese Schikanen so lange durchführen, bis wir unser eigenes Stück russisches Territorium haben, damit echte russische Söhne und Töchter, echte Patrioten, sich uns anschließen können", so "Caesar". "Sobald das passiert, werden wir unsere Streitkräfte und unsere Zahl schnell vergrößern und mit der Kreml-Kampagne wird es ein Ende haben." Die russische Gesellschaft müsse erkennen, dass "diejenigen, die das Schwert heben, auch durch das Schwert getötet werden können", fügte der 49-Jährige hinzu. Die heutige russische Gesellschaft respektiere keine Diplomatie, sondern nur Gewalt. "Und wir haben ihnen unsere Stärke gezeigt."
Auf einem Video der Miliz, das sie einen Tag nach dem Angriff auf Belgorod veröffentlichte, waren etwa zwei Dutzend Kämpfer zu sehen. Diese "Pressekonferenz" der Legion sollte beweisen, dass die Partisanen-Gruppe viele Mitglieder habe, sagt der Historiker Nikolay Mitrokhin von der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen. Die Zahl der Kämpfer sei um einiges geringer, als sie selbst von sich behaupten. "Es sind so wenige, dass sie an nur einem Tag in einer einzigen Schlacht sterben könnten", so Mitrokhin zu ntv.de. Die Hauptsache sei, die nächste Schlacht, den nächsten Einsatz zu überleben. "Sie werden aber hohe Verluste erleiden."
Neonazis und Linke gegen Putin?
Mit ihren Angriffen auf russisches Gebiet haben die Partisanen es zumindest geschafft, die Aufmerksamkeit Moskaus und von Journalisten weltweit auf sich zu ziehen. Das sei auch so gewollt, sagt Mitrokhin. Das Ziel der Partisanen sei, in den Medien präsent zu sein. "Sie scheinen eine gut entwickelte PR-Strategie zu haben." Die Partisanen-Gruppe kenne sich demnach sehr gut mit Medien aus und setze sie effektiv ein, damit Journalisten ihre Geschichten aufgreifen. "Sie haben wie die russische politische Elite erkannt, dass es ausreicht, krawallige Aussagen von sich zu geben, damit es weltweit die größten Medienhäuser aufgreifen."
Woher die Miliz "Freiheit Russlands" ihre Munition und Kampfgeräte bezieht, ist unklar. Gegenüber der "Times" scherzte ihr Anführer, dass seine Einheit ihre Waffen über die Online-Plattformen AliExpress und Ebay sowie von russischen Militärgeschäften bezogen hätten. Auch über die politische Gesinnung und Motivationsgründe gibt es unterschiedliche Aussagen. Laut dem Russland-Experten Mitrokhin sind die meisten der Männer, die auf Videos der Partisanen zu sehen sind, russische Neonazis.
"Caesar" selbst betont, dass alle Mitglieder russische Staatsbürger seien, die bei den ukrainischen Streitkräften gedient hätten. "Wir sind keine Verbrecherbande oder ein privates Militärunternehmen wie Wagner", sagte er. "Wir kämpfen innerhalb der Struktur der ukrainischen Streitkräfte. Unser Hauptziel und unsere Hauptaufgabe sind die Verteidigung der Ukraine und die Befreiung ihrer Gebiete. Danach werden wir unser Zuhause befreien."
Ihre politischen Gesinnungen gehen aber offenbar weit auseinander. Während die andere pro-ukrainische Partisanen-Gruppe, das "Russische Freiwilligenkorps", von nationalistischen und rechtsextremen Kämpfern dominiert wird, behauptet "Freiheit Russlands" von sich, dass sie "Anarchisten, Linke und Nationalisten" sowie Menschen in ihren Reihen hätten, die bis zum Einmarsch Russlands wenig Interesse an Politik gehabt hätten.
Vor Moskau kommt die Krim
Der Chef der Partisanen-Gruppe, der 20 Jahre lang als Fitnesstrainer und Physiotherapeut in Sankt Petersburg lebte, war selbst Mitglied zweier rechtsextremer Gruppen, die als Terrororganisationen für eine Verschwörung gegen den Kreml eingestuft wurden: der "Russischen Kaiserlichen Bewegung" und der "Volksmiliz". "Ich geriet schon lange ins Visier russischer Geheimdienste. Sie haben mich mehrmals verhaftet, aber ich wurde nie eingesperrt", so "Caesar". "Ich glaube, das bereuen sie jetzt."
Ein in Kiew ansässiger Sprecher der Legion, Alexei Baranovsky, sagte der "Times", die Gruppe verfolge keine Ideologie. "Dies ist eine politisch neutrale Organisation ohne ideologische Haltung", behauptete er demnach. "Ihre einzige Aufgabe besteht darin, Putins Regime zu stürzen."
Im Moment jedoch warte die Legion auf ihre Zeit. "Wir sagen nicht, dass wir morgen in Moskau ankommen. Dies wird geschehen, wenn die ukrainischen Streitkräfte die Krim befreien." Putins politisches System werde durch die Niederlage auf der Krim gelähmt sein. "Dann müssen wir Moskau einen vernichtenden Schlag versetzen. Darauf bereiten wir uns vor."
Quelle: ntv.de